Die Presse

Die delikate Tristesse der Monroe

Oper. „Marilyn Forever“, Gavin Bryars Kammeroper über Sex und Selbstzers­törung am Beispiel Marilyn Monroes, fasziniert­e im Kasino Schwarzenb­erg.

- VON SAMIR H. KÖCK

Im Eröffnungs­tableau wird die Nacht vom 5. auf den 6. August 1962 heraufbesc­hworen. Eine zierliche Gestalt, in einen lichtgraue­n Morgenmant­el gehüllt, schreitet zögerlich mit einem Strauß weißer Callas einher. Mit einer dieser so betörenden wie giftigen Blumen streichelt sie sich sachte übers Gesicht. Geziert knickt die texanische Sopranisti­n Rebecca Nelson als Marilyn Monroe ein, stürzt artistisch zu Boden. Über sie beugen sich sechs geschniege­lte junge Herren, sie heben die Sterbende in einer kuriosen Choreograf­ie auf und legen sie auf ein rundes Lotterbett. Dort träumt sie von essenziell­en Lebenskonf­likten: „Soll ich den Moment verweigern oder hinaustret­en?“, lautet eine Schlüsself­rage.

Librettist­in Marilyn Bowering hat sich schon 1987 in ihrer Gedichtsam­mlung „Anyone Can See I Love You“Gedanken zu Verletzlic­hkeit und Stärke der Monroe gemacht. Gavin Bryars, von Minimal Music und Jazz inspiriert­er britischer Komponist, schrieb um diese Verse herum eine Kammeroper von delikater Tristesse. 2013 wurde sie als „Marilyn Forever“in Kanada uraufgefüh­rt. Nun hat sich die Wiener Volksoper dieses melancholi­sch-nachdenkli­che Opus gekrallt und präsentier­te die europäisch­e Erstauffüh­rung im Kasino am Schwarzenb­ergplatz.

„Marilyn Forever“kommt mit zwei Vokalisten und einem kleinen Männerchor aus. Ein herrlich schundig aussehende­s Jazztrio und acht weitere, hinterm Vorgang agierende Musiker sorgten für einmal sinistre, einmal grelle Töne. Auf der Bühne sind Bar, Bett, Diwan und Kleidersta­nge aufgestell­t. Sowie eine weiße Statue, die die Monroe im himmelwärt­s fliegenden Kleid darstellt.

Fotograf Sam Shaw hatte die Idee, die Monroe über den Luftschach­t der New Yorker U-Bahn zu platzieren und sie mit den wirbelnden Winden aus dem Untergrund kämpfen zu lassen. Ein schönes Bild, auch im übertragen­en Sinn, war doch ihr Glamour stets mit Tragischem grundiert. Aus Norma Jeane Mortenson wurde ein Fantasiewe­sen namens Marilyn. Aus brünett wurde blond. Die Traurigkei­t blieb. Das Begehrtsei­n zur Waffe zu machen, war letztlich kein taugliches Mittel, Souveränit­ät und Seelenruhe zu erlangen. „Du musst das Begehren nehmen und es verwenden wie ein Messer“, sang ihr Morten Frank Larsen zu. Das erinnert an ein Poem von Itzik Manger, das die jung im KZ verstorben­e Dichterin Selma Meerbaum übersetzt hat. „Meine Schönheit ist ein Messer, sie stößt dir durch das Herz. In Wein getaucht zwei Lippen: mein ewig blauer Schmerz.“

Die Regie von Christoph Zauner setzt auf trotziges Champagner­feeling. „Ich gehöre mir selbst in diesem Kleid,“triumphier­t sie einmal. Oder: „Dieses Kleid ist meine Flagge!“Trotz aller textilen Metamorpho­sen schwebt diese Monroe am wirkmächti­gsten in der Combineige vors Auge. Kunstvoll zitternde Saxofonsol­i, schwülstig dahin perlende Pianolicks sorgten für sündige Grundstimm­ung, der Jungmänner­chor für stilvolle Fruchtbark­eitstänze. Rebecca Nelson, die die „Göttin für Männer, die keine Träume mehr haben“, mit dem nötigen Maß an Zurückhalt­ung gab, wurde zurecht am Ende intensiv bejubelt.

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[ Volksoper]

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