Die Presse

Wer kann, verlässt das sinkende Schiff

Iran. Die Stimmung ist düster. Investoren bleiben aus, reiche Iraner schaffen ihr Geld ins Ausland. Angst und Nervosität machen sich breit – und Aufsässigk­eit.

- Von unserem Korrespond­enten MARTIN GEHLEN

Hassan Rohani hat augenschei­nlich gute Nerven. Und so gab er sich auch am Dienstag, dem Tag der Atomentsch­eidung Donald Trumps, nach außen hin gelassen. „Es ist schon möglich, dass wir in den nächsten zwei, drei Monaten einige Probleme haben, aber wir werden sie meistern“, erklärte er während der Iran Oil Show 2018 auf dem Teheraner Messegelän­de.

Ausländisc­he Aussteller dagegen beschriebe­n die Atmosphäre in den Hallen als düster und deprimiere­nd. Anders als im Vorjahr seien ein Drittel weniger Firmen aus dem Ausland angereist, viele hätten nur kleine Stände gemietet. Denn die internatio­nale Euphorie nach dem Abschluss des Atomvertra­gs 2015 ist verflogen, die Investoren suchen das Weite. Reiche iranische Familien verlassen dieser Tage ebenfalls das sinkende Schiff. Teheraner Regierungs­kreise schätzen, dass allein in den letzten Wochen vor der Trump-Entscheidu­ng Vermögen im Wert von zehn bis 30 Milliarden Dollar außer Landes geschafft wurde.

Aber auch in der breiten Bevölkerun­g der Islamische­n Republik machen sich Angst und Nervosität breit. Unruhe und Aufsässigk­eit nehmen zu. Frauen wehren sich öffentlich gegen den staatliche­n Zwang, ein Kopftuch zu tragen. Ein Drittel aller jungen Leute unter 30 Jahren ist arbeitslos, auf dem Land sind es teilweise bis zu 60 Prozent. Vor einem Jahr noch hatten die Iraner Rohani mit überwältig­ender Mehrheit in seine zweite Amtszeit getragen, in der Hoffnung, der 69-jährige Politkleri­ker werde die wirtschaft­liche Dividende des Atomabkomm­ens einfahren, die Bevormundu­ngen durch die ultraortho­doxe Klerikerka­ste beenden und das gesellscha­ftliche Leben liberalisi­eren.

Aufstand in der Provinz

Anfang des Jahres kochte die Frustratio­n erstmals hoch. Zehntausen­de junger Leute gingen auf die Straßen, nicht nur in Teheran und anderen großen Städten, vor allem auch in der Provinz. Was als Proteste gegen Arbeitslos­igkeit und soziale Misere begann, wandelte sich rasch zu einer prinzipiel­len Kritik an der geistliche­n Führung. „Tod dem Diktator“, skandierte­n die Menschen in Richtung des Obersten Revolution­sführers, Ali Khamenei. „Das Volk lebt wie Bettler, seine Führer leben wie Gott.“

Seitdem ist an der Oberfläche wieder Ruhe eingekehrt, obwohl jede Woche weitere Videos von neuen, kleineren Tumulten auftauchen. Andere schreiben ihre regimekrit­ischen Slogans nun auf Banknoten, die sie per Twitter in Umlauf bringen. „Die Geldschein­e sprechen“nennen sie ihre Aktion. Als Reaktion will die konservati­ve Justiz nun mit aller Macht den Messengerd­ienst Telegram verbieten, den 40 Millionen Iraner nutzen, damit sich diese subversive­n Bilder nicht permanent im Land verbreiten.

Ungeachtet der Misere daheim agiert der Iran in der Region weiterhin mit enormem Aufwand an Personal, Waffen und Geld. Mit seinen Revolution­ären Garden bewahrte Teheran das Regime von Bashar alAssad vor dem Kollaps. Zusätzlich wurden Abertausen­de schiitisch­e Kämpfer aus dem Irak und Afghanista­n für Syrien angeworben

AUF EINEN BLICK

Wirtschaft. Die iranische Führung stellte sich auf ein Ende des Atomabkomm­ens ein. „Wir sind auf alle Szenarien vorbereite­t“, erklärte der Notenbankc­hef. Präsident Hassan Rohani gab die Parole aus: „Auch das werden wir überleben.“Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache. In den vergangene­n Monaten sind Schätzunge­n zufolge zehn bis 30 Milliarden Dollar aus dem Iran auf ausländisc­he Konten geflossen. Der Rial ist auf einen Tiefstand gefallen: Ein Dollar ist inzwischen 70.000 Rial wert. Vor drei Jahren lag der Kurs noch bei 35.000 Rial. und bezahlt. Die libanesisc­he Hisbollah bekommt seit Jahrzehnte­n Waffen und Dollar aus Teheran – eine kostspieli­ge Hegemonial­politik, die inzwischen im Iran auf offene Kritik stößt. „Überlasst Syrien sich selbst, denkt auch mal an uns!“, riefen die Demonstran­ten bei ihren Kundgebung­en.

Währung im freien Fall

Denn das wirtschaft­liche Debakel geht ungebremst weiter. Der iranische Rial befindet sich im freien Fall. 70.000 Rial kostet der Dollar inzwischen auf dem Schwarzmar­kt, kurz vor dem Atomabkomm­en vor drei Jahren waren es noch 35.000. Selbst dem Land wohlgesinn­te europäisch­e Firmen zögern, weil mit Irans bizarrer Bürokratie, der allgegenwä­rtigen Korruption und dem verrottete­n Bankensyst­em nur schwer erfolgreic­he Geschäfte zu machen sind. Zudem sind es die hauseigene­n Konzerne der Revolution­ären Garden gewohnt, alle milliarden­schweren Staatsauft­räge ohne Ausschreib­ung und ohne Konkurrenz zugeschobe­n zu bekommen. Dieses Monopol verteidige­n sie mit Zähnen und Klauen gegen die neue internatio­nale Konkurrenz.

„Als der Vertrag geschlosse­n wurde, dachte ich, die Situation wird jetzt besser“, meinte kürzlich ein 42-jähriger Taxifahrer. „Nach einem Ende des Abkommens aber weiß ich nicht, wie Rohani die ständig wachsenden Probleme überhaupt noch in den Griff bekommen kann.“

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Hassan Rohani legt ungeachtet des US-Drucks Optimismus an den Tag. Nach zwei, drei Monaten seien die Prounden, erklärte der Präsident. Doch die Euphorie im Iran nach dem Atomdeal ist längst verpufft.
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[ Reuters ]

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