Ein Japan-Schaukasten voller Köter
Kino. Wes Anderson lässt im Animationsabenteuer „Isle of Dogs“seiner Japanophilie freien Lauf. In den USA sorgte das für Kontroversen: Dürfen japanische Hunde Englisch sprechen?
Dass sich US-Regisseur Wes Anderson als Fan japanischer Kultur geoutet hat, sollte niemanden wundern. Seit jeher eignet seinen Arbeiten eine eigentümliche Mischung aus Kuriosität und Kontrolle: In gewisser Hinsicht sind alle Anderson-Werke filmische Bonsai-Bäume. Doch in seiner jüngsten Arbeit „Isle of Dogs“(auf Deutsch mit dem erläuternden Zusatz „Ataris Reise“versehen) erreicht die Gestaltungskunst des Kultfilmers einen neuen Höhepunkt – überbordende Detailwut und präzise Formgebung befinden sich im eindrucksvollen Gleichgewicht.
Das liegt einerseits daran, dass es sich um einen Animationsstreich handelt: Knappe neun Jahre nach der Roald-Dahl-Adaption „Der fantastische Mr. Fox“hat er sich mit seinem aktuellen Film erneut den vielfältigen Inszenierungsmöglichkeiten der Stopptrick-Technik zugewandt. Aber das Setting ist ebenso förderlich: „Isle of Dogs“spielt in einem dystopischen Fantasie-Nippon.
Im Kern geht es um „A Boy and His Dog“: So heißt eine Spätsechziger-Erzählung von Harlan Ellison, in der ein Bub und sein telepathisch begabter Hund in einem postapokalyptischen Ödland ums Überleben kämpfen. Ganz so düster geht es bei Anderson nicht zu, aber das Grundszenario ist nicht unähnlich: Unter dem Vorwand gefährlicher Tollwut erklärt der despotische Bürgermeister von Megasaki City sämtliche Köter der Stadt zu Staatsfeinden und verbannt sie kurzerhand auf eine Strafkolonie namens „Trash Island“, wo sie zwischen pittoresken Müllbergen ein unwürdiges Dasein fristen müssen. Grund dafür sind alteingesessene Ressentiments. Doch Atari (Koyu Rankin), das Mündel des Tyrannen, verliert durch das grausame Dekret seinen geliebten Spots (gesprochen von Liev Schreiber) – und büxt von zu Hause aus, um ihn zu suchen.
Die Menschen können nur Japanisch
Es folgt ein aberwitziges Abenteuer, bei dem ein Rudel bunter Hunde, angeführt vom Streuner Chief (Bryan Cranston), Atari hilft – und Anderson seiner Japanophilie freien Lauf lässt. Das ästhetische Anspielungsspektrum reicht von Akira Kurosawa bis Katsushika Hokusai. In den USA hagelte es dafür Vorwürfe von „Cultural Appropriation“: Anderson verwurste eine ihm fremde Bilderwelt, ohne sich ihr wirklich anzunähern. Die Vierbeiner sprechen im Original allesamt Englisch, während die japanischen Figuren untertitelt werden – im Grunde eine originelle Idee, um die Sprachbarriere zwischen Tier und Mensch deutlich zu machen. Manche sahen den Kniff jedoch als kulturelle Distanznahme – und monierten den Mangel an Japanern im Filmteam.
Dieser Tadel sagt mehr über den gegenwärtigen Status des popkulturellen Diskurses der USA aus als über „Isle of Dogs“– ein Film, der seine Künstlichkeit keine Sekunde verhehlt. Anderson macht hier dasselbe, was er in seinem letzten Hit „The Grand Budapest Hotel“mit dem alten Europa aus Stefan Zweigs „Die Welt von Gestern“angestellt hat: Er nimmt Versatzstücke aus einem bestehenden Imaginationsraum und fügt sie zu einer exzentrischen Kino-Collage, die zugleich als huldvolle Hommage an ihren Ursprung verstanden werden kann.
Auf dieser Methode fußt Andersons ganze Karriere: Davon kann man sich vom 10. bis 15. Mai im Wiener Filmcasino überzeugen, wo parallel zu „Isle of Dogs“eine (überwiegend analog projizierte) Werkschau des Regisseurs anläuft. Sie heißt „The Wes Anderson Collection“. Passend: Tatsächlich ist Anderson gleichermaßen Sammler wie Filmemacher. Mode, Architektur, Typografie, preziöses Klimbim: In seinen akribisch konstruierten Leinwanddioramen findet alles Einzug, was ihm ins Auge fällt.
Doch manchmal wirken diese ausstattungssatten Universen auch luftdicht versiegelt, als wären sie schon jetzt reif fürs Museum. Dass Anderson im Herbst dieses Jahres zusammen mit seiner Frau, der Designerin und Schriftstellerin Juman Malouf, eine persönliche Selektion von Exponaten aus dem KHM kuratieren wird, ergibt Sinn. Die Puppenhaus-Anklage, die Rezensenten wiederholt gegen ihn erheben, scheint aber nicht spurlos an ihm vorbeigegangen zu sein. „Isle of Dogs“hat auch politischen Impetus, übt Kritik an autoritären Systemen, die derzeit weltweit im Aufwind sind. Hinaus aus der Vitrine, hinein in die Realität: Erfreulich.