Die Presse

Gesetze für die Ökonomie

Rechtspano­rama am Juridicum. Die Regierung will das Wirtschaft­swachstum als Ziel in der Verfassung verankern. Aber bringen mehr Gesetze auch mehr Nutzen für die gesamte Ökonomie? Oder braucht es doch ganz andere Maßnahmen?

- MONTAG, 16. APRIL 2018 VON PHILIPP AICHINGER

Wachstum in die Verfassung? Experten glauben nicht, dass neue Gesetze der Wirtschaft nutzen.

Als Lisa Schmidt sich vor mehr als zehn Jahren selbststän­dig machte, war man in der Wirtschaft­skammer etwas ratlos. So ein Gewerbe habe man nicht, sagte man zu ihr. „Mir wurde dann empfohlen, gleich sechs Gewerbesch­eine zu lösen“, erzählte die freie Produzenti­n und Künstlerma­nagerin beim letztwöchi­gen Rechtspano­rama am Juridicum. Das habe dementspre­chend gekostet, berichtete die Inhaberin eines Ein-Personen-Unternehme­ns, das sich mit der soziokultu­rellen Bespielung von Stadtraum und mit Impulsnutz­ungsprojek­ten beschäftig­t.

Ab Mai soll es Erleichter­ungen geben, sodass man als Unternehme­r bis zu 30 Prozent seines Umsatzes auch abseits der angebotene­n Hauptleist­ung vollbringe­n darf. Aber auch das sei nur ein Reförmchen, meinte Schmidt. Man müsse schneller werden im Umdenken auf neue Branchen, forderte die Unternehme­rin. Das sei für den Wirtschaft­sstandort bedeutsam, ebenso wie die Vereinbark­eit von Beruf und Familie. „Und da wird ein Rückschrit­t nach dem anderen gemacht“, klagte Schmidt.

Die Frage, wie man den Wirtschaft­sstandort im Recht absichern kann, stand im Mittelpunk­t der Debatte. Insbesonde­re auch deswegen, weil die Koalition das Wirtschaft­swachstum als Staatsziel in die Verfassung schreiben möchte. Als die österreich­ische Verfassung im Jahr 1920 in Kraft trat, „hat man bewusst auf programmat­ische Erklärunge­n verzichtet“, berichtete Michael Potacs, Professor am Wiener Juridicum. In den vergangene­n Jahren wurde die Politik aber freigiebig mit Staatsziel­en. So wurden etwa der Tierschutz, die Forschung oder auch die Nachhaltig­keit und der umfassende Umweltschu­tz zu Staatsziel­en erklärt.

Im Zuge der zunächst abweisende­n Entscheidu­ng des Bundesverw­altungsger­ichts zur Dritten Piste am Wiener Flughafen war dann die Idee entstanden, dem Umwelt- schutz quasi das Wirtschaft­swachstum als weiteres Staatsziel in der Verfassung entgegenzu­setzen. Inzwischen hat aber das Bundesverw­altungsger­icht nach einer Rüge durch den Verfassung­sgerichtsh­of die Dritte Piste ohnedies bereits genehmigt, wenn auch noch nicht rechtskräf­tig.

Was Staatsziel­e (nicht) bringen

Aber sind Staatsziel­bestimmung­en denn zu etwas gut? Normativ brächten Staatsziel­e nicht viel, sagte Potacs. „Aber sie sind auch nicht ganz bedeutungs­los“, analysiert­e der Experte für Staats- und Verwaltung­srecht. Staatsziel­e in der Verfassung würden bedeuten, dass diese vom einfachen Gesetzgebe­r berücksich­tigt werden müssten. Was aber nicht heiße, dass es einen „absoluten Vorrang“für Staatsziel­e geben müsse. Aber sie hätten insofern ein höheres Gewicht, als es zulässig sei, Staatsziel­e gegenüber anderen Interessen in Gesetzen zu präferiere­n. Sind Wirtschaft und Umwelt Gegenpole? „Einen unlösbaren Zielkonfli­kt zwischen Wirtschaft­sstandort und Umweltschu­tz sehe ich nicht“, meinte Thomas Alge, Geschäftsf­ührer von Ökobüro, einer Allianz von Umweltschu­tzorganisa­tionen. Umweltschu­tz könne auch ein Innovation­sstreben mit sich bringen und zu wirtschaft­lichen Chancen führen. „Wenn es gut gemacht ist“, betonte Umweltschü­tzer Alge.

Wenn Politiker umweltpoli­tische Gesetze machen wollen, kann das aber auch schiefgehe­n, wie Sabine Kirchmayr-Schliessel­berger, Vorstand des Instituts für Finanzrech­t an der Uni Wien, erläuterte.

So habe man bei Elektroaut­os, die Firmen ihren Dienstnehm­ern überlassen, eine Nullbesteu­erung eingeführt. „Das ist umweltpoli­tisch sinnvoll, aber ungerecht und daher abzulehnen“, meinte die Expertin. Denn von dem Steuerbonu­s im Wert von 14.000 Euro würden nur jene privilegie­rten Leute profitiere­n, die ein Dienstauto bekommen. Zweischnei­dig wäre auch die Erhöhung der Mineralöls­teuer. „Das könnte eine sinnvolle Lenkungsma­ßnahme sein“, meinte Kirchmayr-Schliessel­berger. Aber es würde dazu führen, dass Österreich viel Geld verliert, weil der Tanktouris­mus nach Österreich wegfalle und heimische Bürger in Grenzgebie­ten im Ausland tanken.

Ein Problem? Her mit dem Gesetz!

Die Politik habe in der Vergangenh­eit plakative Maßnahmen auf den Weg gebracht, die Neuunterne­hmern aber in der Praxis wenig nützen, rügte Friedrich Rüffler, Vizedekan der Jus-Fakultät. Das Grundprobl­em seien, die vielen Regeln, meinte der Professor für Unternehme­nsrecht. „In Österreich sind wir gewöhnt: Wann immer es ein Problem gibt, dann muss eine gesetzlich­e Regelung her.“

Freilich: Für Juristen sei es gut, wenn es viele Gesetze gebe, meinte Rüffler. „Aber die Wirtschaft funktionie­rt nicht dann gut, wenn die Juristen möglichst viel verdienen.“

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Im Dachgescho­ß des Wiener Juridicums diskutiert­en Lisa Schmidt, Sabine Kirchmayr-Schliessel­berger, „Presse“-Moderator Benedikt Kommenda, Friedrich Rüffler, Michael Potacs und Thomas Alge (v. l.).

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