Über Küsse schreiben im Iran
Literatur. Iranische Autoren finden nur schwer zu westlichen Lesern – dabei helfen sie, das politisch brisante Land zu verstehen: „Die Presse“gibt Lesetipps.
Iranische Autoren wie Ramita Navai helfen, das Land zu verstehen. „Die Presse“gibt Lesetipps.
Wie beschreibt man einen Kuss im Auto so, dass er die Zensoren nicht erzürnt und die Leser trotzdem wissen, was gemeint ist? Eine der im Iran populärsten Autorinnen, Fariba Vafi, scheiterte daran kläglich, wie sie vor einiger Zeit bei einem Auftritt in Deutschland gestand. „Ich habe mich so sehr bemüht, diese Intimität zu umschreiben, und war überzeugt, dass es mir gut gelungen ist“, erzählte sie da. „Bis mich nach einer Lesung ein Zuhörer fragte, warum die beiden Hauptpersonen im Auto versuchen würden, sich gegenseitig umzubringen.“
Nicht nur äußere, auch innere Zensur ist für iranische Autoren und Autorinnen, die im Land bleiben und dort Leser finden wollen, von einer für heutige Europäer schwer begreiflichen Selbstverständlichkeit. Sogar für die 55-jährige Fariba Vafi, deren Romane und Erzählungen – zumindest vordergründig – „nur“von zwischenmenschlichen Beziehungen handeln. Jedes in ihrer Heimat veröffentlichte Werk sei in gewisser Hinsicht unvollendet, sagt sie – weil es die eigene verinnerlichte Zensur durchlaufen habe.
Auch Lüge kann die Wahrheit verraten
Trotzdem kann die im Iran entstehende Literatur das wieder in die politischen Schlagzeilen geratene Land westlichen Lesern nahebringen – ja, gerade auch durch all ihre Schleichwege, notwendigen Verzerrungen, das Ungesagte. „Stellen wir eines klar: Um im Iran leben zu können, musst du lügen“, beginnt die britisch-iranische Journalistin Ramita Navai ihr Buch „City of Lies“(auf Deutsch „Stadt der Lügen. Liebe, Sex und Tod in Teheran“, Kein und Aber Verlag, 2016). Navai musste nicht lügen, sie hat selbst nur kurz in Teheran gelebt, das Buch basiert auf Gesprächen mit acht anonymen jungen Teheranern. Es war ein Bestseller.
Bücher von iranischen, im Iran publizierenden Autoren schaffen das im Westen so gut wie nie. An der Qualität der Schriftsteller in diesem Land mit einer unerhörten literarischen – vor allem lyrischen – Tradition liegt das nicht. Vielmehr an fehlenden, oft Jahrzehnte nach dem Original erscheinenden Übersetzungen und ihrer, wie Experten beklagen, mangelnden Qualität, die selten ein Gefühl für den besonderen Ton des Originals ermöglicht – außerdem an der internationalen Isoliertheit der Autoren. Und auch am fehlenden Interesse. Iranische Exilautoren erhalten im Westen noch leichter Aufmerksamkeit, Verlage, Leser.