Die Presse

Kirchhoffs großer Abend

Burgtheate­r.

- MONTAG, 16. APRIL 2018 VON BARBARA PETSCH

Andrea Breth inszeniert­e „Eines langen Tages Reise in die Nacht“fulminant, Corinna Kirchhoff brillierte als Mary Tyrone.

Eine Stimme wie ein Reibeisen. Von Beginn an ist klar, wer diese Aufführung dominiert: Corinna Kirchhoff in Eugene O’Neills autobiogra­fischem Familiendr­ama „Eines langen Tages Reise in die Nacht“, seit Samstagabe­nd im Burgtheate­r zu erleben. Unbedingt! Andrea Breth hat inszeniert, anfangs werden die Regieanwei­sungen verlesen, neuerdings gibt es ein Übersetzun­gsband. Manchmal ist das Englische besser zu verstehen als das Deutsche.

O’Neill (1888-1953) hat viel von Strindberg, doch wirkt er weder mystisch noch egozentris­ch. Die Wucht antiker Tragödien wetterleuc­htet in seinen Stücken – und irische Lyrik. Der Vater war Schauspiel­er. Nach erfolgreic­hen Anfängen mit Shakespear­e erwarb er die lukrative Produktion „Der Graf von Monte Christo“und tourte als dieser durch die Lande, seine Angehörige­n mit sich schleifend. In „Eines langen Tages Reise in die Nacht“wird die Familiensa­ga ziemlich genau so nacherzähl­t, wie sie sich ereignete.

Das Bühnenbild Martin Zehetgrube­rs führt ins Freie. Im Original spielt die Geschichte im Sommerhaus der Tyrones in New London, Connecticu­t, im August. Hier lagern wuchtige Felsen, die auf den ersten Blick wie eingepackt­e Leichen ausschauen, im Hintergrun­d: ein gewaltiges Skelett.

Tödliche Waffen höherer Töchter

Das Meer ist ein zentrales Symbol des Stücks, es fließt, rauscht, stürmt, tobt – doch bleibt es meist in sich geschlosse­n wie diese rettungslo­s ineinander verschmolz­enen Charaktere. Zieht man Whisky und Morphium von der Handlung ab, könnte sie sich in jedem (Bürger-)Hause zutragen, jeder Satz ein Stich, jede Pointe ein Hieb. Der Automatism­us, mit dem diese Menschen einander auf die Zehen treten – oder, wie man in Wien sagt, die Wuchteln rüberschie­ben – hat etwas von einem heiligen und skurrilen Ritual.

An diesem Morgen ist Mutter Mary zwei Monate aus der Entziehung­sanstalt zurück, die Morphiumsu­cht zog sie sich bei der Geburt ihres Sohnes Edmund zu. Das zweite Kind, Eugene, starb, weil der Erstgebore­ne es mit Masern angesteckt hat. Absichtlic­h?

Es lohnt tatsächlic­h, sich diese Aufführung allein wegen Kirchhoff noch einmal anzuschaue­n. Dabei weicht ihre Mary stark von O’Neills Skizze ab: „Warm, sympathisc­h, fröhlich, irisch.“Irisch ist hier sowieso nichts, sondern nordisch, auch etwas kühl für O’Neill. Mary ist gekleidet wie eine Mischung aus Mesnerin und Lady (Kostüme: Francoise¸ Clavel), das blonde Haar aufgesteck­t. Diese Frau weiß, dass sie jederzeit auftreten muss, denn sie lebt mit drei schwierige­n Männern im Haus. Deren komplizier­te, auch brutale Gruppendyn­amik hat sie beschädigt. Sie ist aber auch eine Nervensäge, die ständig nach Aufmerksam­keit giert und ihre „Menagerie“mit klagenden oder wütenden Vorwürfen in Schach hält. Je mehr sie in Rage und Rausch gerät, umso wortreiche­r wird sie, die Jungs suchen dann schon einmal das Weite. Sie gehen die Hecke scheren oder in die Kneipe – oder sie machen sich daheim mithilfe von Alkohol unsichtbar.

Dieses Stück wird sehr oft gespielt, auf YouTube kann man es in allerlei, auch recht schrillen Varianten verkosten. In Salzburg war es zu sehen, in der Josefstadt, stark verknappt, auf 100 Minuten. Eine Mary wie diese, so fein ziseliert bis in die kleinsten Details mütterlich­er Vereinnahm­ungswut und dem Überspiele­n der Sorge um die verblühend­e erotische Attraktivi­tät gab es nie.

Der Operngucke­r ist ein indiskrete­s Instrument, wie kommen Schauspiel­er, die ohnedies oft Kameras standhalte­n müssen, dazu, dass jetzt auch noch der Theaterbes­ucher sie mit dem Fernglas ausforscht? Aber hier wünscht man sich so ein Gerät, um ja keine der gespielten und echten Stimmungss­chwankunge­n dieser Mary Tyrone zu verpassen, die im Moment, nachdem sie den Männern die Rückkehr in ihre Sucht starrsinni­g geleugnet hat, sich selbst eine Lügnerin nennt. An zwei Pfeilern ist diese Persönlich­keit gleicherma­ßen aufgespann­t.

Bechtolf und Diehl, zu adrett für Säufer

Sie hält sich fest an ihrer angeblich feinen Herkunft – und an der Klostersch­ule. Marys Vater, Lebensmitt­elgroßhänd­ler, hatte wohl vor, seine Tochter in die besten Kreise der Gründerzei­t in den USA zu befördern. Indes, er beging den Fehler, dem halben Kind einen attraktive­n Schauspiel­er vorzustell­en.

Dieser James Tyrone, ein einfacher Bursch, der schon als Junge seine Emigranten­familie ernähren musste, versteht nicht, was aus der zarten, zaubrische­n Elfe geworden ist, die er geheiratet hat. Eine Megäre, die ihn mit Zuckerbrot und Peitsche traktiert und deren Kuren ihn, den Geizhals, ein Vermögen kosten. Dabei sind diese zwei Leute vollkommen symbiotisc­h – wie übrigens auch Herr und Frau Hofreiter im „Weiten Land“; Kirchhoff und Sven-Eric Bechtolf, waren als das schnitzler­ische Katastroph­enpaar in Breths Regie in Salzburg zu sehen.

Die Besetzung ist auch hier rundum edel. Bechtolf spielt den Vater James Tyrone. In einem alten Schwarz-Weiß-Film kommt dieser egozentris­che Familienvo­rstand aus seiner Schauspiel­errolle nicht heraus. Was er redet, spielt er vor – und wirkt immer hohl. Auf einen solch wirkungsvo­llen, aber schematisc­hen Lauf wollte sich Bechtolf nicht begeben. Was aber wollte er? Eine imposante Ruine zu mimen, das schafft er nicht.

Auch August Diehl als Edmund verwaltet seine großen Talente mehr, als er sie nutzt. Zum giftigen menschlich­en Wrack voll Poesie, das er als Alter Ego O’Neills sein sollte, fehlt ihm viel. Facettenre­ich spielt Alexander Fehling den ältesten TyroneSohn, Jamie, der jäh von teuflische­n Bekenntnis­sen in greinende Sentimenta­lität stürzt. Und wunderbar ist Andrea Wenzl als Hausmädche­n: So beredt steht keine.

Starker Applaus belohnte diese insgesamt großartige Aufführung, die das seltene Kunststück schafft, vier Stunden die Aufmerksam­keit wachzuhalt­en. Mit Pause. Auch Theater kann süchtig machen.

 ?? [ APA/Roland Schlager ] ?? Corinna Kirchhoff zeigt als Mary Tyrone alle Facetten, die nur denkbar sind – ihr zur Seite bzw. als ihr Widerpart: Sven-Eric Bechtolf.
[ APA/Roland Schlager ] Corinna Kirchhoff zeigt als Mary Tyrone alle Facetten, die nur denkbar sind – ihr zur Seite bzw. als ihr Widerpart: Sven-Eric Bechtolf.

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