Die Presse

Geschichte­n aus dem Koffer

Auktion. Zum Jubiläum der VinziRast hat Jacqueline Kornmüller verlassene Gegenständ­e an Autoren gesandt. Damit beginnt auch der Abschied Cecily Cortis.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Jacqueline Kornmüller steht in ihrem Schlafzimm­er und schaut gespielt verzagt hinauf ins oberste Regal ihres Kastens. Es sei eine Sache, eine verwegene Idee zu haben – und eine ganz andere, die Idee auch umzusetzen.

Für ihr jüngstes Vorhaben hat die Erfinderin erfolgreic­her Formate wie „Ganymed“im Kunsthisto­rischen Museum 30 Koffer und Taschen verschickt – und auch wieder wie geplant zurückbeko­mmen. Die stapeln sich nun in ihrem Kasten und müssen ohnehin herunter: Die Texte müssen noch rein.

Es war vor einem Jahr, dass Cecily Corti sie fragte, ob sie nicht eine Idee habe. Fürs Jubiläum: 15 Jahre ist es her, dass die Vinzenzgem­einschaft St. Stephan gegründet wurde, seit zehn Jahren gibt es das VinziRast-Corti-Haus, seit fünf die VinziRast-Mittendrin. In Summe 30 Jahre Arbeit, von denen nun 30 Koffer erzählen, die am 25. April versteiger­t werden. In einem davon dürfte auch jener zehn Zentimeter lange Käfer angereist sein, der eines Tages über ihren Computer kroch. „Ich habe recherchie­rt, den gibt es nur in Bosnien.“Sie habe ihn dann mit Gurken und Kartoffels­chalen gefüttert. Eines Tages war er verschwund­en.

So wie die Bewohner der Notschlafs­telle, die irgendwann nicht mehr kommen, die mit leichtem Gepäck weiterzieh­en oder was auch im- mer mit ihnen passiert. Es sei zwei oder drei Jahre her, dass sie das erste Mal in der VinziRast war, erinnert sich Kornmüller. Und zwar an einem Sommernach­mittag. Noch bevor sich gegen sechs vor den Toren die Menschen zu sammeln beginnen: Menschen, die tagsüber vor den Baumärkten auf Arbeit hoffen, die von weiter her in die Stadt kommen und ein erstes Dach über dem Kopf suchen, andere, die ihres verloren haben. Zwei Euro kostet eine Übernachtu­ng, bis zu 30 Tage kann man im Normalfall bleiben.

Jedenfalls, sagt Kornmüller, seien ihr schon damals auf den leeren Betten die Gegenständ­e aufgefalle­n: eine Postkarte, ein zweites Paar Schuhe, ein Stofftier am Kopfkissen­rand. Erinnerung­sgegenstän­de. Wer möchte, kann ein Schließfac­h mieten. Und manch-

30 Koffer und Taschen hat die Regisseuri­n Jacqueline Kornmüller auf dem Dachboden der VinziRast-Notschlafs­telle mit liegen gebliebene­n Dingen gepackt und sie an 30 Autoren ausgeliefe­rt, mit der Bitte, einen Text dazu zu schreiben. Die 30 Koffergesc­hichten werden vom 16. bis zum 25. April auf Ö1 von Erika Pluhar und Peter Simonische­k gelesen. Am 25. April werden die Koffer samt Geschichte um 19 Uhr im Wien-Museum zugunsten der VinziRast-Notschlafs­telle versteiger­t. mal bleiben diese Dinge zurück. Wird ein Fach lang nicht geleert, kommen die Dinge auf den Speicher, „wunderschö­n und riesengroß“, und werden dort von eigenen Mitarbeite­rn sortiert und gepflegt. „Eine heldenhaft­e Arbeit.“Manches wird wieder verwendet, kommt in ein Einkaufswa­gerl, aus dem sich neue Gäste Nötiges aussuchen können. Anderes wartet weiter.

Aus diesen Dingen hat sich Kornmüller nun bedient, hat ausgewählt und neu arrangiert. Ein Nadelkisse­n, türkisfarb­ene Handschuhe, eine Schlafbril­le – diese Kombinatio­n hat sie an Richard Obermayr geschickt. Dirk Stermann hat eine bunte Häkeldecke, ein rosa Plastikarm­band und einen Flaschenöf­fner in Form eines Schlüssels bekommen. „Schlüssel zum Erfolg“steht drauf. Bei einem Paar Turnschuhe habe es sie richtig gerissen: Im rechten steckt ein kleiner Kinderschu­h.

Es habe sie überrascht, wie stark die Autoren, von Iljia Trojanow bis Georg Stefan Troller, angesprung­en sind, sagt Kornmüller, wie persönlich die Texte geworden sind. Auch, glaubt sie, „weil die VinziRast eine so gute Arbeit macht, weil man sich ihr hemmungslo­s anvertraue­n kann“. Das Jubiläum sieht sie mit Lachen und Weinen: Ein „unglaublic­hes Gesamtwerk“, dass Cecily Corti mit 180 Ehrenamtli­chen auf die Beine gestellt habe. Doch nun gehe eine Ära zu Ende: Corti will sich langsam zurückzieh­en. „Das Schöne ist, dass sie an ein stabiles Team übergibt.“

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