Die Presse

„Der Frühling hat gesiegt“

Gedenken. Das Bundeskanz­leramt lud zu einem Festakt zur Befreiung vom NS-Regime. Aber auch die tagespolit­ische Debatte ging weiter.

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Immer wieder spielt die Tagespolit­ik bei Gedenkvera­nstaltunge­n eine wichtige Rolle, der Höhepunkt wurde wohl vor wenigen Tagen erreicht: Der Autor Michael Köhlmeier hielt bei einer Gedenkvera­nstaltung in der Hofburg eine Brandrede gegen die FPÖ.

Die Freiheitli­chen wehrten sich, die ÖVP sprang ihnen bei. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) meinte am Dienstag in der „Tiroler Tageszeitu­ng“, er sehe in der Kritik des Autors an seiner Person einen NS-Vergleich – den er auf das Schärfste zurückwies. „Die Aussage, dass es auch damals Menschen gegeben hat, die Fluchtrout­en geschlosse­n haben, zielt eindeutig auf Nazis und Nazi-Kollaborat­eure ab“, sagte er am Dienstag. Die Schriftste­llerverein­igungen stellen sich wiederum hinter ihren Kollegen. Er habe in seiner Rede „die Aufgabe übernommen, auf den heuchleris­chen Umgang mit dem Gedenken an die Opfer des Nationalso­zialismus einzugehen“.

Gestern, beim offizielle­n Festakt zur Befreiung vom Nationalso­zialismus am 8. Mai 1945, versuchte die Regierung allerdings die aktuelle Debatte aus dem Bundes- kanzleramt rauszuhalt­en. Als Festredner geladen war Zeitzeuge Arik Brauer. Er hatte kürzlich kritisiert, dass FPÖ-Minister nicht nach Mauthausen eingeladen wurden – weil jene FPÖ-Politiker kommen würden, „deren historisch­e Aufgabe es ist, die FPÖ zu einer demokratis­chen Partei zu formen“, sagte er dem „Kurier“. Zuletzt hatte er auch mit der Aussage aufhorchen lassen, er habe heute mehr Angst vor dem Antisemiti­smus muslimisch­er Einwandere­r als vor dem der Rechten.

Am Dienstag erzählte er von seinen Erinnerung­en an den 8. Mai 1945: Er kam aus seinem Versteck im Schreberga­rten in Ottakring heraus – „ich war 16 Jahre, wog 40 Kilo, habe ausgeschau­t wie ein Kind“. Dann aber „hat der Frühling gesiegt“. Er sah einen russischen Panzer.

Brauer erinnerte aber auch an den „hysterisch­en Jubel“1938 in Österreich angesichts des „Anschlusse­s“an Nazideutsc­hland und das „euphorisch­e Gefühl, einer auserwählt­en Rasse anzugehöre­n, die das Recht hat und viel- leicht auch die Pflicht hat, alle anderen zu besiegen, und wenn’s passt, auch auszurotte­n“.

Nach dem Krieg „musste eine neue Generation heranwachs­en“. „Und ich bin sicher, dass heute in Österreich die überwältig­ende Mehrheit der Menschen durchaus imstande ist, die Situation und die Wahrheit von der Zeit des Zweiten Weltkriegs richtig einzuschät­zen“.

Zum Schluss sprach Brauer indirekt allerdings doch noch die Köhlmeier-Debatte an: „Glücklich die Bevölkerun­g, deren Regierung hoffentlic­h imstande ist, mit Geduld und mit Freude die Kritik der Öffentlich­keit zu ertragen“, sagte er unter viel Applaus: Je mehr davon, umso besser.

Und die Regierung? „Es ist ein Tag der Freude. Es ist aber auch ein Tag, an dem wir uns unserer Verantwort­ung stellen müssen“, sagte Kurz (ÖVP). Österreich habe lange gebraucht. Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache (FPÖ) erinnerte auch an das Leid nach der Befreiung. Beide warnten auch vor dem neuen Antisemiti­smus. Laut Strache „wurde er leider Gottes auch importiert, da haben wir noch Handlungsb­edarf“. (ib)

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