Die Presse

Von einer Orb´anisierung Europas kann keine Rede sein

Viktor Orb´ans Bedeutung wird heillos übertriebe­n. Er ist Premier eines mittelgroß­en EU-Staats an der Peripherie und sein Einfluss in Europa limitiert.

- E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

V iktor Orban´ kämpft schon seit Jahren weit über seiner Gewichtskl­asse in der europäisch­en Arena. Dem ungarische­n Premier wird eine Aufmerksam­keit zuteil, als wäre er Anwärter auf den Titel des Schwergewi­chtseuropa­meisters. Das ist erstaunlic­h, denn Ungarn bringt mit seiner bescheiden­en Wirtschaft­skraft, die einem Drittel der österreich­ischen entspricht, und seinen zehn Millionen Bürgern in der 511-Millionen-Einwohner-EU eher ein Bantamgewi­cht auf die Waage.

Trotzdem wird aufgeregt so getan, als hingen Wohl und Wehe Europas vom Populisten aus der Puszta ab, als stünde der Kontinent vor einer unaufhalts­amen Orbanisier­ung.´ Nach dem fulminante­n Wahlsieg des ungarische­n Premiers schossen die Warnungen vor einer Ausweitung des Morbus Orban´ nur so ins Kraut. Besonders dramatisch heulte der diplomatis­che Oberarzt Luxemburgs, Jean Asselborn, auf. Alle EU-Mitglieder müssten sich nun zusammentu­n, um den Budapester „Wertetumor“zu neutralisi­eren, forderte der sozialdemo­kratische Außenminis­ter des Großherzog­tums. Welche operativen Eingriffe er sich vorstellt, wollte oder konnte der Moralonkol­oge nicht verraten.

Orban´ wird sich über jede Wortmeldun­g freuen, die seine Bedeutung auflädt. Gewiss: Er hat in Europas sozialdemo­kratisiert­er Christdemo­kratie eine gewisse konservati­ve Leerstelle besetzt, dem Volk aufs Maul geschaut und zum dritten Mal in Folge bewiesen, dass sein nationalis­tischer, illiberale­r Ansatz mehrheitsf­ähig ist. Es jedoch zur großen europäisch­en Fahnenfrag­e hochzuzieh­en, wie man es mit Orban´ hält, ist dann doch zu viel der Ehre. So wichtig ist der Mann auch nicht. Die Fixierung auf Orban´ zeigt nur, wie inhaltslee­r Richtungsd­ebatten in Europas ideologisc­hem Einbahnver­kehr geworden sind.

Nüchtern betrachtet, hat sein nationalko­nservative­s Eigenbaumo­dell einer abgeschott­eten Demokratie mit autoritäre­n Zügen jedoch außerhalb der Grenzen Ungarns bisher keine erfolgreic­hen Nachahmer gefunden. Rechtspopu­listen von Frankreich bis Österreich sind schon länger auf dem Trip. Und in Polen, einem im europäisch­en Kontext übrigens weitaus gewichtige­ren Land als Ungarn, sind keine Epigonen am Werk: Jarosław Kaczyn´ski hat seine sozialnati­onale Anti-EU-Rezeptur ohne ungarische Inspiratio­n zusammenge­mischt. Er fährt einen konfrontat­iveren Kurs gegen Brüssel als Orban,´ hat ein Grundrecht­sverfahren riskiert, aber vor einer Kaczyn´skisierung Europas warnt trotzdem keiner. Und die Slowakei? Dort hinkt der Vergleich mit Orban´ gleich auf mehreren Beinen: In Bratislava ist eine linkspopul­istische Partei an der Macht, die zuletzt mit rund 26 Prozent bei Weitem nicht so stark war wie Ungarns Fidesz (48,9 %) oder die polnische PiS (37,5 %) und es sich im Zweifel gut stellt mit der EU. Welche Richtung Tschechien, das vierte Mitglied der letztlich heterogene­n Visegrad-´Gruppe, unter dem ideologief­reien Oligarchen Andrej Babisˇ einschlägt, wird sich erst weisen.

Das einzige Thema, bei dem die vier energisch an einem Strang ziehen, ist die Migration. Sie wollen sich von Brüssel keine Flüchtling­e aufzwingen lassen. Und da kommt Orban´ tatsächlic­h eine Führungsro­lle zu. Es ist ihm während der Flüchtling­skrise gelungen, sich als Gegenspiel­er Merkels in Szene zu setzen. D as war auch sein Ass in seinem Wahlkampf, der nur ein Thema kannte: Migration. Orban´ redete den Ungarn ein, dass nur er sie vor muslimisch­en Horden schützen könne, die USMilliard­är Soros in einem verschwöre­rischen Plan nach Europa locke. Das ist zwar Unfug: Denn es gibt keinen SorosPlan, und es will auch kaum ein Muslim freiwillig in Ungarn leben. Doch Orbans´ Feindbildp­opanz-Taktik ging auf. Die Ungarn wählten ihn wieder. Auch weil es ihnen besser geht als vor acht Jahren. Weil die zersplitte­rte Opposition keine ernsthafte Alternativ­e darstellt. Und weil sie wohl stolz darauf sind, dass Ungarn unter Orban´ etwas gilt in der Welt.

Aus dem Urnengang in einem mittelgroß­en Mitgliedst­aat an der Peripherie jedoch einen Trend abzuleiten, der die EU in ihren Grundfeste­n erschütter­e, wäre maßlos übertriebe­n. In Ungarn fand eine demokratis­che Wahl statt, die es zu respektier­en gilt. Wer Orban´ dämonisier­t, spielt ihm nur in die Hände.

 ??  ?? VON CHRISTIAN ULTSCH
VON CHRISTIAN ULTSCH

Newspapers in German

Newspapers from Austria