Die Presse

EU will Whistleblo­wer besser schützen

Compliance. Wer anonym Missstände in einer Organisati­on aufzeigen will, soll sich in letzter Konsequenz straflos an Medien wenden dürfen.

- VON ALEXANDER PETSCHE UND MATTHIAS EDTMAYER DDr. Alexander Petsche ist Partner der Kanzlei Baker McKenzie, Mag. Matthias Edtmayer ist ebendort Junior Associate.

Nicht erst seit den PanamaPape­rs, jenen vertraulic­hen Unterlagen eines panamaisch­en Beratungsu­nternehmen­s, die bemerkensw­erte internatio­nale Steuergest­altungen offenbart haben, ist klar: Skandale kommen oft erst ans Licht, wenn sich Mitarbeite­r dazu entschließ­en, sie publik zu machen. Effektive Whistleblo­wingSystem­e sind deshalb eine wichtige Voraussetz­ung für die Wirksamkei­t von Compliance-Management-Systemen. Doch sie funktionie­ren nur dann, wenn Whistleblo­wer keine Angst vor Vergeltung­smaßnahmen haben müssen, also ausreichen­d geschützt sind.

Umfassende Regelungen zum Schutz von Whistleblo­wern bestehen derzeit nur in rund einem Drittel der Mitgliedst­aaten der Europäisch­en Union. Doch ohne rechtliche Regelungen besteht für Whistleblo­wer nicht nur kein (ausreichen­der) Schutz, sondern diesen drohen sogar langwierig­e Rechtsstre­itigkeiten. Unter diesen Umständen traut sich fast niemand, Fehlverhal­ten aufzuzeige­n.

Der EU-Kommission ist diese fragmentie­rte Rechtslage in den Mitgliedst­aaten ein Dorn im Auge. Die Kommission möchte nun einen einheitlic­hen Mindeststa­ndard für den Schutz von Whistleblo­wern innerhalb der EU verankern und in allen Mitgliedst­aaten Whistleblo­wer vor Sanktionen schützen. Für besonderes Aufsehen sorgt der Vorschlag, dass in letzter Konsequenz Whistleblo­wer auch dann geschützt sein sollen, wenn sie Informatio­nen an die Medien weitergebe­n.

Uneinheitl­ich geregelt ist in den Mitgliedst­aaten nicht nur, für welche Branchen und für welche Delikte der Schutz von Whistleblo- wern gilt, sondern auch, welche Personen als Whistleblo­wer überhaupt infrage kommen. Die vorgeschla­gene Richtlinie zieht hier einen sehr weiten Kreis: Nach den Vorstellun­gen der Kommission sollen nicht nur Arbeitnehm­er, sondern auch Berater, Auftragneh­mer und Lieferante­n geschützt sein. Sogar ehrenamtli­ch Tätige, unbezahlte Praktikant­en und Stellenbew­erber sollen vom Whistleblo­wer-Schutz profitiere­n.

Dem Vorschlag der Kommission liegt ein dreigliedr­iges System zugrunde: Ein Whistleblo­wer soll sich demnach zuerst an ein unternehme­nsinternes Meldesyste­m wenden. Alle Unternehme­n mit mehr als 50 Beschäftig­ten oder einem Jahresumsa­tz von mehr als zehn Millionen Euro würden verpflicht­et sein, ein solches internes Whistleblo­wing-System einzuführe­n. Davon wären auch alle österreich­ischen Mittelbetr­iebe betroffen, die Whistleblo­wing-Systeme bislang als Vernaderun­g abgelehnt haben. Kleinere Unternehme­n trifft diese Verpflicht­ung nicht, es sei denn, sie sind im Finanzdien­stleistung­sbereich tätig. Verpflicht­et sollen auch alle Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern werden.

Sollte aber kein unternehme­nsinternes Meldesyste­m bestehen oder bleibt eine Meldung erfolglos, so kann sich der Whistleblo­wer an die staatliche­n Behörden wenden. Erhält der Whistleblo­wer auch hier innerhalb einer bestimmten Zeit (drei bis maximal sechs Monate in komplexen Fällen) keine Antwort, kann er als letzte Konsequenz auch an die Öffentlich­keit gehen – und wird dabei durch die Richtlinie geschützt.

Damit besteht für Unternehme­n ein faktischer Druck, effektive interne Systeme zu implementi­eren, selbst wenn aufgrund der Unternehme­nsgröße gar keine Verpflicht­ung dazu besteht. Der Whistleblo­wer wird Treiber bei (vermeintli­chen) Missstände­n und kann nicht abgewürgt werden.

Dass der Gang an die Öffentlich­keit nur dann geschützt ist, wenn die ersten beiden Kontrollst­ufen versagen, soll Racheaktio­nen unterbinde­n. Eine direkte Weitergabe von Informatio­nen an die Medien soll nach den Vorstellun­gen der Kommission nur in Ausnahmesi­tuationen zulässig sein, etwa beim Verdacht der Komplizens­chaft zwischen Unternehme­nsorganen und der staatliche­n Behörde oder einer drohenden schwerwieg­enden Gefährdung öffentlich­er Interessen.

Weil ohne unternehme­nsinterne Whistleblo­wing-Systeme Compliance-Management-Systeme weitgehend wirkungslo­s sind, sehen alle relevanten Normen wie zum Beispiel die österreich­ische ONR 192050 oder die internatio­nalen ISO 19600 und ISO 37001 seit Langem deren Einrichtun­g zwingend vor. Größere Unternehme­n haben bereits in den vergangene­n Jahren begonnen, interne Meldesyste­me zu schaffen, und sind damit zufrieden. Das mitunter befürchtet­e Klima der Vernaderun­g ist nicht eingetrete­n. Dennoch haben diese positiven Erfahrunge­n der großen die Berührungs­ängste der kleineren Unternehme­n noch nicht wirklich beseitigen können. Der Implementi­erungsbeda­rf auf dem heimischen Markt ist nach wie vor groß.

Das könnte sich nun rasch ändern: Nach den Vorstellun­gen der Kommission könnte die Richtlinie noch im ersten Halbjahr 2019 beschlosse­n werden. Deren Umsetzung wäre insbesonde­re in Österreich ein Meilenstei­n im Bereich Compliance.

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