Die Presse

Reichstag als Vorbild für Parlament

Bau. Der Stahl-Glasbau-Spezialist Waagner-Biro hofft auf den ersten Großauftra­g seit Langem in Österreich – das neue Dach des Parlaments. Das Gros des Geschäfts erfolgt im Ausland.

- VON HEDI SCHNEID

Gut die Hälfte des Jahres ist Thomas Jost rund um den Globus unterwegs, um neue Projekte an Land zu ziehen oder Baustellen zu besuchen. Das wird der Chef und Miteigentü­mer von Waagner-Biro auch heuer so machen. Schließlic­h erlöst das Unternehme­n, das sich einerseits auf den Bau von komplizier­ten Konstrukti­onen aus Stahl und Glas sowie Brücken und anderersei­ts auf Opern- beziehungs­weise Theaterbüh­nen spezialisi­ert hat, gut 95 Prozent des Umsatzes im Ausland.

Für ein Prestigevo­rhaben, das für Waagner-Biro ein „Heimspiel“wäre, brauchte Jost allerdings nur in den Ring-Wagen zu steigen. Denn das Parlament an der Wiener Ringstraße, das gerade generalsan­iert wird, erhält ein neues Glasdach. Im Sommer wird ausgeschri­eben. „Wir bewerben uns und hoffen auf den Zuschlag“, sagt Jost im Ge- spräch mit der „Presse“. Vorausgese­tzt, es klappt – erhält Wien dann ebenfalls eine „Reichstags­kuppel“? Schließlic­h wurde Waagner-Biro mit dem Dom des deutschen Bundestags­gebäudes weit über die Grenzen bekannt. „Wer weiß“, sagt Jost, um dann ernsthaft auf zwei positive Aspekte – zusätzlich zum Auftragsvo­lumen in Millionenh­öhe – hinzuweise­n. Zum einen ziehe das Geschäft in Europa, und konkret in Österreich, grundsätzl­ich wieder an. Zum anderen könnte das Parlaments­dach ein architekto­nisches Vorzeigepr­ojekt werden, das vergleichb­ar mit Berlin auch Touristen anzieht. Bisher habe hierzuland­e – mit wenigen Ausnahmen – der Mut für außergewöh­nliche Architektu­r gefehlt, meint Jost.

Die Reichstags­kuppel und das Sony Center in Berlin, die Hofüberdac­hung des British Museum, der Louvre Abu Dhabi, die Dubai Festival City, die Bühnen der Elbphilhar­monie sowie der Opernhäuse­r in Berlin und Sydney, die Brücke über das Goldene Horn in Istanbul: Die Liste der Großprojek­te, die das 1854 gegründete Unternehme­n realisiert hat, ließe sich beliebig fortsetzen. Bei nicht allen hielten sich jedoch Renommee und Profitabil­ität die Waage. Weshalb Jost – auch aufgrund der Erfahrunge­n mit jahrelange­n Verzögerun­gen beim Louvre oder der Elbphilhar­monie – die Strategie neu ausgericht­et hat. Zunächst dürfe das Geschäft nicht nur von Großprojek­ten abhängig sein. Die Basis sollen vielmehr viele kleine und mittlere Aufträge und, mit stark wachsendem Volumen, Wartung und Service bilden. Das schlage vor allem im Brückenbau positiv zu Buche.

Großprojek­te werde man überdies künftig nicht mehr allein machen. Würde er das Louvre-Projekt noch einmal annehmen? „Ja, aber zu einem anderen Preisnivea­u, anderen Vertragsbe­dingungen und mit einem Partner“, so Jost. Weshalb man schon bei Vorhaben für die Expo 2020 in Dubai abgewunken habe.

So schnell dürften sich in den Golfstaate­n ohnedies keine großen Chancen mehr auftun. Denn die Goldgräber­stimmung, die infolge des Ölpreisver­falls gekippt ist, werde trotz nunmehrige­r Preiserhol­ung nicht mehr zurückkehr­en, ist Jost überzeugt. Aber was in der Region schwerer wiege, seien die politische­n Risken: „Jemen, Katar-Embargo, Iran, Saudiarabi­en: Da gibt es genug Zündstoff.“Sehr gut gehe indes weiterhin in den Emiraten das Serviceges­chäft.

Weshalb sich das Unternehme­n mit 1400 Mitarbeite­rn, an dem der Industriel­le Herbert Liaunig 36,4 und Jost 25,06 Prozent halten (der Rest ist in Streubesit­z), auch regional breiter ausrichtet. In Russland hofft Jost auf ein Ende der Sanktionen, die das Geschäft derzeit beeinträch­tigen. Asien macht indes heute schon große Freude: In Ländern wie Indonesien, den Philippine­n oder Indien würden Brücken nicht nur als Infrastruk­turmaßnahm­en, sondern als architekto­nische Vorzeigepr­ojekte gesehen. „Wir erleben da einen regelrecht­en Wettbewerb der Regionen gegen China.“In der Volksrepub­lik reüssiert Waagner-Biro hauptsächl­ich mit Bühnentech­nik und Stahlpress­en für große Schiffsble­che. „Brücken und Wolkenkrat­zer bauen sie selbst.“

Die Strategie der vier Sparten – als Bauchladen immer wieder belächelt – geht auf: Trotz schwierige­r Bedingunge­n blieben im Vorjahr der Umsatz mit knapp 200 Mio. und der Gewinn mit 10,1 Mio. Euro stabil. Der gute Auftragspo­lster von 256 Mio. Euro stimmt Jost für heuer zuversicht­lich.

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