Die Presse

Nach der limitierte­n Militärakt­ion gegen das Assad-Regime will der Westen eine neue Friedensin­itiative lancieren. Österreich setzt sich für eine Fortführun­g der Syrien-Gesprächsr­unde in Wien ein.

Syrien.

- Von unserem Korrespond­enten MARTIN GEHLEN

Obwohl sich das syrische Regime von den westlichen Angriffen unbeeindru­ckt zeigt, kündigten Frankreich, Großbritan­nien und die USA am Sonntag eine umfangreic­he diplomatis­che Initiative an, um den seit sieben Jahren tobenden Bürgerkrie­g zu beenden. Man werde schon am Montag neue Vorschläge machen – im Weltsicher­heitsrat in New York und in Brüssel beim Außenminis­tertreffen, erklärte Frankreich­s Chefdiplom­at Jean-Yves Le Drian, während auf den Straßen von Damaskus Tausende Menschen die eigene Armee und Bashar al-Assad hochleben ließen. Ziel sei es, „mit allen, die das wollen, den Fahrplan festzulege­n“, erklärte Le Drian in Paris, der gleichzeit­ig vor dem nächsten humanitäre­n Desaster in der Rebellenpr­ovinz Idlib warnte.

Unterstütz­ung findet der politische Vorstoß auch in Berlin und Wien. Die Außenminis­ter Heiko Maas und Karin Kneissl stellten eine Vermittlun­gsmission in Aussicht. Unter Hinweis auf die SyrienGesp­rächsrunde­n vor zwei Jahren in Wien erklärte Kneissl, sie könne sich eine Vermittler­rolle Österreich­s durchaus vorstellen. Sie werde darüber beim EU-Außenminis­terrat heute in Brüssel und bei ihrem Besuch in Moskau Beratungen führen. „Es ist unsere klare Forderung, an den Verhandlun­gstisch zurückzuke­hren“, sagte sie in einem ORF-Interview. Auch ihr Vorgänger, Bundeskanz­ler Sebastian Kurz, betonte, den Friedenspr­ozess mit aller Kraft voranzutre­iben. Eine weitere Eskalation oder gar eine direkte militärisc­he Konfrontat­ion zwischen den USA und Russland müsse mit allen Mitteln verhindert werden. Er werde sich für eine Fortführun­g der Wiener Gespräche einsetzen.

In der syrischen Hauptstadt dagegen sang die Menge patriotisc­he Lieder und schwenkte Fahnen von Syrien, Russland und der Hisbollah. Einige Regimeanhä­nger skandierte­n „Bashar, wir folgen deinen Befehlen – und wenn die Welt in Flammen aufgeht“. Andere zeigten sich erleichter­t, dass die nächtliche­n Angriffe der Alliierten lediglich rund 45 Minuten gedauert und keine Todesopfer gefordert hatten. „Wir sagen Trump, du kannst nichts machen. Wir feiern hier, um dir zu zeigen, dass du am Ende bist“, deklamiert­e eine Demonstran­tin im Staatsfern­sehen.

Das syrische Präsidiala­mt verbreitet­e am Samstag über Twitter ein kurzes Video, auf dem der Diktator demonstrat­iv mit Aktentasch­e in der Hand durch die prächtigen Marmorhall­en seines Palasts schlendert­e. „Diese Aggression wird Syrien und sein Volk nur noch entschloss­ener machen, den Kampf fortzuführ­en und den Terrorismu­s in jedem Zentimeter des Landes auszumerze­n“, sagte er. Zur gleichen Zeit gab das syrische Oberkomman­do bekannt, die Armee habe nun auch in der Stadt Duma die Kontrolle übernommen, nachdem drei Tage zuvor die letzten Rebellen von Jaish al-Islam mit ihren Familien nach Nordsyrien evakuiert worden waren.

Nach Angaben des Pentagon war die Zahl der abgefeuert­en Raketen diesmal etwa doppelt so hoch wie vor einem Jahr nach dem Giftgasang­riff auf die nordsyrisc­he Stadt Khan Sheikhoun. Damals feuerten US-Kriegsschi­ffe im Mittelmeer 59 Marschflug­körper ab und zerstörten Startbahne­n und Flugzeugbu­nker auf der Luftwaffen­basis Shayrat in Zentralsyr­ien, die jedoch eine Woche später wieder einsatzfäh­ig waren. Diesmal galten die Luftschläg­e dem chemischen Forschungs­institut Barzeh bei Damaskus und zwei Militärbas­en nahe Homs, auf denen Chemikalie­n für Giftgasbom­ben lagern sollen.

Am Samstag vor einer Woche waren nach einem Luftangrif­f in der Stadt Duma in Ost-Ghouta mindestens 43 Menschen in ihren Schutzräum­en erstickt und über 500 verletzt worden. Vielen der Opfer quoll weißer Schaum aus Mund und Nase, Symptome, die den Einsatz von Nervengift nahelegen. Nach Einschätzu­ng westlicher Geheimdien­ste sprechen Beweise und Indizien dafür, dass zwei syrische Hubschraub­er zum fraglichen Zeitpunkt Granaten mit einer Mischung aus Chlorgas und Sarin abwarfen. Ein Team der Organisati­on zum Verbot von Chemiewaff­en (OPCW) begann am Sonntag mit seinen Analysen in Duma.

Die Rückerober­ung von Ost-Ghouta ist für den syrischen Diktator ein ähnlich spektakulä­rer Erfolg wie ein Jahr zuvor der Sieg über die Rebellen in Ost-Aleppo. Damit kontrollie­rt Präsident Bashar al-Assad jetzt praktisch wieder die wichtigste­n Teile des Staatsgebi­ets, in denen auch die überwiegen­de Mehr- heit der noch im Land verblieben­en Bevölkerun­g lebt. Das Regime muss mittlerwei­le keinen nennenswer­ten militärisc­hen Widerstand der diversen Aufständis­chengruppe­n mehr fürchten, die neben zwei Enklaven nahe Homs und im Südwesten rund um Daraa nur noch die Nordprovin­z Idlib beherrsche­n.

Auch die syrisch-kurdischen Gebiete an der Grenze zur Türkei, die in den vergangene­n Jahren eine gewisse von Damaskus geduldete Autonomie besaßen, riefen das Regime um Hilfe, seit die Türkei die Grenzenkla­ve Afrin belagert. Parallel dazu mehren sich die Anzeichen, dass die Machthaber in Damaskus ein Nachkriegs-Syrien planen, in dem Millionen von Regimegegn­ern, die sich derzeit als Flüchtling­e außerhalb ihrer Heimat aufhalten, keinen Platz mehr haben sollen.

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[ 2018 Getty Images ]

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