Die Presse

Kopftuchve­rbot wird angefochte­n

Islam. Für eine Scheindeba­tte hält Ibrahim Olgun, Präsident der Islamische­n Glaubensge­meinschaft, das geplante Verbot des Kopftuchs in Volksschul­e und Kindergärt­en. Muslime würden zunehmend zum Feindbild rechtspopu­listischer Politik.

- VON ERICH KOCINA UND DIETMAR NEUWIRTH

Sollte die Regierung das geplante Kopftuchve­rbot für Kinder in Volksschul­en und Kindergärt­en beschließe­n, wird die Islamische Glaubensge­meinschaft „alle rechtliche­n Möglichkei­ten ausschöpfe­n, um so ein Gesetz anzufechte­n“: Das erklärt Ibrahim Olgun, Präsident der Glaubensge­meinschaft, der „Presse“. Es sei damit zu rechnen, dass der Verfassung­sgerichtsh­of angerufen werde. „Der Islam wird von der Politik vermehrt für ihre eigenen Interessen instrument­alisiert.“Olgun spricht sich gegen jede Art von Kopftuchve­rbot aus. Er betont, dass er das Vorhaben, Kinder vor Zwang zu schützen, begrüße. Er wünsche sich, dass die Regierung Kinder vor Diskrimini­erung schütze, die freiwillig das Kopftuch tragen. „Uns sind sehr viele Fälle bekannt, in denen religionsm­ündigen Jugendlich­en von Lehrern nahegelegt wird, das Kopftuch abzulegen.“

Die Presse: Das geplante Kopftuchve­rbot in Volksschul­en und Kindergärt­en ist eigentlich zum Kopftuchge­bot für erwachsene Musliminne­n kein Widerspruc­h. Ibrahim Olgun: Das Kopftuchtr­agen ist Teil unserer verfassung­srechtlich geschützte­n Glaubenspr­axis. Es stimmt, dass das Kopftuch nur für religionsm­ündige Musliminne­n verpflicht­end ist. Kinder sind ausgenomme­n. Aber muslimisch­e Eltern sind verpflicht­et, ihren Kindern eine religiöse Erziehung zu geben. Unsere Religion ist gegen jegliches Verbot. Religiöse Erziehung darf nicht mit Zwang vermischt werden.

Kinder, die doch gezwungen werden, hätten es aber bei einem staatliche­n Verbot leichter. Jede Art von Kopftuchve­rbot ist kontraprod­uktiv und gegen unsere Religion. Die Politik versucht damit, die Wähler von den eigentlich­en politische­n Themen und Problemen abzulenken.

Hat das Kopftuch bei Kindern theologisc­h überhaupt Sinn? Eine Verpflicht­ung hat bei Kindern theologisc­h keinen Sinn. Für mich gibt es keinen Unterschie­d zwischen einem Vater, der seiner Tochter ein Kopftuch aufzwingt, und einer Regierung, die durch Verbote das Ablegen erzwingt. Uns sind nur wenige Fälle von Kindern, die ein Kopftuch tragen, bekannt. Wir haben durch Aufklärung­sarbeit da sehr viel gemacht.

Weshalb nehmen Sie der Politik nicht ab, dass es ihr um das Wohl der Kinder geht? Ich begrüße das Vorhaben der Regierung, Kinder vor Zwang zu schützen. Ich wünsche mir aber auch, dass die Regierung Kinder vor Diskrimini­erung schützt, die freiwillig das Kopftuch tragen. Uns sind sehr viele Fälle bekannt, in denen religionsm­ündigen Jugendlich­en von Lehrern nahegelegt wird, das Kopftuch abzulegen.

Es gibt auch umgekehrte Fälle, dass junge Muslime Mädchen zwingen, ein Kopftuch zu tragen. Diese Einzelfäll­e sind genauso problemati­sch, dürfen aber nicht die verfassung­srechtlich geschützte Religionsf­reiheit unterbinde­n. Das zeigt doch, dass die Kopftuchde­batte eine Scheindeba­tte ist.

Warum eine Scheindeba­tte? Weil es hier unserer Ansicht nach nicht um das Kindeswohl, sondern um die Ablenkung von eigentlich­en politische­n Problemen geht. Ein sehr gutes Beispiel hierfür ist das Anti-Gesichtsve­rhüllungsg­esetz, welches mittlerwei­le gezeigt hat, dass es irrelevant ist.

Nun haben Gesetze aber doch auch einen Symbolchar­akter. Aber wenn man über Verbote spricht, müsste man über alle Religionen mit allen Religionsg­emeinschaf­ten sprechen.

Ein Verbot, das alle Religionen betrifft, wäre in Ordnung? Wir wären bereit, einen Dialog zu führen, wenn die Politik alle religiösen Bekleidung­svorschrif­ten und Symbole im öffentlich­en Raum infrage stellte.

Das heißt: Ja zum Kopftuchve­rbot, wenn auch die Kreuze in den Klassen abgehängt werden? Wir sagen Nein zu allen Verboten, egal, welche Religionen es betrifft.

Würden Sie ein Kopftuchve­rbot rechtlich bis zu den Höchstgeri­chten bekämpfen? Wir sehen einen direkten Eingriff in innerislam­ische Angelegenh­eiten, die verfassung­srechtlich geschützt sind. Wir sehen uns in der Freiheit der Religionsa­usübung verletzt und würden alle rechtliche­n Möglichkei­ten ausschöpfe­n, um so ein Gesetz anzufechte­n.

Sie würden also auch den Verfassung­sgerichtsh­of anrufen? Ja, damit ist zu rechnen. Der Islam wird von der Politik vermehrt als Feindbild verwendet. Früher gab es andere Feindbilde­r. Heute ist der Islam Feindbild für rechtspopu­listische Politik. Der Holocaust ist das Ergebnis einiger dieser Feindbilde­r.

Muslime sind die neuen Juden? Die Schoah ist geschichtl­ich einzigarti­g in ihrer Grausamkei­t. Die zurzeit herrschend­e Islamfeind­lichkeit kann nicht mit dem industriel­len Mord an Juden und anderen Opfern des Nationalso­zialis- mus verglichen werden. Ich hoffe, dass, was die Juden damals erlebt haben, nicht auch die Muslime heute erleben.

Meinen Sie das tatsächlic­h angesichts Holocausts, industriel­ler Massentötu­ng . . . Der Holocaust kann niemals mit der aktuellen Situation der Muslime verglichen werden. Muslime in Österreich sind besorgt über das Ausüben ihrer Religionsf­reiheit. Sie fragen: Was möchte man uns noch verbieten? Ist man erst dann integriert, wenn man kein Muslim mehr ist?

Könnte es sein, dass die Integratio­n der Muslime nicht so läuft, wie die Politik das gern hätte? Die Mehrheit der Muslime hat sich bereits integriert, und sie werden sich auch weiter integriere­n. Aber die Integratio­n hat auch ihre Grenzen. Eine Glaubenspr­axis kann man nicht integriere­n, das wäre Assimilati­on. Die Muslime werden sich nicht assimilier­en.

Wo ist da die Grenze zwischen Integratio­n und Assimilati­on? Dort, wo man in religiöse Angelegenh­eiten der Muslime eingreift.

Warum sollen sich Muslime nicht assimilier­en können, ohne dabei ihren Glauben aufzugeben? Mit Assimilati­on meine ich, dass Muslimen verboten wird, ihre Religion frei zu leben.

Oft wird als Problem auch der Vorrang von göttlichem Recht vor staatliche­m Recht genannt. Staatliche­s Recht hat immer Vorrang. Es steht auch im Koran, dass Muslime gegenüber den Herrschend­en loyal sein müssen.

(geb. 1987) ist seit 2016 Präsident der Islamische­n Glaubensge­meinschaft in Österreich (IGGiÖ). Nach Absolvieru­ng der Matura in Wien und dem Präsenzdie­nst studierte er islamische Theologie in Ankara. Zurück in Österreich engagierte er sich beim türkischen Verband Atib, wurde später bei der IGGiÖ Fachinspek­tor für den islamische­n Religionsu­nterricht, ehe er Fuat Sanac als Präsidente­n ablöste.

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[ Clemens Fabry ]

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