Kopftuchverbot wird angefochten
Islam. Für eine Scheindebatte hält Ibrahim Olgun, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, das geplante Verbot des Kopftuchs in Volksschule und Kindergärten. Muslime würden zunehmend zum Feindbild rechtspopulistischer Politik.
Sollte die Regierung das geplante Kopftuchverbot für Kinder in Volksschulen und Kindergärten beschließen, wird die Islamische Glaubensgemeinschaft „alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um so ein Gesetz anzufechten“: Das erklärt Ibrahim Olgun, Präsident der Glaubensgemeinschaft, der „Presse“. Es sei damit zu rechnen, dass der Verfassungsgerichtshof angerufen werde. „Der Islam wird von der Politik vermehrt für ihre eigenen Interessen instrumentalisiert.“Olgun spricht sich gegen jede Art von Kopftuchverbot aus. Er betont, dass er das Vorhaben, Kinder vor Zwang zu schützen, begrüße. Er wünsche sich, dass die Regierung Kinder vor Diskriminierung schütze, die freiwillig das Kopftuch tragen. „Uns sind sehr viele Fälle bekannt, in denen religionsmündigen Jugendlichen von Lehrern nahegelegt wird, das Kopftuch abzulegen.“
Die Presse: Das geplante Kopftuchverbot in Volksschulen und Kindergärten ist eigentlich zum Kopftuchgebot für erwachsene Musliminnen kein Widerspruch. Ibrahim Olgun: Das Kopftuchtragen ist Teil unserer verfassungsrechtlich geschützten Glaubenspraxis. Es stimmt, dass das Kopftuch nur für religionsmündige Musliminnen verpflichtend ist. Kinder sind ausgenommen. Aber muslimische Eltern sind verpflichtet, ihren Kindern eine religiöse Erziehung zu geben. Unsere Religion ist gegen jegliches Verbot. Religiöse Erziehung darf nicht mit Zwang vermischt werden.
Kinder, die doch gezwungen werden, hätten es aber bei einem staatlichen Verbot leichter. Jede Art von Kopftuchverbot ist kontraproduktiv und gegen unsere Religion. Die Politik versucht damit, die Wähler von den eigentlichen politischen Themen und Problemen abzulenken.
Hat das Kopftuch bei Kindern theologisch überhaupt Sinn? Eine Verpflichtung hat bei Kindern theologisch keinen Sinn. Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen einem Vater, der seiner Tochter ein Kopftuch aufzwingt, und einer Regierung, die durch Verbote das Ablegen erzwingt. Uns sind nur wenige Fälle von Kindern, die ein Kopftuch tragen, bekannt. Wir haben durch Aufklärungsarbeit da sehr viel gemacht.
Weshalb nehmen Sie der Politik nicht ab, dass es ihr um das Wohl der Kinder geht? Ich begrüße das Vorhaben der Regierung, Kinder vor Zwang zu schützen. Ich wünsche mir aber auch, dass die Regierung Kinder vor Diskriminierung schützt, die freiwillig das Kopftuch tragen. Uns sind sehr viele Fälle bekannt, in denen religionsmündigen Jugendlichen von Lehrern nahegelegt wird, das Kopftuch abzulegen.
Es gibt auch umgekehrte Fälle, dass junge Muslime Mädchen zwingen, ein Kopftuch zu tragen. Diese Einzelfälle sind genauso problematisch, dürfen aber nicht die verfassungsrechtlich geschützte Religionsfreiheit unterbinden. Das zeigt doch, dass die Kopftuchdebatte eine Scheindebatte ist.
Warum eine Scheindebatte? Weil es hier unserer Ansicht nach nicht um das Kindeswohl, sondern um die Ablenkung von eigentlichen politischen Problemen geht. Ein sehr gutes Beispiel hierfür ist das Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz, welches mittlerweile gezeigt hat, dass es irrelevant ist.
Nun haben Gesetze aber doch auch einen Symbolcharakter. Aber wenn man über Verbote spricht, müsste man über alle Religionen mit allen Religionsgemeinschaften sprechen.
Ein Verbot, das alle Religionen betrifft, wäre in Ordnung? Wir wären bereit, einen Dialog zu führen, wenn die Politik alle religiösen Bekleidungsvorschriften und Symbole im öffentlichen Raum infrage stellte.
Das heißt: Ja zum Kopftuchverbot, wenn auch die Kreuze in den Klassen abgehängt werden? Wir sagen Nein zu allen Verboten, egal, welche Religionen es betrifft.
Würden Sie ein Kopftuchverbot rechtlich bis zu den Höchstgerichten bekämpfen? Wir sehen einen direkten Eingriff in innerislamische Angelegenheiten, die verfassungsrechtlich geschützt sind. Wir sehen uns in der Freiheit der Religionsausübung verletzt und würden alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um so ein Gesetz anzufechten.
Sie würden also auch den Verfassungsgerichtshof anrufen? Ja, damit ist zu rechnen. Der Islam wird von der Politik vermehrt als Feindbild verwendet. Früher gab es andere Feindbilder. Heute ist der Islam Feindbild für rechtspopulistische Politik. Der Holocaust ist das Ergebnis einiger dieser Feindbilder.
Muslime sind die neuen Juden? Die Schoah ist geschichtlich einzigartig in ihrer Grausamkeit. Die zurzeit herrschende Islamfeindlichkeit kann nicht mit dem industriellen Mord an Juden und anderen Opfern des Nationalsozialis- mus verglichen werden. Ich hoffe, dass, was die Juden damals erlebt haben, nicht auch die Muslime heute erleben.
Meinen Sie das tatsächlich angesichts Holocausts, industrieller Massentötung . . . Der Holocaust kann niemals mit der aktuellen Situation der Muslime verglichen werden. Muslime in Österreich sind besorgt über das Ausüben ihrer Religionsfreiheit. Sie fragen: Was möchte man uns noch verbieten? Ist man erst dann integriert, wenn man kein Muslim mehr ist?
Könnte es sein, dass die Integration der Muslime nicht so läuft, wie die Politik das gern hätte? Die Mehrheit der Muslime hat sich bereits integriert, und sie werden sich auch weiter integrieren. Aber die Integration hat auch ihre Grenzen. Eine Glaubenspraxis kann man nicht integrieren, das wäre Assimilation. Die Muslime werden sich nicht assimilieren.
Wo ist da die Grenze zwischen Integration und Assimilation? Dort, wo man in religiöse Angelegenheiten der Muslime eingreift.
Warum sollen sich Muslime nicht assimilieren können, ohne dabei ihren Glauben aufzugeben? Mit Assimilation meine ich, dass Muslimen verboten wird, ihre Religion frei zu leben.
Oft wird als Problem auch der Vorrang von göttlichem Recht vor staatlichem Recht genannt. Staatliches Recht hat immer Vorrang. Es steht auch im Koran, dass Muslime gegenüber den Herrschenden loyal sein müssen.
(geb. 1987) ist seit 2016 Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ). Nach Absolvierung der Matura in Wien und dem Präsenzdienst studierte er islamische Theologie in Ankara. Zurück in Österreich engagierte er sich beim türkischen Verband Atib, wurde später bei der IGGiÖ Fachinspektor für den islamischen Religionsunterricht, ehe er Fuat Sanac als Präsidenten ablöste.