„Die USA sind immer ein Partner“
Interview. Kanadas Regierungschef, Justin Trudeau, über den bevorstehenden G7-Gipfel, fragile Handelsabkommen und den Ausstieg der USA aus dem Iran-Abkommen.
Kanadas Premierminister, Justin Trudeau, im „Presse“Interview über USPräsident Trump, Europa und die Macht der G7.
Die Presse: Herr Premierminister, die G7 wurde geschaffen, um Zusammenarbeit und Multilateralismus zu stärken. Nun haben wir mit den USA einen Partner, der sich aus internationalen Verpflichtungen zurückzieht und gegen Multilateralismus wettert. Welche Rolle kann die G7, deren Vertreter in wenigen Wochen in Kanada zu einem Gipfeltreffen zusammenkommen, in dieser Lage spielen? Justin Trudeau: Beim letzten G7-Gipfel sahen wir, dass es Raum für substanzielle Gespräche über gemeinsame Probleme gibt. Wir haben ähnliche Herausforderungen. Manchmal sind die Politikrezepte und Lösungen unterschiedlich, aber es gibt immer Möglichkeiten, gemeinsame Grundlagen zu finden. Das machen wir mit den Nafta-Verhandlungen (mit den USA und Mexiko, Anm. ): etwas erreichen, was für jedes unserer drei Länder ein Gewinn ist.
Handel ist immer ein wichtiges Thema für Sie und die G7. Es klingt aber oft so, als seien Europa, Kanada und Mexiko für die USA jetzt eher Feinde denn Partner. Fürchten Sie einen Handelskrieg zwischen der EU und Kanada auf der einen und den USA auf der anderen Seite? Wir haben nur wenige Wochen, um Probleme wie die Strafzölle auf Stahl und Aluminium und Nafta zu lösen. Ich habe im vergangenen Jahr beim Umgang mit dieser US-Regierung deutlich gemacht, dass wir nicht auf Rhetorik antworten. Wir antworten auf tatsächliches Handeln. Wir haben mit den USA an konkreten Ergebnissen im Interesse unserer Länder arbeiten können, wir werden weiter auf ein Nafta-Abkommen hinarbeiten. Es gibt vieles, bei dem ich mit dem Präsidenten nicht übereinstimme. Aber bei dem Thema, die Wirtschaft zum Wohle aller Bürger wachsen zu lassen, teilen wir den gleichen Ansatz.
Die Iran-Entscheidung Donald Trumps zeigt aber, dass er nicht auf den französischen Präsidenten Macron, die deutsche Kanzlerin Merkel und die britische Premierministerin May hört, die versuchten, ihn vom Festhalten am Iran-Abkommen zu überzeugen. Hier ist ein Riss zwischen Alliierten. Wie wollen Sie diesen Graben zwischen den Verbündeten in Europa und den USA überbrücken und eine Situation „sechs gegen einen“vermeiden? Natürlich sind wir auch enttäuscht über die Entscheidung der USA, sich aus dem Nuklearabkommen mit dem Iran zurückzuziehen. Es ist wichtig, dass wir verhindern, dass der Iran Atomwaffen entwickelt. Das Abkommen, obwohl nicht perfekt, ist sicherlich ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung. Wir werden weiter mit allen unseren internationalen Verbündeten zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass das Abkommen weiter angewendet wird. Aber Länder haben das Recht, ihre eigene Entscheidung in ihrem Interesse zu treffen.
Die G7 ist also nicht irrelevant? Nein, das ist sie nicht.
Sprachen Sie mit Mr. Trump kürzlich über den Iran? Nein, unsere jüngsten Gespräche drehten sich sehr stark um Handel und Nafta. Aber wir haben regelmäßig Gespräche über Sicherheit, ich spreche diese Themen auch an.
Haben Sie Hoffnung, Probleme wie Nafta und den Konflikt um Strafzölle auf Stahl und Aluminium bis Ende Mai zu lösen? Wir arbeiten weiter hart daran. Wir bleiben optimistisch. Die Frage ist, dies zur rechten Zeit und auf richtige Weise zu erreichen. Die USA haben einige Initiativen vorgelegt, von denen wir glauben, dass sie schlecht sind für Kanada, aber wahrscheinlich auch für die USA.
Wie positionieren Sie Kanada in diesen Konflikten zwischen den USA und den europäischen Partnern in dieser transatlantischen Partnerschaft, die jetzt schwer beschädigt zu sein scheint? Welche Rolle kann Kanada spielen? Ich glaube nicht, dass ich da so schwarz sehen würde wie Sie, dass die transatlantische Partnerschaft beschädigt ist. Das Bekenntnis der USA zur Nato und zum Engagement in Fragen, die Bedeutung rund um die Welt haben, besteht fort. Es ist nicht so, wie wir es gewöhnt waren, aber es gibt immer Möglichkeiten, zu-
sammenzuarbeiten und positive Ansätze zu entwickeln. Kanada bemüht sich immer um gemeinsame Grundlagen.
Viele europäische Politiker sehen Sie und Kanada als natürlichen Verbündeten Europas. Wird der G7-Gipfel dies zeigen, eine Kanada-EU-Partnerschaft und Allianz bei wichtigen internationalen Themen wie Freihandel, Frieden und Sicherheit, UN und Multilateralismus, vielleicht auch als Gegengewicht zu dem, was wir von südlich der Grenze hören? Kanada hat in diesem Jahr die Präsidentschaft der G7. Unsere Prioritäten stehen im Zentrum der G7, und unsere Prioritäten sind Frieden und Stabilität in der Welt, Wirtschaftswachstum für alle, Schutz der Ozeane und der Umwelt und wie wir sicherstellen, dass Frauen die Möglichkeit zu Teilnahme ( Anm. in Wirtschaft und Gesellschaft) und Erfolg haben. Dies ist wichtig für Kanada, aber auch für alle G7-Länder.
Russland steht nun seit Jahren außerhalb der G7. Sehen Sie einen Weg zurück an den Tisch für Russland? Haben Sie daran gedacht, Präsident Putin zu diesem Gipfel oder zu einem Treffen mit den G7-Mitgliedern am Rande des Gipfels einzuladen? Nein, das ist keine Diskussion, die wir jetzt hatten. Es ist klar, dass die Stärke der G7 an Ländern liegt, die weitgehend gleichgerichtet sind bei ihren Werten, Perspektiven, Herausforderungen und demokratischen Prinzipien. Und sieben von uns stehen sich sehr nahe und Russland schlichtweg nicht.
Sie sehen also weiter diese Einigkeit bei Werten und gemeinsamen Grundlagen? Jedes demokratische Land geht durch Phasen des Wandels von Regierungen und Politiken. Aber die Bürger bleiben. Ob wir über Amerikaner, Franzosen, Deutsche, Briten, Japaner oder Kanadier sprechen, es gibt viel mehr Dinge, in denen wir uns ähnlich sind, als Dinge, die uns unterscheiden oder die unsere politischen Führungskräfte unterscheiden. Und wenn wir uns darauf konzentrieren, was den Interessen der Bürger in den G7-Ländern nützt, finden wir unglaubliches Potenzial für Zusammenarbeit. Das heißt nicht, dass wir immer bei allem einer Meinung sind, bei Weitem nicht. Aber es bedeutet, dass wir immer noch genug gemeinsame Grundlagen finden, um Chancen für unsere Bürger zu schaffen und ihren Ängsten entgegenzutreten.
Und Sie sehen in den USA und Donald Trump einen glaubwürdigen Partner in all diesen Aufgaben auf der internationalen Bühne? Ich glaube, dass die USA aufgrund ihrer ökonomischen Macht und ihres Einflusses, die sie haben, immer ein Partner sein werden, auf den wir setzen müssen und mit dem wir versuchen müssen, erfolgreich zusammenzuarbeiten, zu unserem eigenen Nutzen und zum Nutzen der globalen Wirtschaft.