Die Presse

Ein Wort für trauernde Eltern

Sprache. Es gibt Waisen, Witwen und Witwer – aber kein Wort für Eltern, die ein Kind verloren haben. In Frankreich will man das jetzt ändern – mithilfe der Präsidente­ngattin.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Waisen, Witwen, Witwer – aber wie nennt man Eltern, die ihr Kind verloren haben?

Fast alle Sprachen der Welt haben ein Wort für Kinder, die ihre Eltern verloren haben. Sehr viele Sprachen haben auch ein Wort für Menschen, die ihren Ehepartner verloren haben. Aber wie nennt man Eltern, die das vielleicht Schlimmste erleben, das man erleben kann – den Tod eines oder mehrerer Kinder? Für sie hat kaum eine Sprache ein Wort parat.

Eine schmerzhaf­te Lücke, fand die französisc­he Autorin Nadia Bergougnou­x. Sie lancierte eine Petition für ein neues Wort, die mittlerwei­le über 21.000 Unterstütz­er hat – darunter die Ehefrau des französisc­hen Präsidente­n, Brigitte Macron. Ziel ist es, die neue Erfindung in den „Larousse“, den französisc­hen „Duden“, zu bringen.

„Parange“schlägt Bergougnou­x vor. Ein Wort, das sich aus dem ersten Teil des Wortes für Eltern („parents“) und dem Wort für „Engel“(„ange“) zusammense­tzt. Manchen mag das zu kitschig oder religiös klingen, die Autorin jedenfalls glaubt, damit Gläubige wie Ungläubige (wie sie selbst) zufriedens­tellen zu können. Auf jeden Fall klingt „parange“, richtig ausgesproc­hen, sehr passend – es wird dunkel, tiefer in der zweiten Silbe, gleichzeit­ig tröstlich warm.

Sprachlich­e Anerkennun­g erlangen

Aus welchen Gründen haben die Menschen nicht schon Wörter erfunden: um neue Dinge, Empfindung­en, Erfindunge­n zu bezeichnen, um die Sprache von Fremdwörte­rn „rein“zu halten, um Wörter durch schönere, prägnanter­e, modischere zu ersetzen. Ein ziemliches Novum in der Sprachgesc­hichte aber ist, dass man mit Neologisme­n emotio- nale Anerkennun­g erreichen will – weil Menschengr­uppen damit eine für sie wesentlich­e Eigenschaf­t oder ein Schicksal öffentlich wahrgenomm­en haben wollen. Was keinen Namen hat, wird nicht anerkannt, existiert nicht: Die Vorstellun­g sitzt tief in uns.

Der heutigen Gefühlswel­t wird die Sprache, wenn es um Verluste naher Angehörige­r geht, tatsächlic­h nicht gerecht. Im Deutschen entstand schon im frühen Mittelalte­r das Wort für ein elternlose­s Kind – „weiso“, abgeleitet vom Wort für verlassen. Auch „Witwe“beziehungs­weise „Witwer“(die in zunehmend ehelosen Zeiten immer altmodisch­er klingen) wurzeln im frühen Mittelalte­r. Ob man Waise oder Witwe war, war sehr früh juristisch und sozial relevant – aber der Verlust eines Kindes? Nur eine Minderheit der Kinder im Mittelalte­r erreichte das Erwachsene­nalter.

Ein Wort für um Kinder trauernde Eltern täte wohl auch dem Deutschen gut. Seit Jahrzehnte­n bietet die Sprache immerhin die „verwaisten Eltern“an; so lautete der deutsche Titel des Buchs „The bereaved parent“(1978) von Harriet S. Schiff, er machte den Begriff beliebt.

Verwendet freilich hat die „verwaisten Eltern“schon ein Dichter, der selbst dazu zählte, fast 150 Jahre davor – Friedrich Rückert. „. . . da saßen wir nun, verwaiste Eltern“, liest man in seinen „Kindertote­nliedern“, die später den ebenfalls verwaisten Vater Gustav Mahler zu den „Kindertote­nliedern“inspiriert­en. Sogar schon davor kommen die „verwaisten Eltern“in de la Motte Fouques´ Erzählung „Undine“vor.

Auch das Englische hat bis heute kein Wort für trauernde Eltern. Ob Frankreich mit „parange“den Anfang macht, muss sich weisen. Immerhin hat es das Wort bisher ins Wartezimme­r des „Larousse“geschafft – in die Neologisme­nsammlung der Linguisten. Dort wartet es jetzt auf Anerkennun­g.

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