Drama, Baby, oder was wir von Setzlingen lernen
Pflanzen sind leicht beleidigt, verzeihen aber rasch.
V on den Pflanzen kann man richtig großes Drama lernen. Ein Setzling, der von groben Menschenfingern umgetopft wird, fällt erst einmal dramatisch in Ohnmacht. So sanken früher nur die zu eng geschnürten Damen der Gesellschaft hin, und irgendjemand rief nach Riechsalz. Beim ersten Schwächeanfall ist die Bestürzung groß – wer bringt schon gern Babypflanzen um –, bis man sieht, wie wundersam sie sich erholen.
Dass sich die Dinge schnell ändern können, zeigt sich auch bei der Blüte: In wenigen Tagen, manchmal sogar nur Stunden, sind Büsche und Bäume voll aufgeblüht. Beim nächsten Blick schon ist es wieder aus und vorbei. Die Kirschblüten vor dem Haus haben das Gewitter nicht verziehen, die ganze Pracht ist am Boden und wenig später im Kanal. So ist das eben.
Auf Veränderungen wird grundsätzlich beleidigt reagiert, manchmal sogar mit Verachtung. Da man nicht einmal mit den Pflanzen eine gesunde Konfliktkultur aufgebaut hat, zeigt die Palme nun echte Haltungsschäden, der Stamm wächst erst parallel zum Boden und dann seltsam verkrümmt zum Sonnenlicht hin. Alle Versuche, sie durch regelmäßiges Drehen wieder hinzukriegen, sind gescheitert. Zeig mir deine alte Palme, und ich sage dir, wie oft du umgezogen bist.
So schnell sie beleidigt sind, so schnell sind sie aber auch wieder versöhnt und richten sich meistens wieder auf. Davon könnten sich einige was abschauen. Beleidigtsein verzögert den Arbeitsauflauf sicher mehr als alle Rauchpausen und Ganggespräche zusammen. Da der Beleidigte meist zwar spürbar, aber nicht offiziell beleidigt ist, kann sich der Beleidigthabende auch nicht ordentlich entschuldigen, und die Sache zieht sich, mitunter auch über Jahre. Manchmal ist dann gar nicht mehr klar, worum es bei der Urbeleidigung eigentlich ging. Man sollte manchmal die Blätter abwerfen können und neue wachsen lassen.