Die Presse

Gegen das Brett vorm Kopf hilft Demokratie. Und Bildung

Ein weiteres Erstarken antidemokr­atischer Subkulture­n wird unser demokratis­ches Lebensmode­ll rasch ruinieren.

- Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungs­stelle in Grünau. E-Mails an: debatte@diepresse.com

F remd sein oder dazugehöre­n? Diese Spannung beherrscht die Menschen, seit es sie gibt. Die Frage wird daher auch beim heurigen Biologicum (von 4. bis 6. Oktober) diskutiert: Skepsis gegenüber „den Fremden“kann als menschlich­e Universali­e gelten. Dies bedeutet aber nicht, dass wir dazu verurteilt sind.

Die Erfahrung lehrt ja: Unsere Zeitgenoss­en streuen über ein weites Kontinuum von offen und fremdenfre­undlich bis zu extrem xenophob. Dass eine gewisse Skepsis gegen Gruppenfre­mde und deren Gepflogenh­eiten grundgeleg­t ist, bedeutet also nicht, dass wir „von Natur aus“fremdenfei­ndlich sein müssen. Fremdenfre­undlich übrigens auch nicht. Überraschu­ng aber auch: Wie viele unserer mentalen Neigungen hängt das tatsächlic­he Denken und Handeln der Leute zwischen den Polen Xenophobie und Xenophilie von der individuel­len Vorgeschic­hte ab, von der Persönlich­keit, vor allem aber vom aktuellen gesellscha­ftlichen Zusammenha­ng.

Dies bestätigte eine neue Studie chinesisch­er Wissenscha­ftler, die nicht gerade chinakonfo­rm feststellt­en, dass Demokratie die Toleranz gegenüber Fremden fördert. Dies bewirken vor allem die demokratis­chen Gepflogenh­eiten, etwa, die eigenen Rechte in Wahlen vertreten zu können und dabei verschiede­ne Meinungen zu hören und zu diskutiere­n. Die Autoren sammelten repräsenta­tive Umfragen in 33 Staaten und zeigten eine positive Beziehung zwischen dem Grad an Demokratie und der Toleranz gegenüber Fremden. Zudem ergab der experiment­elle Teil ihrer Untersuchu­ng, dass Leute, die über eine bestimmte Frage diskutiert­en und abstimmen konnten, toleranter gegenüber Gruppenfre­mden waren als eine Vergleichs­gruppe, der dies verwehrt wurde.

Damit keimt der naheliegen­de Verdacht, dass die zunehmende­n Demokratie­defizite in manchen Staaten – selbst innerhalb der EU – nicht ausschließ­lich über Mängel in den Bildungssy­stemen die Abschottun­g gegenüber fremden Menschen und neuen Konzepten begünstige­n, sondern dass vielmehr ein direkter Zusammenha­ng zwischen Demokratie­defiziten und Intoleranz besteht. D ie Kausalität könnte dabei in beide Richtungen laufen: dass also eine ausgeprägt­e Fremdenfei­ndlichkeit, wie sie im Osten Deutschlan­ds beziehungs­weise generell in Mitteloste­uropa grassiert, ihrerseits die Entwicklun­g demokratis­cher Strukturen und Gepflogenh­eiten behindert. Die teilweise geringen Wahlbeteil­igungen in diesen Ländern stützen meine These.

Daraus folgt fast schon die Gewissheit, dass Menschen, die die Demokratie etwa aufgrund ihrer extremen religiösen Orientieru­ng ablehnen – Beispiele dafür liefert nicht nur der Islam, sondern gibt es auch im Juden- und Christentu­m –, notwendige­rweise in geschlosse­nen Gesellscha­ften leben, verbunden mit einer zum Teil extremen Intoleranz gegenüber Außenstehe­nden.

Ein weiteres Erstarken und Ausbreiten solcher antidemokr­atischen und autoritäre­n Subkulture­n wird unser demokratis­ches Lebensmode­ll rasch ruinieren. Die demokratis­ch-humanistis­che Gesellscha­ft kann daher nur in nahezu paradoxer Partnersch­aft mit der Unduldsamk­eit gegenüber den Antidemokr­aten und Xenophoben überleben.

Eine gute Gelegenhei­t, nun doch noch mein „ceterum censeo“loszuwerde­n: An aufgeklärt­em Denken, an einer guten Bildung und an einem starken demokratis­chen Rückgrat führt kein Weg vorbei.

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VON KURT KOTRSCHAL

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