Die Presse

Europa im Spannungsf­eld der globalen Umbrüche

Die Seidenstra­ßeninitiat­ive der Volksrepub­lik China stellt für die EU eine Herausford­erung dar, der sie sich stellen muss.

- VON NORBERT LACHER

Wir wollen die Seidenstra­ßeninitiat­ive vorantreib­en, so dass die Menschen auf der ganzen Welt davon profitiere­n [. . .]. Wir wollen eine Straße des Friedens schaffen.“So lautete die Botschaft von Chinas Staatspräs­ident Xi Jinping in seiner Eröffnungs­rede anlässlich des „One Belt, One Road“-Gipfels am 14. Mai 2017 in Peking an die anwesenden Vertreter aus 110 Ländern, darunter 28 Staats- und Regierungs­chefs.

990 Milliarden US-Dollar sollen in den nächsten Jahrzehnte­n in ein Projekt fließen, das sowohl zu Land als auch zu Wasser den eurasisch-afrikanisc­hen Kontinent mit einem infrastruk­turellen wie ökonomisch­en Netzwerk an Kommunikat­ionslinien und Wirtschaft­sräumen überziehen soll. Spätestens jetzt ist die neue Seidenstra­ße in der globalen Geopolitik und damit auch in Europa angekommen. Mit dem Zerfall der Sowjetunio­n, dem Ende der Bipolaritä­t und nach einem kurzen Interregnu­m unipolarer Ordnung unter US-Führung, ist die Weltordnun­g im Umbruch und auf der Suche nach einer neuen Ausrichtun­g. Chinas Seidenstra­ßeninitiat­ive ist daher als ein Ansatz zu sehen, dieser Suche eine Option anzubieten und seinen Anspruch als globalen Akteur Ausdruck zu verleihen.

Mit der Initiative soll das historisch­e geopolitis­che und ökonomisch­e Potenzial der antiken Seidenstra­ße und des zentralasi­atischen Raumes wiedererwe­ckt werden. Über Jahrhunder­te hinweg war die Seidenstra­ße die Kommunikat­ionslinie früher Hochkultur­en. Damals wie heute gilt, wer Einfluss auf diese Kommunikat­ionslinie nahm oder nehmen kann, dem wird der Zugang zu nahezu grenzenlos­er Macht und Wohlstand eröffnet. Als ein Beispiel sei hier das Reich der Mongolen genannt, dem größten zusammenhä­ngenden Herrschaft­sbereich der Weltgeschi­chte.

Trotz der Verlagerun­g der Machtproje­ktion von Land auf See Anfang des 16. Jahrhunder­ts und der darauffolg­enden Epoche der Seemächte blieb Eurasien und der zentralasi­atische Raum der Schlüssel zur globalen Vormachtst­ellung. Aus diesem Grund prallten hier Ende des 19. Jahrhunder­ts die imperialen Interessen der Landmacht Russland und der Seemacht Großbritan­nien, bekannt als „The Great Game“, aufeinande­r.

Der zentralasi­atische Raum, mit seiner enormen Raumtiefe und von Schiffen nicht erreichbar, ist daher Grundlage und essenziell­er Bestandtei­l geopolitis­ch/geostrateg­ischer Theorie- und Handlungsm­odelle im Lichte der steten Auseinande­rsetzung Landmacht/ Seemacht. Die Kernland-Theorie von Halford Mackinder oder die Rimland-Theorie von Nicholas Spykman sind die wohl prägendste­n ihrer Art. Aber auch

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