Die Presse

Warum will die FPÖ denn plötzlich beim „Tugendterr­or“mitmachen?

Nazis zu verharmlos­en und sich über die „Nazi-Keule“zu empören war stets das Erfolgsrez­ept der FPÖ. Die neu entdeckte Opferpose steht ihr weniger gut.

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Was ich verstehen würde: eine ehrliche FPÖ. Eine FPÖ, die sagt: „Wir sind einst als Sammelbeck­en der Nazis entstanden. Nicht aller Nazis selbstvers­tändlich – es waren nach dem Krieg noch genügend davon für andere Parteien übrig. Aber doch all jener, die nahtlos weitermach­en wollten und nostalgisc­he Bedürfniss­e nach alter Größe, Zucht und Ordnung pflegten.“

Diesen Wählerinne­n und Wählern tat es gut, wenn wir sagten, dass unter den Nazis nicht alles schlecht war. Dass die Opfer vielleicht auch ein bisschen selbst schuld an ihrem Schicksal waren. Dass manche von ihnen „Verbrecher“gewesen seien (wie Fritz Zawrel genannt wurde), oder gar eine „Landplage“(wie die freiheitli­che Zeitschrif­t „Aula“schrieb). Folgericht­ig feierte die FPÖ den gestrigen 8. Mai nie als „Tag der Befreiung“von den Nazis, sondern trauerte. So weit, so konsequent. Sie fuhr damit gut.

Konsequent ist auch, dass die FPÖ sich entschiede­n hat, diese Ressentime­nts nach dem Aussterben der NaziGenera­tion weiterzube­dienen – schlicht deswegen, weil es politisch funktionie­rt hat. Immerhin brachte die antisemiti­sche Terminolog­ie, von „Ostküste“über „Umvolkung“bis „Volksschäd­linge“, auch bei den Enkeln der Nazis noch Saiten zum Schwingen. Jörg Haider führte virtuos vor, wie das geht: Eine Andeutung hier, ein doppeldeut­iger Witz dort, hier eine Verleumdun­g, dort eine gezielte Provokatio­n – schon hatte er die Stimmung auf seiner Seite. Medien und intellektu­elles Establishm­ent zuckten zwar kurz zusammen, aber das war Teil der FPÖ-Strategie. Es kam gut an. Haider gewann damit Wahlen, trieb die „Systempart­eien“(noch so ein Wort, das im Nazi-Unterbewus­sten schlummert­e) vor sich her. Und genau das wollte man ja!

Taktisch nachvollzi­ehbar war weiters, dass die FPÖ das alte Feindbild „Juden“im Lauf der Jahrzehnte verbreiter­te, um am Puls der Zeit zu bleiben. In Richtung „Ausländer“, „Flüchtling­e“, „Zuwanderer“oder „Islam“– je nachdem, was gerade Konjunktur hatte (in der Person von George Soros fließt alles in eins zusam- men, das hat sich gut getroffen). Die derbe Wortwahl, etwa Menschen mit Tieren zu vergleiche­n, behielt man der Einfachhei­t halber bei – auch nachdem man in die Regierung gekommen war. Das war man den eigenen Anhängern schuldig, die waren schließlic­h schon dran gewöhnt.

Aus all dem ergibt sich logisch, dass der FPÖ jahrzehnte­lang all jene furchtbar auf die Nerven gehen mussten, die auf historisch­e Kontinuitä­ten hingewiese­n haben: vom Dokumentat­ionsarchiv über die Kultusgeme­inde bis hin zu angeblich „linkslinke­n“Schriftste­llern und „Gutmensche­n“. Logisch, dass die FPÖ deren Kritik stets als „Tugendterr­or“oder „Nazikeule“weggewisch­t hat – schließlic­h sind weder Juden noch Intellektu­elle noch Linkslinke zahlenmäßi­g als Wähler relevant.

Sie öffentlich an den Pranger zu stellen kam hingegen bei den Massen prächtig an und entwickelt­e sich auf allen Kanälen, von unzensurie­rt.at bis zu den FP-Facebook-Seiten, zum Volkssport, um die Fans bei Laune zu halten. „Jetzt erst recht“heißt der passende Plakatspru­ch dazu.

Ich kann intellektu­ell nachvollzi­ehen, warum die FPÖ all das getan hat. Es ist taktisch und inhaltlich schlüssig. Es entspricht den inneren Überzeugun­gen der handelnden Personen, deswegen kam es glaubwürdi­g rüber. Politisch erfolgreic­h war es ohnehin.

Nicht verstehen kann ich hingegen: Warum will die FPÖ von denselben Leuten, die sie bisher verächtlic­h „Tugendterr­oristen“genannt hat, jetzt plötzlich Anerkennun­g? Warum drängen sich Freiheitli­che neuerdings forsch ins Bild, wenn der Nazi-Opfer gedacht wird? Warum wollen sie plötzlich unbedingt mitapplaud­ieren, wenn „Niemals wieder!“und „Wehret den Anfängen!“gerufen wird, wenn vor Verhetzung, rassistisc­her Ausgrenzun­g von Minderheit­en und Sündenbock­politik gewarnt wird? Haben Freiheitli­che denn vergessen, worin der Kern ihres Erfolgs besteht? Nein, das ergibt überhaupt keinen Sinn.

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VON SIBYLLE HAMANN

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