Viktor Orb´an will jetzt alles lenken
Ungarn. Der neue alte Premier Viktor Orb´an will jetzt noch mehr als bisher bestimmen. Vielen Budapestern gefällt das nicht, sie demonstrieren unverdrossen.
Budapest. Als das ganze Ausmaß seines überwältigenden Sieges in der Wahlnacht deutlich wurde, fühlte Ministerpräsident Viktor Orban´ offenbar den Augenblick gekommen, auf den er immer gewartet hatte. „Jetzt kann ich wirklich regieren“, soll er im engsten Kreise gesagt haben.
Für die Öffentlichkeit formulierte er es etwas anders. „Bisher führte ich die Regierung“, sagte er. „Jetzt werde ich sie lenken“. Er erklärte auch, wie er das meinte: Fortan wolle er der Regierung Aufgaben geben, Zielvorgaben, und den Fortschritt genau überprüfen.
Seit Wochen Massenproteste
In Ungarns Hauptstadt, die bei den Wahlen am 8. April mehr denn je gegen Orban´ gestimmt hatte, vermag dieser selbstbewusste Ton nicht zu gefallen. Seit Wochen gibt es Massenproteste, deren Umfang und Beharrlichkeit etwas eher Neues sind in der jüngeren ungarischen Politik.
Auch die konstituierende Sitzung des Parlaments am Dienstag war von Demonstrationen begleitet, vom Vorabend bis in den späten Dienstagabend hinein. Dazu veranstalteten die Abgeordneten der linken Opposition ein Politspektakel rund um ihre Vereidigung.
A´kos Hadha´zy von der grünen LMP ließ sich nicht einschwören, da im Parlament auch „Verbrecher“vereidigt würden (er meinte die Regierungspartei). Die Sozialisten leisteten ihren Eid außerhalb des Parlaments, aber natürlich zählte nur der tatsächliche Schwur im Abgeordnetenhaus, und da fehlten sie dann doch nicht. Die Abgeordneten der linken „Demokratischen Koalition“versuchten zum Eidestext etwas hinzu zu dichten – dass sie eine „Wiederherstellung der Republik“wollten, aber das wurde nicht weiter beachtet.
Großes Ziel: Eine höhere Geburtenrate
Orbans´ Kabinettsliste steht: Sechs neue Minister von 14, wobei allerdings nur ein Schlüsselressort neu besetzt wurde. Minister für Humanressourcen wird nicht mehr Zoltan´ Balog sein, sondern der Onkologe Miklos´ Kasler. Damit signalisiert Orban,´ dass er das marode Gesundheitswesen sanieren will, ein Hauptthema der Opposition im Wahlkampf. Das Innen-, Außen-, Justiz- und Wirtschaftsressort bleiben unter Führung ihrer bisherigen Minister, obwohl Orban´ einen grundlegenden personellen Neuanfang verkündet hatte.
Als großes strategisches Ziel hat der ungarische Ministerpräsident die Anhebung der Geburtenrate von 1,5 auf 2,1 Kinder pro Frau bis zum Jahr 2030 genannt. Denn wer wie er Einwanderung ablehnt, muss es irgendwie schaffen, dass die Gesellschaft sich selbst regeneriert.
Zentralisierung der Regierungsarbeit
Wichtiger als die Namen ist vielleicht ein Umbau der Regierungsstruktur. Neben, wie bisher, dem Kabinett des Regierungschefs und dem Ministerpräsidentenamt wird es eine dritte, Orban´ direkt unterstellte Schaltstelle geben: das „Regierungsbüro des Ministerpräsidenten“. Hier sollen die Geheimdienste gebündelt und die Arbeit der Staatssekretäre der diversen Ministerien koordiniert werden. Eine interessante Struktur: Minister mit Staatssekretären, deren Arbeit aber statt der Minister dann doch lieber der Ministerpräsident selbst dirigiert.
Worte fand Viktor Orban´ vor dem neu gebildeten Parlament überflüssig, er verzichtete darauf, zu sprechen. Für visionäre Sätze war man daher auf Staatspräsident Ja´nos A´der angewiesen, der auch tatsächlich eine gute Rede hielt und es als Hauptfrage der nächsten Jahre bezeichnete, „in welchem Europa wir leben wollen“.
Die Antwort gab er auch. Eine Antwort die von Ministerpräsident Viktor Orban´ selbst hätte kommen können: Ein Europa, wie der einstige deutsche Kanzler Helmut Kohl es gewünscht hatte. Bürgernah, demokratisch, aber „keine Vereinigten Staaten von Europa“.
Beliebter als vor der Wahl
Orbans´ Beliebtheit ist in den Meinungsumfragen seit der Wahl übrigens noch einmal gestiegen. 52 Prozent der Wähler würden heute Fidesz wählen, ergab eine Umfrage des regierungsnahen Instituts Nezö-´ pont. Bei der Wahl selbst hatte Fidesz 48 Prozent bekommen.