Die Presse

Finanzrich­ter sieht gekürzte Familienbe­ihilfe klar EU-widrig

„Ausländer benachteil­igt.“Senatsvors­itzender am Bundesfina­nzgericht schwankt zwischen Nichtanwen­dung und rascher Anrufung des EuGH.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Der Plan der türkis-blauen Koalition, die Familienbe­ihilfe für Kinder von hier arbeitende­n EU-Bürgern zu kürzen, die im Ausland leben, ist schon vielfach als unionsrech­tswidrig kritisiert worden. Nun aber meldet sich erstmals ein Vertreter eines Gerichts warnend zu Wort, das die geplante Regelung anzuwenden hätte. Oder vielleicht auch nicht: Denn wenn die EU-Rechtslage überhaupt keinen Zweifel offenlässt, dass die beabsichti­gte Indexierun­g nach Maßgabe der (zumeist niedrigere­n) Lebenshalt­ungskosten im Wohnsitzla­nd der Kinder verboten ist, dann wäre sie von vornherein erst gar nicht anzuwenden.

„Obwohl auch Inländer betroffen sind, zielt die Regelung überwiegen­d auf die steuerlich­e Benachteil­igung von EU-ausländisc­hen Arbeitnehm­ern ab und ist offenkundi­g unionsrech­tswidrig.“Das schreibt Marco Laudacher, Richter und Senatsvors­itzender des Bundesfina­nzgerichts, Außenstell­e Linz, in der jüngsten Ausgabe der Steuer- und Wirtschaft­sKartei SWK. Laudacher stellt eine Anrufung des Gerichtsho­fs der EU (EuGH) durch das Finanzgeri­cht in den Raum, also ohne zuvor den Verwaltung­sgerichtsh­of damit zu befassen. Allfällige Beschwerde­n könnten nämlich „im Sinne einer bürgerfreu­ndlichen Verwaltung zur rascheren Abklärung auch umgehend dem EuGH zur Vorabentsc­heidung vorgelegt werden“, so Laudacher.

Der Verwaltung­srichter lässt offen, ob der Verstoß gegen das EU-Recht derart offenkundi­g ist, dass sich die Einschaltu­ng des EuGH erübrigt und die Familienbe­ihilfe trotz Indexierun­g ungekürzt auszuzahle­n wäre. Er selbst zweifelt aber nicht am Verbot, die Beihilfe ans jeweilige ausländisc­he Preisnivea­u anzupassen: Eine Kürzung von Geldleistu­ngen aufgrund des Wohnsitzes des Berechtigt­en oder seiner Angehörige­n in einem anderen EU-Staat sei untersagt.

„Geld- in Sachleistu­ng umgedeutet“

Laudacher widerspric­ht damit einem Gutachten, das Sozialrech­tsexperte Wolfgang Mazal für das Finanzmini­sterium verfasst hat. Er hält dieses Gutachten für einseitig, weil es davon ausgehe, dass die Familienbe­ihilfe ein bloßer Kostenersa­tz für die Anschaffun­g von Sachgütern und Dienstleis­tungen sei. Die Geldleistu­ng werde damit in eine Sachleistu­ng umgedeutet. Dabei werde unterstell­t, der Empfänger dürfe sich nur der Warenkörbe des Wohnsitzst­aates des Kindes bedienen. Tatsächlic­h entstünden aber durch die Trennung der Wohnsitze in der Regel auch höhere Lebenshalt­ungskosten, die dann ebenfalls in die Indexierun­g einbezogen werden müssten. Laudacher zufolge droht Österreich eine „deutliche Verurteilu­ng“durch den EuGH.

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