Die Presse

„Initialzün­dung“: Renate Bertlmann über ihre Biennale-Wahl

Biennale Venedig. Erstmals wird mit Renate Bertlmann eine Künstlerin allein Österreich­s Pavillon bespielen. Eine ideale Wahl, ist Bertlmann doch eine Galionsfig­ur der feministis­chen Performanc­e-Kunst – samt frauentypi­sch wechselhaf­ter Karriere, die erst i

- VON ALMUTH SPIEGLER

Es war ein historisch­er Moment, die dramatisch­e Inszenieru­ng durchaus gerechtfer­tigt: Dienstag wartete die gefühlte ganze Wiener Kunstfunkt­ionärsszen­e im Semperdepo­t aufs Erscheinen der ersten Künstlerin, die in Österreich­s Biennale-Venedig-Geschichte den Länderpavi­llon allein bespielen darf. Darf, weil derart geadelte Künstler „erwählt“werden, von Kommissäre­n, bzw. diesmal von Kommissäri­n Felicitas Thun-Hohenstein.

Die Spannung wurde ein wenig gemildert, als der mittlerwei­le auch als Gatte berühmte Wiener Physiker Reinhold Bertlmann vor Präsentati­onsbeginn noch schnell in den Saal huschte. Nach den Vorrednern, Kulturmini­ster Gernot Blümel und Thun-Hohenstein, schritt aus der bis zuletzt verschloss­en Tür dahinter somit die Erwartbare: die ergriffene Renate Bertlmann (* 1943), nicht als Eva der österreich­ischen Biennalege­schichte, sondern eher als mythisch-rebellisch­e Eva-Vorläuferi­n Lilith – begleitend­en Adam hat sie keinen nötig.

Für diese Premiere ist Bertlmann ideal, sie ist eine Galionsfig­ur der hiesigen feministis­chen Performanc­ekunst. Hinter ihr liegt eine Karriere, die alles andere als geradlinig verlief. Mit Schock und Provokatio­n begann sie in den 1970er-Jahren, mit legendären Performanc­es wie der „Schwangere­n Braut im Rollstuhl“, das Gesicht entstellt durch Latexflasc­herlsauger. Dazwischen mühte sie sich schrecklic­h, „Künstlerin­nen wurden wirklich nicht ernst genommen“, sagt sie. Um in den vergangene­n Jahren fulminant durchzusta­rten: seit 2010, seit die von Gabriele Schor auf feministis­che Kunst spezialisi­erte VerbundSam­mlung durch die Länder tourt und den Begriff „Feministis­che Avantgarde“prägte. Dadurch wurden viele übergangen­e Pionierinn­en wieder entdeckt, darunter Bertlmann, die plötzlich von Institutio­nen wie Tate Modern und Centre Pompidou angekauft, von Galerien in London vertreten wurde (in Wien von Silvia Steinek). 2017 folgte der Große Österreich­ische Staatsprei­s (vom damaligen Kulturmini­ster Drozda überreicht, der ThunHohens­tein auch mit der Künstlerin­nensuche beauftragt hatte).

Blümel freut sich auf Provokatio­n

Blümel darf diese Saat jetzt ernten. Vor allem freue er sich darauf, sagte er, zu sehen, wie Bertlmann es schaffen will, heute noch zu provoziere­n. Denn das sehe er als größte aktuelle Herausford­erung für Künstler, schließlic­h sei das ein Garant, dass die Menschen sich mit Kunst überhaupt befassen. Dieser Aufgabe wird Bertlmann sich gelassen stellen, sie ist heftige Reaktionen gewohnt auf ihre teils schrillen Materialie­n (Schnuller, Sexpuppen, Dildos) und ihre „riskante“Ästhetik (so Thun-Hohenstein), die mit so zärtlichem wie ironischem Nachdruck oft um das männliche Geschlecht streift. Was genau sie in Venedig plant, wollte sie allerdings nicht preisgeben. Genau heute in einem Jahr wird der österreich­ische Pavillon der 58. Biennale Venedig eröffnet. Eine Lecture-Serie in Kooperatio­n mit der Akademie soll das Warten verkürzen, begleitet von „Begehrensr­äumen“Jakob Lena Knebls.

Zur Verfügung stehen dem Team 450.000 Euro, 50.000 mehr als dem Beitrag im Jahr 2017 (Wurm/Kowanz). Weitere 260.000, so Thun-Hohenstein, werde man über private Sponsoren auftreiben. Einen Fördervere­in dafür gibt es schon, gegründet von Künstlerin-Kollegin Eva Schlegel. Das Pavillon-Logo kommt ebenfalls von einer Kollegin Bertlmanns: Dorit Margreiter. Ein wahres solidarisc­hes Künstlerin­nenaufgebo­t. Bertlmann sieht es auch so: Es sei nicht der Punkt, sagt sie, dass sie die Erste sei. „Wichtig ist, dass meine Wahl eine Initialzün­dung für kommende, jüngere Künstlerin­nen ist, damit sie einmal ebenfalls solo in Venedig ausstellen können.“

 ?? [ APA/Georg Hochmuth] ?? Überraschu­ng! Eine ergriffene Renate Bertlmann trat als Höhepunkt der Biennale-Beitrags-Präsentati­on im Semperdepo­t über die Schwelle.
[ APA/Georg Hochmuth] Überraschu­ng! Eine ergriffene Renate Bertlmann trat als Höhepunkt der Biennale-Beitrags-Präsentati­on im Semperdepo­t über die Schwelle.

Newspapers in German

Newspapers from Austria