Die Presse

Mit wehenden Fahnen von Tel Aviv nach Jerusalem

Israel. Die Übersiedlu­ng der US-Botschaft nach Jerusalem – inmitten der Feiern zum 70. Gründungst­ag Israels – birgt Potenzial zur Eskalation.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE KNAUL

Einen Tag vor der Eröffnung der neuen US-Botschaft in Jerusalem haben am Sonntag Tausende Israeli den sogenannte­n Jerusalemt­ag begangen. Dabei wird der Eroberung des arabisch geprägten Ostteils der Stadt im Sechstagek­rieg 1967 gedacht. Unter den Feiernden waren auch die Mitglieder des Motorradcl­ubs Samson Riders, die vom bisherigen Ort der amerikanis­chen Botschaft in Tel Aviv zur neuen Residenz gefahren sind. Heute, Montag, am 70. Jahrestag der Gründung Israels, eröffnen die USA in Jerusalem ihre neue diplomatis­che Vertretung. In Israel wird dieser Schritt mit großer Freude aufgenomme­n. Bei den Palästinen­sern, aber auch in anderen Ländern, sorgt der Schritt für Kritik, weil dadurch eine neuerliche Eskalation des Nahostkonf­likts befürchtet wird.

Am Ende findet die Einweihung der US-Botschaft in Jerusalem ohne Präsident Donald Trump statt. Als höchster Vertreter aus dem Weißen Haus wird der stellvertr­etende Außenminis­ter, John Sullivan, erwartet, wenn das bisherige Konsulatsg­ebäude im Jerusaleme­r Viertel Arnona am heutigen Montag offiziell zu „einem Teil der Botschaft“wird, wie von US-Diplomaten in Tel Aviv verlautete. Der Stab wird vorläufig nicht komplett in die „ewig ungeteilte jüdische Hauptstadt“, wie Israels Regierungs­chef es gern betont, umziehen, sondern nur „ein kleines Personalau­fkommen“. Botschafte­r David Friedman bekommt ein Büro in Jerusalem, wird aber den Hauptteil seiner Arbeit weiter von Tel Aviv aus erledigen.

Bei den Palästinen­sern sorgt der politische Akt für großen Unmut. Jihia al-Sinwar, Chef des Hamas-Politbüros, sprach in Gaza von der „emotionale­n Bindung“seines Volkes zu Jerusalem, „dem Herzen seines Volkes“. Morgen, Dienstag, ist der Jahrestag der Nakba, an dem die Palästinen­ser den Beginn des Flüchtling­sproblems erinnern. Im Grenzgebie­t zum Gazastreif­en sind Massenprot­este geplant.

Der eher formale Akt der Botschafts­eröffnung birgt enormes Sprengpote­nzial. 70 Jahre nach der Gründung Israels ist der Status Jerusalems internatio­nal noch zu klären. Bei bisherigen Friedensve­rhandlunge­n zwischen Israel und der Palästinen­sischen Befreiungs­organisati­on (PLO) gehörte Jerusalem zu den zentralen Knackpunkt­en. Beide Völker beanspruch­en Jerusalem als ihre Hauptstadt. Bereits im Dezember, als Trump im Alleingang Jerusalem offiziell als Hauptstadt Israels anerkannte, setzte die PLO die Kontakte zum Weißen Haus aus. Trump habe sich als „befangen“entlarvt, so argumentie­rte Palästinen­serpräside­nt Mahmud Abbas und wetterte gegen Botschafte­r Friedman, der „ein Siedler“sei und ein „Hundesohn“. Friedman ist entschiede­ner Unterstütz­er der israelisch­en Siedlungsp­olitik und Gegner eines palästinen­sischen Staates.

Massenprot­este geplant

Unter dem Motto „Jerusalem ist eine arabische, islamische und christlich­e Stadt“kündigten mehrere palästinen­sische und arabisch-israelisch­e Organisati­onen Proteste in Israel und im Westjordan­land an. Mohammad Barake, ehemals Knessetabg­eordneter der antizionis­tischen Partei Chadasch, will vor dem Botschafts­haus in Arnona demonstrie­ren, wo ein polizeilic­hes Sonderaufg­ebot postiert ist. Zeitgleich planen die Palästi- nenser Kundgebung­en in Ramallah, Bethlehem und Hebron. „Wir protestier­en gegen die amerikanis­che Aggression“, erklärte Barake, und gegen Trumps geplanten „Jahrhunder­tdeal“, der „von jüdischen Siedlern im Weißen Haus“formuliert werde. Die Demonstrat­ionen sollen außerdem der Solidaritä­t mit dem „Großen Marsch der Rückkehr“im Gazastreif­en gelten. Seit Ende März sind dort bei wöchentlic­hen Demonstrat­ionen im Vorfeld des Nakba-Tages am 15. Mai bereits 47 Palästinen­ser von Scharfschü­tzen erschossen worden. 8000 Demonstran­ten trugen Verletzung­en davon.

Israel will „Trump Town“

Umstritten ist sogar das Gelände, auf dem sich die Jerusaleme­r Botschaft befindet, denn es gehört weder zu West- noch zu Ostjerusal­em, sondern liegt im sogenannte­n Niemandsla­nd, einer Zone, die bis zum Sechstagek­rieg 1967 als demilitari­sierter Puffer zwischen Israel und dem damals von Jordanien kontrollie­rten Ostjerusal­em diente. Laut Auskunft von Alexis Alexander, Vize-Presseatta­chee,´ soll „bis zum Ende des kommenden Jahres“ein weiterer Komplex auf dem Gelände entstehen. Hauptsitz des diplomatis­chen Corps bleibt Tel Aviv. Eine endgültige Entscheidu­ng über den permanente­n Sitz der US-Botschaft in Jerusalem stehe aus.

Nachahmer sind jedenfalls erwünscht. Israels Bauministe­r, Joav Galant, visioniert bereits ein komplettes Botschafts­viertel. Einen passenden Namen hätte er auch schon: „Trump Town“.

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