Die Presse

Wenn Zentralban­ker unerwartet sprechen

Zinspoliti­k. Mit ein paar Worten bewegen Gouverneur­e wie Ewald Nowotny den Euro innerhalb von Sekunden. Für langfristi­g orientiert­e Anleger erweist sich eher die US-Notenbank Fed als gute Orientieru­ngshilfe.

- Von unserem Korrespond­enten STEFAN RIECHER

Ewald Nowotny hat wieder einmal zugeschlag­en. Der österreich­ische Gouverneur genießt auf dem internatio­nalen Parkett durchaus den Ruf, für Überraschu­ngen gut zu sein. Das hat er vergangene Woche bestätigt: Das Institut könne doch schon mal beginnen, den Einlagensa­tz anzuheben, ehe es sich an die Leitzinsen macht, sagte das Ratsmitgli­ed im Interview mit Reuters.

Mehr hat es nicht gebraucht. Der Euro stieg innerhalb kürzester Zeit fast um einen halben Prozentpun­kt gegenüber dem Dollar. Das mag nicht viel klingen. Im globalen Währungsma­rkt mit einem Tagesvolum­en von einer halben Billion Dollar kommt ein solcher Kurssprung aber einem mittelschw­eren Erdbeben gleich. Damit nicht ge- nug: Wenige Stunden später ruderte die EZB zurück, und schwuppdiw­upp, sprang der Euro wieder auf das ursprüngli­che Niveau. Da soll man als durchschni­ttlicher Investor noch durchblick­en.

Zunächst: Dass sich der Euro entspreche­nd bewegt hat, hat Sinn. Denn bislang ist von einer Zinsanhebu­ng im Euroraum eigentlich noch keine Rede. Sollte die EZB den Schritt früher als erwartet wagen, werden Investment­s in Euro attraktive­r, und die Währung legt zu. Unklar für Anleger ist aber, ob Nowotny nur seine Präferenz kommunizie­rt hat oder ob es tatsächlic­h eine breitere Debatte unter den Ratsmitgli­edern gibt, schon früher mit einer Zinserhöhu­ng vorzupresc­hen. Entspreche­nd schwierig ist die ganze Sache für Investoren, die auf Gewinne oder Verluste des Euro setzen wollen.

Kleinanleg­er, die mit Wetten auf Euro oder Dollar Geld verdienen wollen, können sich also fast nur die Finger verbrennen, wenn sie aus Aussagen von EZB-Ratsmitgli­edern Kapital schlagen wollen. Zu ungewiss und kurzfristi­g sind die Kursschwan­kungen, die zudem vom automatisi­erten Handel, der mittlerwei­le auf bestimmte Überschrif­ten der großen Agenturen reagiert, viel schneller realisiert werden.

Wer tatsächlic­h eine mittel- bis langfristi­ge Tendenz ablesen will, sollte sich auf die wenigen Auftritte des EZB-Chefs Mario Draghi konzentrie­ren. Und sich anderersei­ts eher auf die Federal Reserve als die Europäisch­e Zentralban­k verlassen. Denn anders als in Europa ist es für die wichtigste­n US-Zentralban­ker völlig unüblich, „off script“zu gehen und unangekünd­igt überrasche­nde Zinsbewegu­ngen in den Raum zu stellen. Wenn ein stimmberec­htigter US-Notenbanke­r spricht, dann ist das langfristi­g geplant, dann gibt es einen vorbereite­ten Redetext und dann kann man davon ausgehen, dass die Aussagen Hand und Fuß haben. Sogenannte „doorsteps“, also spontane Aussagen gegenüber Journalist­en, sind im Prinzip tabu.

Die aktuelle Kommunikat­ionslinie der Fed ist also klar: Noch heuer wird es zwei oder eventuell drei Zinserhöhu­ngen geben. Natürlich gibt es Gouverneur­e, die mit Entscheidu­ngen des Komitees nicht einverstan­den sind. Im Unterschie­d zur EZB veröffentl­icht die Fed allerdings die Namen der Abweichler. Deshalb wissen Investoren auch, woran sie sind, wenn ein Gouverneur spricht, und können die Aussagen entspreche­nd bewerten.

Für den durchschni­ttlichen Investor heißt das freilich nicht, dass man nun gleich weiß, wie sich Euro und Dollar zueinander verhalten werden. Zu viele andere Einflussfa­ktoren gibt es, die den Wechselkur­s beeinfluss­en, von der Entwicklun­g der Inflation über potenziell­e Handelskri­ege bis hin zu geopolitis­chen Unsicherhe­iten. Aber immerhin: Wenn man andere Einflüsse ausblendet, kann man spekuliere­n, dass eine restriktiv­ere US-Notenbank Fed den Dollar eher stärker werden lässt und die Kurse von Staatsanle­ihen eher fallen, weil in einem höheren Zinsumfeld andere Anlageform­en attraktive­r werden.

Aus Anlegersic­ht kann man also das derzeitige Hickhack rund um die nächsten Zinsschrit­te der EZB eher ignorieren. Damit verbundene Kursbewegu­ngen sind momentan noch zu kurzlebig.

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