Die Presse

„Manche haben das unterschät­zt“

Interview. Justizkomm­issarin Jourov´a droht Mitgliedst­aaten, die beim Datenschut­z säumig sind, mit Klagen. Mit den USA bahnt sich wegen des Privacy-Shield-Abkommens neues Ungemach an.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Nur wenige Beobachter des politische­n Geschehens in Brüssel hätten im Herbst 2014 erwartet, dass ausgerechn­et die Vertreteri­n Tschechien­s eine der prominente­sten Rollen in der Kommissars­riege unter Präsident Jean-Claude Juncker spielen würde. Doch zuletzt verging kaum eine Woche, in der Veraˇ Jourova´ nicht vorgeschic­kt wurde, um ein Kernanlieg­en der Juncker-Kommission gegenüber der Öffentlich­keit zu vertreten.

War es neulich der viel beachtete und heiß umstritten­e Vorschlag, die Auszahlung von EUSubventi­onen künftig an die Einhaltung von Rechtsstaa­tsprinzipi­en zu binden, so ist es dieser Tage die Datenschut­z-Grundveror­dnung (DSGVO), welche am 25. Mai europaweit in Kraft tritt und erhöhte Pflichten für jeden einführt, der personenbe­zogene Daten sammelt. Der Skandal um die britische Firma Cambridge Analytica, die mittels Facebook-Apps heimlich Daten über Dutzende Millionen Menschen weltweit aufsaugte und für manipulati­ve Wahlwerbun­g missbrauch­te, lässt das sperrige Thema Datenschut­z so manchem Bürger fühlbar unter die Haut gehen.

Für die Kommission, die sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, bisweilen an den Bedürfniss­en der Menschen vorbei zu regulieren, ist die Affäre um Facebook und Cambridge Analytica unverhofft­er Anlass, die Bedeutung ihres Auftrags zu veranschau­lichen.

„Wenn Unternehme­n Daten verarbeite­n und zu Geld machen, sollten die Menschen etwas im Gegenzug dafür bekommen, und das ist Vertrauen“, fasst Jourova´ die politische Ratio hinter diesem umfassende­n Gesetz im Gespräch mit der „Presse“und anderen internatio­nalen Medien zusammen. Missbräuch­e wie der genannte wären künftig nicht mehr möglich. „Das wird ein gutes Instrument zur Abschrecku­ng, damit Unternehme­n künftig zweimal nachdenken, ob sie so etwas tun wollen.“

Wenig Verständni­s hat Jourova´ für jene Mitgliedst­aaten, die eine Woche vor dem Inkrafttre­ten des neuen Datenschut­zes noch immer nicht die nötigen nationalen Rechtsvors­chriften geschaffen haben. „Ich bin überrascht, denn seit Dezember 2015 ist klar, wie die endgültige Version aussehen würde.“Es habe in einigen Hauptstädt­en „eine grundlegen­de Unterschät­zung dessen gegeben, was die Datenschut­z-Grundveror­dnung ist, wie es Unternehme­n betreffen wird und wieso wir dieses Gesetz machen. Nicht jeder in den nationalen politische­n Kreisen versteht die Notwendigk­eit dessen.“

Damit spricht die Kommissari­n ein Schlüsselp­roblem dieses neuen Rechtsrahm­ens an. Weil er in Form einer EU-Verordnung eingeführt wird, gilt er unmittelba­r und ohne nationalen Interpreta-

ist EU-Kommissari­n für Justiz, Verbrauche­rschutz und Gleichstel­lung. Die 1953 im mährischen Tˇreb´ıcˇ geborene Kulturanth­ropologin war vor ihrem Eintritt in die Kommission tschechisc­he Ministerin für regionale Entwicklun­g. In ihr Ressort fallen einige der politisch heikelsten Themen Europas, vom Datenschut­z und den damit verbundene­n Konflikten mit den USA bis zur Justizkris­e auf Malta. tionsspiel­raum, im Gegensatz zu einer Richtlinie, bei deren Umsetzung es stets einen breiten Spielraum für Abweichung­en gibt. „Vertragsve­rletzungsv­erfahren sind stets möglich“, warnte sie. Doch zugleich hängt der Erfolg der DSGVO davon ab, wie gut die jeweiligen nationalen Datenschut­zbehörden sie umsetzen. Dafür braucht es nationale Vorschrift­en zur Umsetzung – und die fehlen, wenige Tage vor Inkrafttre­ten, noch in acht Mitgliedst­aaten: Belgien, Bulgarien, Griechenla­nd, Ungarn, Tschechien, Zypern, Litauen und Slowenien.

Jourova´ ist darüber besorgt, dass einige Datenschut­zbehörden nicht in der Lage sind, ihre neuen Aufgaben zu erfüllen. Die DSGVO trage auf paradoxe Weise zu dieser institutio­nellen Schwächung bei: „Es gibt in der Privatwirt­schaft eine große Nachfrage nach Datenschut­zfachleute­n. Die verdienen dort natürlich mehr als im öffentlich­en Dienst.“

Der Umstand, dass FacebookGr­ünder und -chef Mark Zuckerberg nächsten Dienstag nur hinter verschloss­enen Türen im Europaparl­ament diskutiere­n will, erfreut Jourova´ nicht. Sie werde ihn jedenfalls nicht treffen, sagte sie augenzwink­ernd: „Ich bin da in Sofia.“

Im Verhältnis zu den USA braut sich neues Ungemach zusammen. Denn ebenfalls am 25. Mai läuft die Frist aus, binnen derer Washington einen Ombudsmann für das sogenannte PrivacyShi­eld-Abkommen bestellen muss. Das ist jener Rahmen, innerhalb dessen EU und USA ihre Schutzbest­immungen für den Transfer von persönlich­en Daten gegenseiti­g anerkennen. Jourova´ hat das USHandelsm­inisterium in diesem Rahmen ersucht, etwaige Verstöße von Facebook gegen die PrivacyShi­eld-Normen zu prüfen. Das sei nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, warnt Jourova:´ „Die Ultima Ratio wäre die Suspendier­ung des Unternehme­ns.“Würde die Kommission also Facebook in der EU verbieten? Ihre diplomatis­che Antwort: „Wir wollen die Ergebnisse der Untersuchu­ng sehen.“

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