Potenzial für mehr Produktivität
Industrie 4.0. Die Automobilindustrie, traditionell Vorreiter der Automatisierung, gibt auch bei der Digitalisierung Gas. Allerdings müssen die Zulieferer mitmachen. In anderen Sparten gehen ebenfalls eher die Großen voran.
Im Spitzenfeld wie beim Song Contest am vergangenen Samstag kann sich Österreich punkto Digitalisierung und Industrie 4.0 (noch) nicht platzieren. Südkorea, Japan und Deutschland liegen hier weltweit vorn. Erst in der mit einigem Abstand folgenden Gruppe taucht Österreich auf. Dieses Ergebnis hänge teilweise mit der Struktur der heimischen Industrie zusammen, meint man bei der Industriellenvereinigung. Österreich habe keine großen Automobilprodu- zenten – und gerade diese Branche gibt bei der Digitalisierung besonders Gas.
In vier Jahren jede vierte Fabrik smart
Das bestätigt eine aktuelle Capgemini-Studie: Sie prognostiziert, dass bereits in vier Jahren ein Viertel der Automobilfabriken Smart Factories sein werden, in denen intelligente Technik die Abläufe steuert und überwacht. Die Mehrheit der Autohersteller in Frankreich, Deutschland und Großbritannien arbeitet derzeit intensiv an der Umsetzung solcher Smart-Factory-Initiativen. Chi- nesische und italienische Hersteller versuchen gleichzuziehen.
Das Engagement im Bereich digitale Produktion bekommen Österreichs Zulieferer zu spüren. Sie sollen nach dem Willen der großen Automobilhersteller möglichst rasch auf den Digitalisierungszug aufspringen. Wolfgang Komatz, Leiter des Automobilclusters Oberösterreich: „Der Druck auf die Zulieferer ist in diesem Bereich sehr groß.“Auf der einen Seite versuchen die Hersteller bei den periodischen Preisverhandlungen Druck zu machen, „und Auto- matisierung ist letztlich der Weg zur Senkung der Stückkosten“, erläutert Komatz.
Außerdem wollen die Hersteller mit einem digitalisierten Supplier-RelationshipManagement noch mehr Einblick in die Produktionsabläufe des Zulieferers bekommen. So kann die Planung weiter optimiert werden. Der Automobilcluster Oberösterreich versucht, Zulieferbetrieben mit Unterstützung auf verschiedensten Ebenen den Weg zu Industrie 4.0 zu ebnen. Die Situation ist derzeit durchmischt, meint Wolfgang Komatz: „Es gibt sehr unterschiedliche Entwicklungen. Eine Reihe von Unternehmen hat in den vergangenen Jahren sehr viel gemacht, andere hinken aber hinterher.“
Ähnlich sieht es in anderen heimischen Industriezweigen aus. Überall ist die Bandbreite zwischen Leitbetrieben, für die Digitalisierung schon Realität ist, und den Nachzüglern groß. Ihre Aufgaben gemacht haben meist die großen Unternehmen. Ein Beispiel ist die Greiner Holding AG. „Digitalisierung bedeutet ja nicht nur vernetzte Produktion, also Industrie 4.0, sondern auch Internet of Things (IoT), also neue Geschäftsmodelle“, sagt Vorstandsvorsitzender Axel Kühner. In hoch automatisierten Fabriken des Konzerns wie etwa bei der Greiner Packaging oder der Greiner Bio-One stehe Industrie 4.0 im Vordergrund, bei der Greiner Foam International eher IoT, bei dem es um die automatisierte Kommunikation von Maschinen untereinander geht. Alle Unternehmensteile müssen aber an allen Themen gleichzeitig arbeiten, betont Kühner: „Was uns vielleicht vom Wettbewerb unterscheidet, ist, dass wir mit der Greiner Technology and Innovation einen Thinktank haben, der die operativen Sparten bei ihren Bemühungen unterstützt. Eine neutralere Sicht ist hier oft wertvoll.“
Fachkräftemangel und Breitbandausbau
Denn ganz so leicht ist der Weg zur Realisierung von Industrie 4.0 für heimische Unternehmen nicht, weiß Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung: „Das beginnt bei den Fachkräften, es gibt zu wenig Experten.“Nicht nur Techniker, auch Manager und Juristen, die Spezialisten auf dem Gebiet der Digitalisierung sind, fehlen. Was es auch braucht, ist ein Ausbau der Netze: „Ohne ein dichtes Glasfasernetz und eine 5G-Strategie wird Industrie 4.0 nicht funktionieren“, behauptet Helmenstein, der für die Digitalisierung weniger Regulierung und mehr Zugang zu Kapital wünscht.
Ein erfolgreicher Umstieg auf die digitale Produktion verspricht jedenfalls ein dickes Plus beim Gewinn. Ein Automobilhersteller der globalen Top Ten könnte laut Capgemini durch Realisierung einer Smart Factory seinen jährlichen Betriebsgewinn innerhalb von fünf Jahren um 4,6 Milliarden Dollar und sein Wachstum um 50 Prozent steigern. Die Studie prognostiziert für den Automobilsektor durch Smart Factories in den nächsten fünf Jahren einen durchschnittlichen Produktivitätszuwachs von sieben Prozent. Auch die Industriellenvereinigung sieht eine attraktive digitale Dividende. Helmenstein: „Ein Umstieg auf Digitalisierung steigert das Umsatzwachstum um 5,3 Prozentpunkt, das Beschäftigungswachstum um fast drei Prozentpunkte.“