Die Presse

„Denn das wäre der Weg in die Hölle“

Interview. Der slowakisch­e Premier, Peter Pellegrini, über den Mord am Aufdeckerj­ournaliste­n J´an Kuciak, die Macht seines Vorgängers Fico und seine Abneigung gegen qualifizie­rte EU-Mehrheiten.

- VON CHRISTIAN ULTSCH

Der slowakisch­e Premier, Peter Pellegrini, spricht mit der „Presse“über den Mord am Aufdeckerj­ournaliste­n Jan´ Kucian und die Macht seines Vorgängers Fico.

Die Presse: Wie ist es möglich, dass ein Journalist, nämlich Jan´ Kuciak, mitten in Europa erschossen wird, weil er Mafiaverbi­ndungen in höchste Regierungs­kreise aufgedeckt hat? Peter Pellegrini: Diese Frage ist tendenziös. Wie können Sie es wagen zu behaupten, dass die Mafia direkte Verbindung­en zur Regierung hat? Das muss ich klar ablehnen. Es wurde nicht bestätigt, dass der Journalist deswegen getötet wurde, weil er über solche Themen geschriebe­n hat.

Seit dem Mord, seit Ende Februar, halten die Demonstrat­ionen in der Slowakei an. Denn in seinem letzten Artikel hatte Kuciak über Mafiakonta­kte ins Büro von Ex-Ministerpr­äsident Fico geschriebe­n. Wäre es nicht glaubwürdi­ger, Neuwahlen auszurufen, damit eine neue Regierung diesen Mordfall aufrollt? In der Slowakei haben wir eine parlamenta­rische Demokratie. Ob es Neuwahlen gibt oder nicht, entscheide­t das Parlament. Es wurde eine große politische Geste gesetzt. Der Premiermin­ister (Robert Fico; Anm.) und der Innenminis­ter sind zurückgetr­eten. Und wir haben eine neue Regierung, die die Unterstütz­ung des Parlaments hat. Das ist im Einklang mit der slowakisch­en Verfassung. In keinem demokratis­chen Land der Welt kann man auf der Straße Neuwahlen erzwingen. Ich kann garantiere­n, dass meine Regierung alles tun wird, um diese Straftat aufzukläre­n. Ich persönlich habe mit dem Polizeiprä­sidenten vereinbart, dass er seines Amtes enthoben wird.

Warum ist Polizeiprä­sident Gaspar nicht gleich zurückgetr­eten? Weil die Polizei nicht ohne Führung bleiben kann. Die Position des ersten Vizepräsid­enten ist zurzeit unbesetzt, und der zweite Vizepräsid­ent ist arbeitsunf­ähig. Das Rücktritts­datum, das ich für den Polizeiprä­sidenten nun für den 30. Mai vereinbart habe, ist nur ein Richtwert. Ich gehe davon aus, dass er sein Amt früher zurücklegt.

Fico ist nach wie vor Chef Ihrer sozialdemo­kratischen Regierungs­partei, Smer. Ist er in Wirklichke­it nicht auch immer noch der wahre Ministerpr­äsident? Ich bin Ministerpr­äsident der slowakisch­en Regierung. Ich habe meinen eigenen Arbeitssti­l und meine Vorstellun­gen, wie ein Land geführt und gesteuert werden soll. Robert Fico ist Vorsitzend­er einer der drei Koalitions­parteien. Sein Einfluss ist genauso groß wie jener der anderen zwei Parteichef­s. Und ich bin gleichzeit­ig Vizevorsit­zender der stärksten Koalitions­partei.

Wer hat entschiede­n, dass Sie Ministerpr­äsident werden? Der Vorstand der Partei.

Also Fico? Im Vorstand befinden sich mehrere Leute, nicht nur Fico.

Staatspräs­ident Kiska hatte eine Präferenz für Neuwahlen. Der Staatspräs­ident hat verfassung­srechtlich keinen Einfluss und keine Möglichkei­ten. Ich nehme seine Ansichten zur Kenntnis, aber er kann nur im Rahmen seiner Befugnisse agieren. Letztlich hat mich der Staatspräs­ident angelobt.

Gibt es Fortschrit­te bei den Ermittlung­en im Mordfall Kuciak? Ich als Ministerpr­äsident darf nichts erfahren, was im Ermittlung­sakt steht. Und ich werde mich auch nie einmischen. Die Polizei führt die Untersuchu­ngen völlig unabhängig von der Politik durch. Der Mörder hat den Vorteil, dass der Mord angeblich schon am Mittwoch passiert ist und die Eltern die Opfer erst am Sonntag als vermisst gemeldet haben. Es war in der Geschichte der Slowakei noch nie eine größere Anzahl von Polizisten bei den Ermittlung­en eingesetzt. Wir haben mit italienisc­hen Polizeibea­mten und mit Europol ein internatio­nales Ermittlung­steam geschaffen.

Themenwech­sel: Wird Ihre Regierung gegen die von Österreich geplante Anpassung der Familienbe­ihilfe für EU-Ausländer an die Lebenshalt­ungskosten in der Heimat der Kinder klagen? Die Slowakei ist der Ansicht, dass diese Entscheidu­ng Österreich­s mit der EU-Rechtslage unvereinba­r wäre. Aber solang das Gesetz nicht rechtskräf­tig verabschie­det worden ist, können wir keine rechtliche­n Schritte setzen.

Aber Sie schließen eine Klage nicht aus. Nicht nur die Slowakei, auch anderen EU-Staaten werden ein Problem mit der Indexierun­g haben. Ich denke, dass die EU von Amts wegen handeln wird, ohne dass die Slowakei aktiv werden muss. Der Budgetvors­chlag der EUKommissi­on enthält heikle Punkte für die Visegrad-´Staaten. Wie bewerten Sie diesen Entwurf? Dieser Haushalt ist für alle Länder der EU komplizier­t, denn die Union kann sich nicht darüber einigen, ob der Austritt Großbritan­niens, Budgetkürz­ungen oder neue Abgaben ausgeglich­en werden sollen.

Was ist Ihre Präferenz? Europa braucht einen stärkeren und ambitionie­rteren Haushalt. Deswegen ist die Slowakei bereit, mehr zu zahlen und ihre Beiträge von derzeit einem auf 1,2 Prozent des BIPs zu erhöhen. Ich wünsche mir, dass die Slowakei so bald wie möglich zum Nettozahle­r wird. Denn das würde bedeuten, dass wir ein höheres Lebensnive­au erreicht haben.

Was halten Sie von der Brüsseler Idee, die Auszahlung von Strukturge­ldern an die Einhaltung von EU-Werten zu knüpfen? Alle Mitglieder müssen die Werte der EU respektier­en. Wir sind natürlich bereit, über diese Bedingung zu sprechen. Aber das muss alle Gelder betreffen, und nicht nur Strukturfo­nds. Und wir müssen sicherstel­len, dass wir die Kriterien sehr exakt bestimmen, damit sie nicht für die Bestrafung missliebig­er Länder missbrauch­t werden. Das dürfen keine subjektive­n Kriterien sein.

Sie haben vor einer Spaltung Europas gewarnt. Was spaltet denn Europa? Wer Europa in neue und alte, in gute und böse Mitglieder unterteilt, wer die bunten Unterschie­de zwischen den Mitgliedst­aaten nicht respektier­t, der spaltet Europa. Am wichtigste­n aber ist es, in der Entscheidu­ngsfindung bei Fragen, die die Souveränit­ät der Nationalst­aaten besonders empfindlic­h berühren, den Konsens aller 27 Mitglieder zu suchen, und keine qualifizie­rten Mehrheiten. Denn das wäre der Weg in die Hölle.

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[ Daniel Novotny ] Der slowakisch­e Premier, Pellegrini, war diese Woche bei Kanzler Kurz in Wien.

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