Neue Regeln für die Börse
Anlage. Österreicher sind Anlagemuffel. Auch Firmen scheuen die Börse. Mit der Belebung des dritten Markts will die Regierung das ändern. Um das Ruder herumzureißen, wird es freilich mehr brauchen. Aber das deutsche Beispiel macht Mut.
Die Regierung will den Finanzplatz Wien attraktivieren. Was werden die geplanten Änderungen bringen?
Auch wenn man noch so viele Umfragen zum Thema Kapitalmarkt und Börsenaffinität durchführt: Das Ergebnis in Österreich wird nicht besser. So hat die vor Kurzem publizierte Erhebung des Meinungsforschers Peter Hajek gezeigt, dass hierzulande gerade einmal sechs Prozent der Befragten angeben, Aktien zu besitzen. Fünf Prozent haben Aktienfonds, drei Prozent Mitarbeiteraktien. Sieben Prozent sind bei gemischten Fonds dabei, sechs Prozent beim Fondssparen. („Die Presse“berichtete.)
Kein Vergleich
Wie die Zahlen einzuordnen sind, zeigt sich erst im internationalen Vergleich: Dass die Aktionärsquote in den USA oder der Schweiz um ein Vielfaches darüberliegt, verwundert nicht. Dass sie auch im lang sozialdemokratisch geführten Schweden viermal so hoch ist, schon eher. Eine Kapitalmarktaversion muss also weder ideologisch begründet sein noch als naturgegeben aufgefasst werden. Anders also, als dies in Österreich der Fall ist. Die jahrzehntelange Herabwürdigung von Anlegern als gefräßige Spekulanten sowie die Kultivierung einer Vollkaskomentalität durch den Versorgungsstaat haben die Entwicklung einer vernünftigen Risikobereitschaft der Bürger behindert und das Finanzwissen auf niedrigem Niveau belas
sen.
Die Zahlen dazu sind ernüchternd. Der besagten Erhebung zufolge nämlich gaben 48 Prozent an, sich beim Thema Veranlagungen an der Börse „gar nicht gut“auszukennen. 29 Prozent kennen sich „weniger gut“aus. „Eher gut“ist der Wissensstand bei 17 Prozent, bei vier Prozent ist er „sehr gut“.
Schwund an der Börse
Wie die Bevölkerung so die Wiener Börse, die übrigens 1771 als weltweit eine der ersten gegründet worden ist. Die Situation ist in den vergangenen Jahren deutlich düsterer geworden. Seien vor zehn Jahren 127 Unternehmen in Wien gelistet gewesen, so waren es 2016 nur noch 79 (zwei Drittel davon ohne- hin international), wie Robert Ottel, Präsident des Aktienforums, am Mittwoch auf der von ihm veranstalteten Podiumsdiskussion sagte. Im Vorjahr habe mit der Bawag nach drei Jahren Pause wenigstens wieder einmal ein Unternehmen ein IPO hingelegt. Dennoch befinde man sich auf einem Tiefstand, so Ottel. Kann nun die neue Regierung das Ruder herumreißen? Kommt es zum viel beschworenen
Turnaround auf dem Kapitalmarkt, wie ihn die Regierung anstrebt? „Die wesentlichen Punkte stehen im Regierungsprogramm“, so Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung. Selbst die Opposition ist vorsichtig optimistisch, wie ihre Vertreter auf dem Panel andeuteten. Substanzielles dagegenzusetzen hatten sie kaum. Außer: „Das Problem der Politik ist nicht ein Ideenproblem, sondern ein Umsetzungsproblem“, so Michael Schuster, Gründungsmitglied der Neos und Sprecher der Vereinigung „Unternehmerisches Österreich“.
Konkret in Angriff nimmt die Regierung die Öffnung der Börse für kleinere Unternehmen, wie diese Woche bekannt geworden ist. Zu diesem Zweck sollen auf dem ungeregelten, für Familienbetriebe interessanten dritten Markt nicht mehr nur Namensaktien, sondern auch Inhaberaktien zugelassen werden. Letztere können mit weniger Aufwand gehandelt werden. Ausländische Unternehmen durften sie schon bisher emittieren. Nun sollten österreichische gleichgestellt werden, so Finanzminister Hartwig Löger: Ein gutes Dutzend Firmen habe Interesse. Das nötige Gesetz, gestaltet nach dem Vorbild Deutschlands, sollte im Herbst beschlossen werden. Was Bruno Rossmann, Finanzsprecher der
Liste Pilz, zu bedenken gibt, ist die erwartbare „Informationsasymmetrie“zwischen Anlegern und Unternehmen. Je kleiner die Firma, umso weniger werde sie von Analysten gecovert werden, sagte er: „Es braucht Transparenzvorschriften.“
Turnaround oder Luftblase?
Um das Ruder bei der Börsenskepsis von Kleinanlegern und kleineren Firmen herumzureißen, brauche es vieles mehr, so der gemeinsame Tenor von Opposition, Regierung und Börsenchef Christoph Boschan: allen voran eine Deregulierung, eine „massive Vereinfachung“(Löger) bei den Anforderungen ans Börsenprospekt, dazu eine Herabsetzung der einst auf 27,5 Prozent erhöhten Aktiengewinnsteuer, die viele Anleger vertrieben habe, und eine Wiedereinführung der Spekulationsfrist. Und parallel dazu natürlich die Förde- rung der Finanzbildung in- und außerhalb der Schule.
Das Regierungsprogramm ist „eine notwendige, aber keine ausreichende Maßnahme“, um den Turnaround zu schaffen, so Boschan.
Aber allein beim dritten Markt macht schon ein Blick nach Deutschland Mut: Dort wurde vor gut einem Jahr das Börsensegment Scale für den Mittelstand eröffnet. 50 kleinere Firmen haben seither ein IPO vollzogen. Und sie performten mit einem Einjahresplus von 22,8 Prozent deutlich besser als der große DAX (1,4 Prozent). Der Preis jedoch ist eine höhere Volatilität. Für heuer werden knapp zehn weitere Börsengänge erwartet.