„Das hätte zum Bürgerkrieg führen können“
Interview. Karl Blecha tritt als Präsident des Pensionistenverbandes zurück und verabschiedet sich nach 70 Jahren aus der Politik. Ein Gespräch über die Ära Kreisky, Hainburg, Lucona, Noricum und die Zukunft der Sozialdemokratie.
Die Presse: War die Ära Kreisky der Höhepunkt für die SPÖ oder wird da im Nachhinein viel hineininterpretiert? Karl Blecha: Da wird nicht zu viel hineininterpretiert, das war die Zeit, die eine völlige Veränderung der österreichischen Gesellschaft bewirkt hat.
Wie haben Sie die Vorbereitung darauf erlebt? Ich habe Kreisky als Student kennengelernt und ihn in Schweden besucht. Dort habe ich diese tiefe, enge Beziehung zu ihm begründet. Kreisky war eine prägende Persönlichkeit, die Visionen hatte, genaue Vorstellungen, was man aus dem Österreich, das damals ein bisschen rückständig war, machen kann. Da haben wir sehr viele nächtelange Diskussionen geführt, wie eine moderne Gesellschaft aussehen soll. Die damals entstandenen Ideen sind alle in den 1970er-Jahren verwirklicht worden.
Dass das gelungen ist, liegt wohl auch am damaligen Zeitgeist. Natürlich, es war die Zeit nach den 68er-Umbrüchen, die von einer Jugendrevolte ausgegangen sind. Kreisky hat es verstanden, diese Zeichen der Zeit richtig zu nützen.
Dabei waren die 68er in Österreich ja keine Massenbewegung. Sie haben eine tief reichende Wirkung ausgeübt. Nicht als Bewegung, aber als geistige Strömung. Sie haben eine Aufbruchstimmung ausgelöst: Man war überzeugt davon, dass wir in einen konservativen Mief versunken sind, der dadurch beendet werden soll, dass man den Vorhang aufreißt und den neuen Tag hereinlässt.
Wo sehen Sie Ihren Anteil an der Veränderung? Bruno Kreisky hatte drei engste Mitarbeiter, Fred Sinowatz in der Regierung, Heinz Fischer in Parlament und mich in der Partei.
Da vermisse ich einen Namen: Hannes Androsch. Ihn zählen Sie nicht zu den engsten Mitarbeitern? Doch, er hat eine große Rolle gespielt, aber die drei genannten waren seine Stellvertreter. Wie Sie wissen, hat es dann einen bedauernswerten Konflikt gegeben, der für die Sozialdemokratie nicht sehr hilfreich war.
Was war Ihre Position im Konflikt Kreisky/Androsch? Als engster Vertrauter von Bruno Kreisky war ich da natürlich einbezogen. Ich habe ihn immer als für die Sozialdemokratie verhängnisvoll erlebt und versucht, Wogen glättend einzugreifen, aber ohne Erfolg. Ich hatte einmal eine Parteivorstandssitzung zu leiten, bei der ich versucht habe, ein klärendes Gespräch einzuleiten. Kreisky war richtiggehend erschüttert, dass ich versuchte, eine vermittelnde Rolle einzunehmen. Er hat das als Verrat interpretiert.
Warum ist die Sozialdemokratie heute nicht mehr der Vorreiter bei Veränderungen? Heute ist eine völlig andere Zeit. Es gibt nicht mehr die geistige Aufbruchstimmung wie in den 70ern.
Der Zeitgeist weht aus einer anderen Richtung: Erfolgreich ist, wer gegen Migration auftritt. Wie soll die Sozialdemokratie darauf reagieren? Migration ist das Hauptthema unserer Zeit, das kann man nicht verschweigen, da muss man offen Stellung beziehen. Es braucht klare Worte, die verschiedene Seiten nicht angenehm empfinden.
Dafür gäbe es verschiedene Ansätze, je nachdem, ob man am rechten oder am linken Flügel der SPÖ steht. Dafür gibt es nur einen Ansatz, und zwar: Dieses Land braucht Migration, es würde seinen Wohlstand ohne Migration nicht halten können. Das muss man offen sagen. Gleichzeitig sind wir verpflichtet, Menschen, die zu uns kommen, zu integrieren und jene abzuweisen, die nicht integrierbar und integrationswillig sind. Da muss man auch ganz klar Stellung beziehen.
Das hat die SPÖ bisher zu wenig gemacht? Das ist zu wenig klar ausgedrückt worden.
Aber diese Position ist im Moment nicht mehrheitsfähig. Das hängt damit zusammen, dass man eine stärkere Aufklärung der Bevölkerung durchführen muss. Als Innenminister haben Sie den Polizeieinsatz in Hainburg angeordnet. War Hainburg nicht der Punkt, an dem die SPÖ ihre Vorreiterrolle bei der Jugend verloren hat? Das glaube ich nicht. Es war eine schwierige Position, gegen extremistische Strömungen aufzutreten und andererseits die Jugend nicht ganz zu verlieren.
Für den Polizeieinsatz in der Au sind Sie scharf kritisiert worden. Da ist vieles falsch dargestellt worden, das war keine Prügelpolizei. Wir haben mit einem abgegrenzten Einsatz Schlimmeres verhindert: Die Gewerkschaft ist schon bereitgestanden, um selbst in die Au zu gehen, es sind schon Vorbe-
tritt als Präsident des Pensionistenverbandes zurück und verlässt damit nach 70 Jahren die Politik. Er war SPÖ-Zentralsekretär, stellvertretender Parteichef und Innenminister. 1989 musste er nach der Lucona- und Noricum-Affäre zurücktreten, in der Noricum-Causa wurde er verurteilt. Blecha ist immer noch Eigentümer des Ifes-Instituts. reitungen für einen Sturm getroffen worden. Das hätte zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen können.
Aus der Regierung ausgeschieden sind Sie nach Lucona und Noricum. Sehen Sie nachträglich Fehler bei sich selbst? Bei Lucona bin ich von den Medien für etwas geprügelt worden, was ich nicht getan und nicht zu verantworten hatte.
Auf Kritik ist die Verbandelung der SPÖ-Schickeria mit Udo Proksch gestoßen. Waren Sie mit ihm befreundet? Udo Proksch war mit allen möglichen Menschen befreundet. Es hat keinen Ort am Abend gegeben, wo er nicht aufgetaucht ist und Leute umarmt hat. Aber ich glaube nicht, dass man die Tausenden, die er umarmt hat, alle als seine Freunde bezeichnen kann.
Bei Noricum ging es um Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet. Da müsste ein linker Sozialdemokrat eigentlich aufschreien. Da ging es darum, eine Verurteilung der Verstaatlichten Industrie in diesem Bereich zu verhindern. Im SPÖ-Präsidium sind alle dafür aufgetreten, dass Österreich Waffen produzieren soll. Es gab nur zwei Gegenstimmen: Die von Heinz Fischer und von Karl Blecha.
Derzeit wird die BVT-Affäre heiß diskutiert. Wie sehen Sie das als ehemaliger Innenminister? Das muss man untersuchen. Wir können uns in einem demokratischen Staat kein unkontrolliertes Eigenleben von Geheimdiensten erlauben.
Gab es das zu Ihrer Zeit auch? Wir hatten keinen Geheimdienst, diesen hatten wir auch gar nicht notwendig. Wir hatten Geheimdienste von anderen Mächten in unserem Land und gute Kontakte zu ihnen. Diese konnten uns über Gefahren informieren. Das heißt, wir haben die anderen Dienste in unserem Land wirken lassen und von ihnen die Informationen bekommen.
Das führt aber zu Abhängigkeit. Nein, wir hatten die Kontrolle.