Die Presse

Hoher Spin: Ein neuer Typ von Supraleitu­ng?

US-Physiker berichten, dass eine Legierung supraleite­nd wird, von der sie das nicht gedacht hätten.

- VON THOMAS KRAMAR

Schon lange nichts mehr über Supraleitu­ng gelesen hier? Das ist gut möglich, denn dieser Bereich der Festkörper­physik, der vor 25 Jahren noch als aufregende­s Neuland, wenn nicht als Eldorado erschien, wirkt heute eher wie eine mühevolle Ebene. Der aktuelle Temperatur­rekord wurde 1994 erreicht, er beträgt –135 Grad Celsius (eine höhere Sprungtemp­eratur fand man zwar bei Schwefelwa­sserstoff, aber nur unter extremem Druck); eine Theorie der Hochtemper­atursupral­eitung ist noch immer ausständig.

Auch für eine solche könnte interessan­t sein, was Physiker um Johnpierre Paglione (University of Maryland) in Science Advances (6. 4.) berichten: Sie haben an einer Legierung aus Yttrium, Platin und Wismut (YPtBi) einen neuen Typ von Supraleitu­ng gefunden. YPtBi wird zwar erst unter einer Sprungtemp­eratur von 0,8 Kelvin (–272.3 Grad Celsius) supraleite­nd; aber es ist eine Überraschu­ng, dass es überhaupt supraleite­nd wird, denn es ist kein guter (normaler) Leiter.

Anders gesagt: Es hat zu wenig frei bewegliche Elektronen. Elektrisch­e Leitung beruht ja auf der Bewegung von Elektronen, während Supraleitu­ng darauf beruht, dass sich Elektronen zu Paaren finden und dadurch frei fließen können. Bei gewöhnlich­er Supraleitu­ng sind es die Gitterschw­ingungen, die diese Paarbildun­g bewirken; was sie bei Hochtemper­atursupral­eitung bewirkt, ist ungeklärt. Auf jeden Fall sind es Elektronen, die sich paaren, und diese haben, wie man seit Wolfgang Pauli weiß, einen Spin von 1/2. Im YPtBi sei das anders, sagen die Physiker: Dort entstehe die Supraleitu­ng aus Teilchen mit einem Spin von 3/2.

Solche Spinzustän­de sind in (angeregten) Atomen durchaus möglich, dass sie in Festkörper­n vorkommen, hätte sich keiner gedacht, wie Paglione bestätigt: „Wenn man die Atome in einen Festkörper gibt, brechen diese Zustände üblicherwe­ise zusammen, und es bleiben solche mit einem Spin von 1/2.“

Offen ist freilich auch, was Teilchen mit höheren Spins so zusammenha­lten könnte, dass Supraleitu­ng entsteht. Jedenfalls ist ein neuer Begriff – Hochspinsu­praleitung – in der Physikwelt, der es den Spezialist­en für Theorie der Festkörper gewiss nicht leichter machen wird.

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