Kerns schwierigster 1. Mai
Analyse. Nach einem halben Jahr in Opposition weiß die SPÖ nicht so recht, wo sie steht. Die Zweifel an Christian Kern wachsen. Und von Wien ausgehend droht eine Verschiebung im Machtgefüge der Partei.
Wien. Auf dem Spiel steht „eine gute Flasche Rotwein“. Christian Kern hat in der Ö1-Sendung „Klartext“vergangene Woche gewettet, dass er länger Parteichef bleiben wird als Heinz-Christian Strache in der FPÖ. Der Vizekanzler hielt dagegen.
Das Problem dabei ist, dass die Parteichef-Frage in der SPÖ nicht allein von Kern abhängt. Nicht, dass jemand schon aktiv an seiner Ablöse arbeiten würde, wie man das vor ziemlich genau zwei Jahren bei Werner Faymann getan hat. Aber die Gruppe jener, die keine Einwände hätten, wenn sich Kern eher früher als später in die Privatwirtschaft verabschiedete, wird größer. Aus der Deckung hat sich bisher nur der ehemalige Innenminister und heutige Bürgermeister von Purkersdorf, Karl Schlögl, gewagt.
Für den – unwahrscheinlichen – Fall eines baldigen Kern-Rücktritts kursiert bereits ein Plan B. B wie Bures. Die Zweite Nationalratspräsidentin, heißt es, könnte dann interimistisch die Partei übernehmen und diese Bühne nutzen, um sich für die Bundespräsidentenwahl 2022 in Stellung zu bringen. Was Doris Bures offiziell natürlich bestreitet.
Die Personalgerüchte sind Ausdruck einer allgemeinen Verunsicherung in der SPÖ. Vor dem Tag der Arbeit wissen die Sozialdemokraten nicht so recht, wo sie stehen. Für die Partei ist es der erste 1. Mai in Opposition, für Christian Kern der zweite als Parteichef und der erste als Oppositionsführer. In der Wählergunst stagniert die SPÖ in etwa auf Nationalratswahlniveau (rund 27 Prozent), stabil vor der FPÖ, aber ebenso stabil hinter der ÖVP. Inhaltlich orientiert sie sich gerade neu: Im Herbst wird es ein neues Parteiprogramm geben.
Durchwachsen ist auch die Bilanz nach vier Landtagswahlen. In Kärnten verfehlte Peter Kaiser nur knapp die absolute Mehrheit (und wurde so zu einer weiteren Personalreserve für den Bund). In Niederösterreich und Tirol – beides keine leichten Pflaster für die SPÖ – gab es immerhin leichte Zugewinne. Nur Salzburg tanzte mit dem schlechtesten Ergebnis der Landesgeschichte aus der Reihe. Was Kern sehr verärgert haben soll. Die Verluste, heißt es in Wien, wären zu vermeiden gewesen. Anders als die Niederösterreicher etwa hätten es die Salzburger nicht geschafft, im Wahlkampf aufzufallen, weder mit Themen noch auf andere Weise.
Nicht alles nach Plan
Allerdings lief auch im Bund nicht immer alles nach Plan. Kern brauchte eine Weile, um sich daran zu gewöhnen, dass nun ein anderer Kanzler ist. Mittlerweile gelingt es ihm aber recht gut, die Partei von der Regierung abzugrenzen. Wobei ihm die diversen FPÖAffären und das Rauchverbots-Volksbegehren zugutekamen. Eigene Themen hat die SPÖ bisher nicht gesetzt. Das soll sich nun ändern. Demnächst will Kern einen alternativen Reformplan für die Sozialversicherungen vorlegen. Ende Mai oder Anfang Juni bricht er dann zu einer Tour durch die Bundesländer auf.
Bis dahin wird sich im Machtgefüge der SPÖ einiges verschoben haben. Michael Ludwig übernimmt am 24. Mai das Bürgermeisteramt in Wien von Michael Häupl. Die 1.-Mai-Feierlichkeiten stehen bereits im Zeichen des Abschieds und des Neubeginns. Häupl ist als Schlussredner auf dem Rathausplatz vorgesehen, Ludwig macht den Anfang. Dazwischen darf Christian Kern ans Mikrofon.
Die Symbolik passt. Die SPÖ befindet sich im Interregnum von Häupl zu Ludwig, inmitten des Umbruchs ihrer größten Landesorganisation – und wartet ab, wie sich der neue Bürgermeister positioniert. Wird Michael Ludwig die Wiener SPÖ ein Stück nach rechts führen, um Wähler von der FPÖ zurückzuholen? Davon ist auszugehen. Die burgenländische SPÖ, die im Land mit den Freiheitlichen koaliert, sieht in Ludwig bereits einen Verbündeten. Gegen Christian Kern?
Kern und Ludwig jedenfalls hatten nicht den besten Start. Der SPÖ-Chef soll – was er dementiert – Klubobmann Andreas Schieder in Wien favorisiert haben. Auch aus persönlichen Gründen: Im Parlamentsklub gab es Spannungen zwischen den beiden. Mittlerweile hat man sich arrangiert. Wobei die Gerüchte nicht abreißen wollen, dass Schieder nächstes Jahr SPÖ-Spitzenkandidat bei der EU-Wahl wird.
Und Kern? Möchte, wie er versichert, spätestens 2022 das Kanzleramt von Sebastian Kurz zurückholen. Dass eines der Motive hinter diesem Plan ein Mangel an lukrativen Jobangeboten ist, nennt er eine bösartige Unterstellung. Und sollte es doch anders kommen: Eine gute Flasche Rotwein wird sich Christian Kern vermutlich leisten können.