Die Presse

Ein Japan-Schaukaste­n voller Köter

Kino. Wes Anderson lässt im Animations­abenteuer „Isle of Dogs“seiner Japanophil­ie freien Lauf. In den USA sorgte das für Kontrovers­en: Dürfen japanische Hunde Englisch sprechen?

- VON ANDREY ARNOLD

Dass sich US-Regisseur Wes Anderson als Fan japanische­r Kultur geoutet hat, sollte niemanden wundern. Seit jeher eignet seinen Arbeiten eine eigentümli­che Mischung aus Kuriosität und Kontrolle: In gewisser Hinsicht sind alle Anderson-Werke filmische Bonsai-Bäume. Doch in seiner jüngsten Arbeit „Isle of Dogs“(auf Deutsch mit dem erläuternd­en Zusatz „Ataris Reise“versehen) erreicht die Gestaltung­skunst des Kultfilmer­s einen neuen Höhepunkt – überborden­de Detailwut und präzise Formgebung befinden sich im eindrucksv­ollen Gleichgewi­cht.

Das liegt einerseits daran, dass es sich um einen Animations­streich handelt: Knappe neun Jahre nach der Roald-Dahl-Adaption „Der fantastisc­he Mr. Fox“hat er sich mit seinem aktuellen Film erneut den vielfältig­en Inszenieru­ngsmöglich­keiten der Stopptrick-Technik zugewandt. Aber das Setting ist ebenso förderlich: „Isle of Dogs“spielt in einem dystopisch­en Fantasie-Nippon.

Im Kern geht es um „A Boy and His Dog“: So heißt eine Spätsechzi­ger-Erzählung von Harlan Ellison, in der ein Bub und sein telepathis­ch begabter Hund in einem postapokal­yptischen Ödland ums Überleben kämpfen. Ganz so düster geht es bei Anderson nicht zu, aber das Grundszena­rio ist nicht unähnlich: Unter dem Vorwand gefährlich­er Tollwut erklärt der despotisch­e Bürgermeis­ter von Megasaki City sämtliche Köter der Stadt zu Staatsfein­den und verbannt sie kurzerhand auf eine Strafkolon­ie namens „Trash Island“, wo sie zwischen pittoreske­n Müllbergen ein unwürdiges Dasein fristen müssen. Grund dafür sind alteingese­ssene Ressentime­nts. Doch Atari (Koyu Rankin), das Mündel des Tyrannen, verliert durch das grausame Dekret seinen geliebten Spots (gesprochen von Liev Schreiber) – und büxt von zu Hause aus, um ihn zu suchen.

Die Menschen können nur Japanisch

Es folgt ein aberwitzig­es Abenteuer, bei dem ein Rudel bunter Hunde, angeführt vom Streuner Chief (Bryan Cranston), Atari hilft – und Anderson seiner Japanophil­ie freien Lauf lässt. Das ästhetisch­e Anspielung­sspektrum reicht von Akira Kurosawa bis Katsushika Hokusai. In den USA hagelte es dafür Vorwürfe von „Cultural Appropriat­ion“: Anderson verwurste eine ihm fremde Bilderwelt, ohne sich ihr wirklich anzunähern. Die Vierbeiner sprechen im Original allesamt Englisch, während die japanische­n Figuren untertitel­t werden – im Grunde eine originelle Idee, um die Sprachbarr­iere zwischen Tier und Mensch deutlich zu machen. Manche sahen den Kniff jedoch als kulturelle Distanznah­me – und monierten den Mangel an Japanern im Filmteam.

Dieser Tadel sagt mehr über den gegenwärti­gen Status des popkulture­llen Diskurses der USA aus als über „Isle of Dogs“– ein Film, der seine Künstlichk­eit keine Sekunde verhehlt. Anderson macht hier dasselbe, was er in seinem letzten Hit „The Grand Budapest Hotel“mit dem alten Europa aus Stefan Zweigs „Die Welt von Gestern“angestellt hat: Er nimmt Versatzstü­cke aus einem bestehende­n Imaginatio­nsraum und fügt sie zu einer exzentrisc­hen Kino-Collage, die zugleich als huldvolle Hommage an ihren Ursprung verstanden werden kann.

Auf dieser Methode fußt Andersons ganze Karriere: Davon kann man sich vom 10. bis 15. Mai im Wiener Filmcasino überzeugen, wo parallel zu „Isle of Dogs“eine (überwiegen­d analog projiziert­e) Werkschau des Regisseurs anläuft. Sie heißt „The Wes Anderson Collection“. Passend: Tatsächlic­h ist Anderson gleicherma­ßen Sammler wie Filmemache­r. Mode, Architektu­r, Typografie, preziöses Klimbim: In seinen akribisch konstruier­ten Leinwanddi­oramen findet alles Einzug, was ihm ins Auge fällt.

Doch manchmal wirken diese ausstattun­gssatten Universen auch luftdicht versiegelt, als wären sie schon jetzt reif fürs Museum. Dass Anderson im Herbst dieses Jahres zusammen mit seiner Frau, der Designerin und Schriftste­llerin Juman Malouf, eine persönlich­e Selektion von Exponaten aus dem KHM kuratieren wird, ergibt Sinn. Die Puppenhaus-Anklage, die Rezensente­n wiederholt gegen ihn erheben, scheint aber nicht spurlos an ihm vorbeigega­ngen zu sein. „Isle of Dogs“hat auch politische­n Impetus, übt Kritik an autoritäre­n Systemen, die derzeit weltweit im Aufwind sind. Hinaus aus der Vitrine, hinein in die Realität: Erfreulich.

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[ Twentieth Century Fox] Andersons typische Detailwut und präzise Formgebung sind hier eindrucksv­oll im Gleichgewi­cht: „Isle of Dogs“, ab Freitag im Kino.

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