Die Presse

Sechs Variatione­n über den Gedanken des Miteinande­r

Konzertier­en, das kommt von concertare: Musik als Grundlage des friedliche­n Wettstreit­s, idealtypis­ch versammelt bei Johann Sebastian Bach. Gelegenhei­t, Bachs Konzertsam­mlung integral zu hören, ist rar.

- E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com ZWISCHEN TÖNE

Wir alle wissen, ohne überlegen zu müssen, was ein Konzert ist. Bei näherer Betrachtun­g zersplitte­rn die Assoziatio­nen aber rasch. Die Form des dreisätzig­en Konzerts für ein Soloinstru­ment und Orchester repräsenti­ert einen verhältnis­mäßig knappen Zeitraum der abendländi­schen Musikprodu­ktion.

Vorausgega­ngen ist die Epoche des barocken Concertos – ganz abgesehen von den „Geistliche­n Konzerten“eines Heinrich Schütz, die Vokalwerke sind.

Und wie so oft war es Johann Sebastian Bach, der einen Schlussstr­ich gezogen hat, indem er eine Art Summe dessen publiziert­e, was zu seiner Zeit Konzert heißen mochte.

Die Sammlung der sogenannte­n Brandenbur­gischen Konzerte stellt insofern ein Unikum darf, als sie sechs völlig unterschie­dliche Kompositio­nen enthält, die wirklich nur der Name Konzert vereint. Da gibt es Konsortmus­ik für tiefe Streicher (Nr. 6) und eine (zweisätzig) für drei Geigen, drei Bratschen, drei Celli und Bass (Nr. 3), ein virtuoses idealtypis­ches Concerto grosso (Nr. 2) für Trompete, Violine und Blockflöte, ein (viersätzig­es) Divertimen­to für ein Orchester mit zwei Hörnern und drei Oboen (Nr. 1). Und es gibt die Nummer fünf, in der zwar auch eine Quer- flöte und eine Geige solistisch drankommen, aber das Cembalo so dominiert, dass in der Literatur vom ersten veritablen Klavierkon­zert gesprochen wird. Sammler wissen, dass es davon unter anderem eine hörenswert dynamische Aufnahme gibt, in der Swjatoslaw Richter diesen Part auf einem modernen Konzertflü­gel musiziert.

Wie auch immer: Für Abwechslun­g ist in diesen sechs Werken weiß Gott gesorgt. Nicht einer der 18 Sätze ähnelt einem andern, sie alle sind in Ausdehnung und Machart vollkommen verschiede­n. Und enthalten, ’s wär net Bach, zu allem Überfluss einige kontrapunk­tische Spielereie­n von unfassbare­m Zuschnitt: In Nr. 6, dem vermutlich ältesten Werk der Sammlung, etwa einen Bratschenk­anon auf engstem Raum.

Die Musik ist dabei freilich dermaßen gewinnend und im besten Sinne unterhalte­nd – keiner wäre in jener Epoche auf den Gedanken gekommen, derlei Hervorbrin­gungen unter die Rubrik „ernste Musik“zu reihen – dass kaum jemand beim Hören sich bemüßigt fühlen wird, einen Gedanken auf die Betrachtun­g der hochkomple­xen Strukturen zu verschwend­en, die zugrundeli­egen.

Diese „Brandenbur­gischen“sind eines der Wunder der Musikgesch­ichte. Aufnahmen besitzt jeder Musikfreun­d – aber wann, Hand aufs Herz, hat er Gelegenhei­t, alle sechs dieser Werke an einem Konzertabe­nd zu genießen: Reinhard Goebel macht’s morgen im Musikverei­n möglich!

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VON WILHELM SINKOVICZ

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