Wie Viktor Orban´ gewann
Das ungarische Referendum gegen Flüchtlingsquoten 2016 wurde im Westen als Niederlage Orb´ans gefeiert. Es war aber wohl der Schlüssel zu seinem jetzigen Wahlerfolg.
Das ungarische Referendum gegen Flüchtlingsquoten 2016 wurde im Westen als Niederlage Orbans´ gefeiert. Es war aber wohl der Schlüssel zu seinem Wahlerfolg.
„Wir haben gewonnen.“Kurz und knapp kommentierte Viktor Orban´ seinen Triumph bei den Parlamentswahlen Sonntagnacht: fast die absolute Mehrheit der Stimmen (48,9 Prozent) und erneut die Zweidrittelmehrheit im Parlament. Der Jubel seiner Anhänger füllte die kalkulierte lange Pause nach seinen Worten.
Die Wahlbeteiligung lag bei für ungarische Verhältnisse unwahrscheinlich hohen 70 Prozent. Das hatte selbst der regierungsnahe Thinktank Nezöpont´ nach den Umfragen für „unmöglich“gehalten – und eine Zweidrittelmehrheit mit 133 Mandaten ebenso. Mehr als 122 Sitze für Fidesz seien nicht drinnen, hieß es. Selbst im Regierungslager regierten Ungläubigkeit und oft verdutztes Staunen. Eine neuerliche absolute Mehrheit hatten die meisten dem Regierungschef zugetraut, aber nicht die Verteidigung der Zweidrittelmehrheit. Das werteten die Fidesz-Leute dann doch als handfeste Überraschung.
Orbans´ Mediendominanz
Die hohe Wahlbeteiligung hat zunächst die Hoffnungen der Opposition befeuert, denn alle Experten sind einhellig davon ausgegangen, dass eine Mobilisierung bisheriger Nichtwähler nur eines bedeuten könne: dass die Unzufriedenen zu den Urnen gegangen sind. Schon am Sonntagnachmittag zeigte sich jedoch bei der näheren Betrachtung der statistischen Daten ein gemischtes Bild. Vorwiegend auf dem Land – und dort nicht in den Städten, sondern in den Dörfern und Kleinstädten – war die Wahlbeteiligung überproportional gestiegen.
Die OSZE hat einen Erklärungsansatz für den Befund. Die Dominanz regierungsnaher Medien, vor allem auf dem Land, verbunden mit einer Regierungspropaganda aus Steuergeldern, die kaum von der offiziellen Wahlkampfkampagne der Partei zu unterscheiden war, habe die Opposition vor allem auf dem Land benachteiligt, heißt es im OSZE-Bericht. Fidesz hat sich in den vergangenen Jahren die Kontrolle über die Medien gesichert und unbequeme Zeitungen ausgeschaltet.
Der entscheidende Aspekt war jedoch ein anderer. „Wahrscheinlich hat das Flüchtlingsquotenreferendum 2016 eine erhebliche Spätwirkung entfaltet“, meint A´goston Mra´z vom Thinktank Nezöpont.´ Dabei war das Referendum in den westlichen Medien überwiegend als peinliche Schlappe für Orban´ bewertet worden. Zwar hatten 98 Prozent der Teilnehmer gegen das Konzept von obligatorischen Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen in Europa gestimmt. Aber das Referendum hatte die erforderliche Mindestbeteiligung von 50 Prozent nicht erreicht und war somit ungültig.
Was damals niemand beachtete – zumindest niemand außerhalb Ungarns –, war die erhebliche Wählermobilisierung im Lager der Regierungspartei, um dem Referendum zum Erfolg zu verhelfen. Tausende neue Wähler, vor allem in den ländlichen Gebieten, ließen sich in die Wählerlisten eintragen. Ein Späteffekt dieser Mobilisierung dürfte nun gewesen sein, dass genau diese Wähler positiv auf Orbans´ Kampagne gegen die drohende Gefahr einer „Überfremdung“durch Migranten reagiert haben.
Ökonomischer Rückenwind
Aussagekräftige Daten zum Wahlverhalten lägen noch nicht vor, betont Mraz.´ Orbans´ Erfolg habe indessen mehrere Gründe. Von zentraler Bedeutung sei der ökonomische Rückenwind. Es gehe den Menschen in Ungarn besser als vor vier Jahren – und deutlich besser als vor acht Jahren. Es herrsche fast Vollbeschäftigung, die Reallöhne seien spürbar gestiegen. Und trotz der weithin als Tatsache angesehenen Korruption der Regierung würden viele Bürger einräumen, dass es mit dem Land vorangehe. The-
men wie der Mangel an Pressevielfalt seien da weniger wichtig für viele Ungarn.
Und wie bewerteten die Ungarn die Alternative zu Orban?´ Ein halbes Dutzend Oppositionsparteien, die alle miteinander rivalisierten, hätten den Wählern nur eines versprochen – nämlich, dass sie selbst im Fall eines Siegs nicht die Verantwortung übernehmen würden, sondern dass eine baldige Neuwahl ihre oberste Priorität sei. Für viele Ungarn war da offenbar Stabilität des Orban-´ Systems die attraktivere Option.
Angst vor Chaos
Während im Anti-Orban-´Lager der Wunsch nach einem Regierungswechsel das bestimmende Motiv war, gab auf der anderen Seite die Angst vor einem Wechsel, vor einem möglichen Chaos, den Ausschlag für die Wiederwahl Orbans.´
Möglicherweise kommt eine altehrwürdige Tradition aus der Trickkiste ungarischer Wählermobilisierung hinzu. Die Sozialisten waren einst darin meisterhaft, in die Dörfer zu gehen und die bitterarmen Menschen – darunter viele Roma – mit Würstchen und ein wenig Taschengeld zur Wahl zu locken. Für derlei Praktiken sind bei dieser Wahl noch keine belegbaren Hinweise aufgetaucht. Doch die Bevölkerung auf dem Land war dieses Mal besonders motiviert, für Orban´ zu stimmen.