Laienrichter sind oft überfordert
Rechtspanorama am Juridicum. Der Plan der Regierung für höhere Strafen bei Gewalt- und Sexualdelikten ist umstritten, wurden die Sanktionen doch schon öfter verschärft. Haben etwaige milde Urteile also vielleicht einen anderen Grund?
Die Regierung will Strafen bei Gewalt verschärfen. Aber haben milde Strafen vielleicht einen anderen Grund? Liegt es an Laienrichtern?
Die türkis-blaue Koalition will strengere Strafen bei Sexualund Gewaltdelikten. Denn das Verhältnis zu den Vermögensdelikten passe nicht. Eine These, die nicht ganz neu sei, wie Strafrechtsprofessor Robert Kert beim letztwöchigen Rechtspanorama am Juridicum betonte.
Schon beim Strafrechtsänderungsgesetz 1998 habe man die Sanktionen für Sexualdelikte stark angehoben und teilweise sogar verdoppelt. Die 2016 in Kraft getretene Strafrechtsänderung brachte weitere Erhöhungen, besonders bei Gewaltdelikten. Und wenn nun wieder der Ruf nach höheren Bußen komme, stelle sich die Frage: „Wann passt das denn einmal?“, meinte der Vorstand des Instituts für Wirtschaftsstrafrecht an der WU. Wirken die bereits jetzt hohen Strafdrohungen nicht mehr, dann werde sich ein Täter auch nicht von noch strengeren Sanktionen abhalten lassen, meinte Kert. Zudem brauche man noch mehr Zeit, um herauszufinden, wie sich die seit 2016 geltenden höheren Strafdrohungen in Urteilssprüchen auswirken.
Strafrecht ist wie Fußball
„Das Strafrecht“, so meinte Christian Pilnacek, „lässt sich mit dem Fußball vergleichen.“Bei dieser Sportart meine auch jeder, dass er der beste Trainer wäre, sagte der Generalsekretär des Justizministeriums. „Die Geschichte des Strafrechts zeigt immer eine Tendenz nach oben“, resümierte Pilnacek die vergangenen Jahrzehnte. Und die Forderung nach einer Strafverschärfung sei nun einmal Teil des Programms des Wahlsiegers aus dem Vorjahr gewesen. „Jetzt sage ich relativ kühl: Die Punkte des Regierungsprogramms sind für uns Beamte abzuarbeiten“, erklärte Pilnacek. „Was aber jetzt passiert, finde ich gar nicht so schlecht“, meinte der Generalsekretär, der auch Sektionschef für Strafrecht ist.
Denn die Regierung habe sich auf die Schaffung einer Taskforce verständigt (Pilnacek leitet das Thema Strafrecht). Und im Rahmen dieser sei nun der Auftrag an die Uni Wien ergangen, die Ent- wicklung der Strafenpraxis seit 2008 zu analysieren, sagte der Generalsekretär. Darauf könne man aufbauen. Welche Reformen es genau geben wird, konnte Pilnacek daher jetzt noch nicht sagen: „Meine Conclusio ist: Ich weiß noch nicht, in welchen Bereichen wir Verschärfungen vornehmen“, meinte der Ministeriumsvertreter.
„Höhere Strafen führen nicht zu weniger Kriminalität“, hielt Veronika Hofinger vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie in Wien fest. Vielmehr würden die Entdeckungs- und die Verurteilungswahrscheinlichkeit eine Rolle bei der Prävention spielen. „Wichtig ist, dass manche Dinge mit Haft bedroht sind“, meinte Hofinger. Aber ob die Strafdrohung nun drei oder fünf Jahre betrage, ändere nichts daran, ob jemand die Tat begehe. Und „man weiß, dass das Gefängnis nicht resozialisiert“, erklärte die Kriminalsoziologin. Was die Rückfallquote hingegen sehr wohl senke, sei eine Therapie.
Und auch der Wunsch der Opfer nach Vergeltung stelle sich nicht immer so dar, dieser werde in manchen Medien geschürt. „Wenn man die Opfer fragt, haben sie ganz andere Bedürfnisse, etwa Prozessbegleitung“, meinte Hofinger. „Und sehr wichtig ist den Opfern, dass es der Täter nicht noch einmal macht.“
„Modern, Richter zu schlagen“
Und wie ist das mit den Richtern? Teilen sie zu geringe Strafen aus? „Es ist sehr modern, die Richter zu schlagen“, meinte Beate Matschnig, Jugendrichterin am Landesgericht für Strafsachen Wien. „Wenn man nach seinem eigenen Urteil die Postings liest, denkt man sich: Wow, die waren alle dabei?!“, sagte Matschnig mit ironischem Unterton. Und dann ernst weiter: „Was die Leute alle unterschätzen, ist die Laiengerichtsbarkeit.“Bei Schöffensenaten entscheiden per Zufallsprinzip aus dem Volk auserwählte Bürger über Schuld und Strafe mit.
„Viele sind überfordert, wenn sie zum ersten Mal einem Täter gegenübersitzen“, erzählte Mat- schnig. Denn dann sei der Täter ganz anders als von ihnen erwartet und zeige Gefühle. Und es kämen auch andere Strafen heraus als von vielen zuvor gedacht. „Es ist für jemanden, der nicht täglich damit zu tun hat, schwierig, zu sagen: Der ist schuldig“, berichtete Matschnig.
Ein Problem ortet sie auch im Strafvollzug: „Wir schulen die Leute zu wenig, wir therapieren zu wenig“, meinte die Richterin. Und dann dürfe man sich nicht wundern, wenn nach der Haftentlassung wieder etwas geschehe.
Eine hohe Wiederholungsgefahr bestehe insbesondere bei häuslicher Gewalt und bei Stalking, berichtete Rosa Logar, Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie. Gerade in diesem Bereich gebe es zudem auch eine hohe Dunkelziffer. Wichtiger als höhere Strafen wären ihrer Ansicht nach mehr Geld für die Justiz. „Ich bin eine Verfechterin dafür, dass wir mehr Personal in der Staatsanwaltschaft bekommen“, erklärte sie. Auch in der Hoffnung, dass dann Taten stärker nachgegangen werde. „Die Opfer leiden unter der hohen Einstellungsrate“, meinte Logar. „In diesem sensiblen Bereich kann das für die Täter auch ein Freibrief sein“, sagte sie.
Populistisch oder nicht?
Professor Kert kritisierte die Regierung dafür, dass sie den Ruf nach strengeren Strafen mit der Meinung der Bevölkerung begründete. „Was ist das für eine Kriminalpolitik, dass ich auf Facebook oder in Zeitungsforen schaue, um zu sehen, was die Leute wollen?“, fragte Kert. „Das Strafrecht ist zu schade, um für so eine populistische Politik missbraucht zu werden.“
„Einspruch“, erwiderte Pilnacek. Die Koalition hätte sich ja auch einfach ans Regierungsprogramm halten können, in dem die Verschärfung des Strafrechts steht – und diese einfach vornehmen. Stattdessen setze man nun einen Thinktank zum Thema ein. „Das halte ich nicht für Populismus, sondern für das Gegenteil davon“, meinte der Generalsekretär.