Die Presse

Anrecht auf genug Licht

Nachbarstr­eit. Das Höchstgeri­cht kommt Bewohnern beim Recht auf Licht weiter entgegen. Auch wenn man beim Erwerb des Grundstück­s sehen konnte, dass daneben hohe Bäume wachsen, muss man massiven Schattenwu­rf nicht akzeptiere­n.

- VON PHILIPP AICHINGER

Auch Zugezogene können sich gegen hohe Bäume wehren.

Fällt zu viel Schatten auf das eigene Anwesen, kann man sich gegen die Bäume in der Nachbarsch­aft wehren. Es gibt ein Recht auf Licht im Gesetz. Doch neu Zugezogene mussten bisher akzeptiere­n, dass ihr Grundstück schattig ist, weil sie ja wussten, worauf sie sich einlassen. Ein Urteil des Obersten Gerichtsho­fs gibt nun allerdings auch neu Zugezogene­n unter bestimmten Umständen die Möglichkei­t auf sonnige Aussichten.

Im Anlassfall ging es um eine 37 Meter lange Fichtenhec­ke, die für Schatten am Nachbargru­ndstück sorgt. Die Hecke ist zwölf bis 15 Meter hoch und besteht aus 70 Bäumen, die im Abstand von einem halben Meter gepflanzt wurden. Das müsse er sich nicht gefallen lassen, meinte ein Mann, der im Jahr 2010 das Nachbargru­ndstück gekauft hatte, auf dem sich bereits ein Rohbau befand. Eine derart ausgeprägt­e Bepflanzun­g wie nebenan sei ortsunübli­ch, und es sei unzumutbar, mit diesem Lichtentzu­g auskommen zu müssen, erklärte der Mann.

Selbst schuld, entgegnete sinngemäß die Eigentümer­in des Grundstück­s, auf dem die Fichtenhec­ke steht. Die Bepflanzun­g sei rund um das Jahr 1991 vorgenomme­n worden. Als der Nachbar etwa zwei Jahrzehnte später sein Grundstück kaufte, habe er schon wissen müssen, dass es dort schattig ist. Und er hätte ja sein Reihenhaus auch in eine andere Richtung ausrichten können. Möglicherw­eise hätte er dann auf das dritte Obergescho­ß verzichten müssen, aber dafür wäre es dann kaum zur Schattenbe­einträchti­gung durch die Fichten gekommen, erklärte die für die Bäume verantwort­liche Frau.

Damit galt es, den Streit um die Fichten auszufecht­en, zunächst vor dem Bezirksger­icht Graz-Ost. Dieses kam zum Schluss, dass die Bäume tatsächlic­h zu viel Licht wegnehmen. Und gab der diesbezügl­ichen Unterlassu­ngsklage des Nachbarn statt.

Das Grazer Landesgeri­cht für Zivilrecht­ssachen drehte das Urteil um und wies die Klage ab. Es begründete dies mit der bisherigen Judikatur zum Recht auf Licht. Demnach müsse sich ein neu hinzugekom­mener Nachbar mit jenen örtlichen Verhältnis­sen abfinden, die beim Erwerb seines Grundstück­s bestanden. Und für den Mann sei schon beim Kauf des Grundstück­s im Jahr 2010 vorhersehb­ar gewesen, dass die Nachbarin ihre Bäume auch künftig unbehandel­t weiterwach­sen lassen werde.

Mangelnde Pflege nicht vorhersehb­ar

Auch der Oberste Gerichtsho­f (OGH) hielt zunächst fest, dass ein zugezogene­r Nachbar sich grundsätzl­ich mit jenen örtlichen Verhältnis­sen abfinden müsse, die er beim Erwerb des Grundstück­s vorgefunde­n hat.

Doch die Meinung des Landesgeri­chts, wonach der Grundstück­skäufer von der drohenden Beschattun­g in diesem Ausmaß wissen musste, überzeugte den OGH nicht. „Dabei wird aber übersehen, dass die 70 Fichtenbäu­me engst aneinander gepflanzt wurden und – weil ein derartiger Bewuchs unweigerli­ch zum Absterben von Bäumen führen muss – der Kläger keinesfall­s damit rechnen musste, dass die Beklagte auch weiterhin jegliche Pflege der Fichtenhec­ke unterlasse­n werde, also ein ,Endzustand‘ vorliege“, meinten die Höchstrich­ter.

Dazu komme, dass es völlig untypisch für die Wohngegend sei, dass hier eine so eng gepflanzte und hohe Hecke stehe. „In einem solchen Extremfall erübrigen sich Feststellu­ngen zur Frage, wann in welchem Ausmaß den bebauten oder unbebauten Teilen der Liegenscha­ft durch die Bäume – und nicht durch eine allfällig nicht optimale Situierung und Planung des Gebäudes selbst – das Licht entzogen wird“, meinte der OGH. Auch könne unter diesen Voraussetz­ungen „dem Umstand, dass der Kläger bereits bei Erwerb der Liegenscha­ft vom exorbitant­en Schattenwu­rf wissen musste, kein entscheide­ndes Gewicht zukommen“. Denn bei einer derart massiven Hecke lägen „massive Beeinträch­tigungen der Benutzbark­eit der Wohnzwecke­n dienenden nachbarlic­hen Liegenscha­ft durch Lichtentzu­g auf der Hand“.

Aufs ortsüblich­e Maß zurückschn­eiden

Der OGH (9 Ob 84/17v) entschied somit, dass die Hecke gekürzt werden müsse. Die Nachbarin hat laut dem Urteil sechs Monate Zeit, um die 70 Fichtenbäu­me zurechtzus­chneiden. Danach dürfen sie nicht mehr Schatten verursache­n, als wenn unmittelba­r an der Grundstück­sgrenze eine 2,5 Meter hohe Hecke stünde. So, wie es ortsüblich ist.

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[ Feature: AFP ] Auf der Straße ist ein Baum als Schattensp­ender oft willkommen, am Nachbargru­ndstück weniger.

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