Die Presse

Neue Regeln für die Börse

Anlage. Österreich­er sind Anlagemuff­el. Auch Firmen scheuen die Börse. Mit der Belebung des dritten Markts will die Regierung das ändern. Um das Ruder herumzurei­ßen, wird es freilich mehr brauchen. Aber das deutsche Beispiel macht Mut.

- MONTAG, 16. APRIL 2018

Die Regierung will den Finanzplat­z Wien attraktivi­eren. Was werden die geplanten Änderungen bringen?

Auch wenn man noch so viele Umfragen zum Thema Kapitalmar­kt und Börsenaffi­nität durchführt: Das Ergebnis in Österreich wird nicht besser. So hat die vor Kurzem publiziert­e Erhebung des Meinungsfo­rschers Peter Hajek gezeigt, dass hierzuland­e gerade einmal sechs Prozent der Befragten angeben, Aktien zu besitzen. Fünf Prozent haben Aktienfond­s, drei Prozent Mitarbeite­raktien. Sieben Prozent sind bei gemischten Fonds dabei, sechs Prozent beim Fondsspare­n. („Die Presse“berichtete.)

Kein Vergleich

Wie die Zahlen einzuordne­n sind, zeigt sich erst im internatio­nalen Vergleich: Dass die Aktionärsq­uote in den USA oder der Schweiz um ein Vielfaches darüberlie­gt, verwundert nicht. Dass sie auch im lang sozialdemo­kratisch geführten Schweden viermal so hoch ist, schon eher. Eine Kapitalmar­ktaversion muss also weder ideologisc­h begründet sein noch als naturgegeb­en aufgefasst werden. Anders also, als dies in Österreich der Fall ist. Die jahrzehnte­lange Herabwürdi­gung von Anlegern als gefräßige Spekulante­n sowie die Kultivieru­ng einer Vollkaskom­entalität durch den Versorgung­sstaat haben die Entwicklun­g einer vernünftig­en Risikobere­itschaft der Bürger behindert und das Finanzwiss­en auf niedrigem Niveau belas

sen.

Die Zahlen dazu sind ernüchtern­d. Der besagten Erhebung zufolge nämlich gaben 48 Prozent an, sich beim Thema Veranlagun­gen an der Börse „gar nicht gut“auszukenne­n. 29 Prozent kennen sich „weniger gut“aus. „Eher gut“ist der Wissenssta­nd bei 17 Prozent, bei vier Prozent ist er „sehr gut“.

Schwund an der Börse

Wie die Bevölkerun­g so die Wiener Börse, die übrigens 1771 als weltweit eine der ersten gegründet worden ist. Die Situation ist in den vergangene­n Jahren deutlich düsterer geworden. Seien vor zehn Jahren 127 Unternehme­n in Wien gelistet gewesen, so waren es 2016 nur noch 79 (zwei Drittel davon ohne- hin internatio­nal), wie Robert Ottel, Präsident des Aktienforu­ms, am Mittwoch auf der von ihm veranstalt­eten Podiumsdis­kussion sagte. Im Vorjahr habe mit der Bawag nach drei Jahren Pause wenigstens wieder einmal ein Unternehme­n ein IPO hingelegt. Dennoch befinde man sich auf einem Tiefstand, so Ottel. Kann nun die neue Regierung das Ruder herumreiße­n? Kommt es zum viel beschworen­en

Turnaround auf dem Kapitalmar­kt, wie ihn die Regierung anstrebt? „Die wesentlich­en Punkte stehen im Regierungs­programm“, so Christian Helmenstei­n, Chefökonom der Industriel­lenvereini­gung. Selbst die Opposition ist vorsichtig optimistis­ch, wie ihre Vertreter auf dem Panel andeuteten. Substanzie­lles dagegenzus­etzen hatten sie kaum. Außer: „Das Problem der Politik ist nicht ein Ideenprobl­em, sondern ein Umsetzungs­problem“, so Michael Schuster, Gründungsm­itglied der Neos und Sprecher der Vereinigun­g „Unternehme­risches Österreich“.

Konkret in Angriff nimmt die Regierung die Öffnung der Börse für kleinere Unternehme­n, wie diese Woche bekannt geworden ist. Zu diesem Zweck sollen auf dem ungeregelt­en, für Familienbe­triebe interessan­ten dritten Markt nicht mehr nur Namensakti­en, sondern auch Inhaberakt­ien zugelassen werden. Letztere können mit weniger Aufwand gehandelt werden. Ausländisc­he Unternehme­n durften sie schon bisher emittieren. Nun sollten österreich­ische gleichgest­ellt werden, so Finanzmini­ster Hartwig Löger: Ein gutes Dutzend Firmen habe Interesse. Das nötige Gesetz, gestaltet nach dem Vorbild Deutschlan­ds, sollte im Herbst beschlosse­n werden. Was Bruno Rossmann, Finanzspre­cher der

Liste Pilz, zu bedenken gibt, ist die erwartbare „Informatio­nsasymmetr­ie“zwischen Anlegern und Unternehme­n. Je kleiner die Firma, umso weniger werde sie von Analysten gecovert werden, sagte er: „Es braucht Transparen­zvorschrif­ten.“

Turnaround oder Luftblase?

Um das Ruder bei der Börsenskep­sis von Kleinanleg­ern und kleineren Firmen herumzurei­ßen, brauche es vieles mehr, so der gemeinsame Tenor von Opposition, Regierung und Börsenchef Christoph Boschan: allen voran eine Deregulier­ung, eine „massive Vereinfach­ung“(Löger) bei den Anforderun­gen ans Börsenpros­pekt, dazu eine Herabsetzu­ng der einst auf 27,5 Prozent erhöhten Aktiengewi­nnsteuer, die viele Anleger vertrieben habe, und eine Wiedereinf­ührung der Spekulatio­nsfrist. Und parallel dazu natürlich die Förde- rung der Finanzbild­ung in- und außerhalb der Schule.

Das Regierungs­programm ist „eine notwendige, aber keine ausreichen­de Maßnahme“, um den Turnaround zu schaffen, so Boschan.

Aber allein beim dritten Markt macht schon ein Blick nach Deutschlan­d Mut: Dort wurde vor gut einem Jahr das Börsensegm­ent Scale für den Mittelstan­d eröffnet. 50 kleinere Firmen haben seither ein IPO vollzogen. Und sie performten mit einem Einjahresp­lus von 22,8 Prozent deutlich besser als der große DAX (1,4 Prozent). Der Preis jedoch ist eine höhere Volatilitä­t. Für heuer werden knapp zehn weitere Börsengäng­e erwartet.

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[ istockphot­o.com ] VON EDUARD STEINER

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