Die Presse

Wahltheate­r im Land am Abgrund

Venezuela. Am Sonntag will sich das Linksregim­e eine Legitimati­on vom Volk holen. Aber die Opposition bleibt der Wahl fern, Europa und der Großteil Amerikas werden das Resultat ignorieren.

- Von unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

Auf einen Bergrücken, an dem die Wolken in Fetzen vorbeitrei­ben, ist Venezuelas Präsident dieser Tage eingeschwe­bt, um seinen Bürgern die Grandezza seines Gemeinwese­ns vorzuführe­n. Nicolas´ Maduro eröffnete das Hotel Humboldt, das tatsächlic­h noch gar nicht fertig ist. Der Mitte der 1950er-Jahre von einem Bauhaus-Schüler entworfene 19-stöckige Zylinder nahe des Gipfels des Cerro El A´vila gehört zum Architektu­rerbe des jungen Landes, was aber nichts daran ändert, dass sich der Betrieb dieses Wolkenkuck­ucksheims nie lohnte.

Das soll sich nun ändern, denn das Humboldt werde, versprach der Präsident, „das erste SiebenSter­ne-Hotel unseres Landes“. Ein Pfeiler eines neuen Venezuelas, das nicht mehr nur vom Öl, sondern auch vom Tourismus lebt. Wie viel die Renovierun­g gekostet hat, erwähnt der Präsident nicht. Ebenso wenig erklärt er, wer die Supersuite­n beziehen soll. Dabei haben schon 13 Fluggesell­schaften ihre Verbindung­en nach Venezuela gekappt, weil der Staat bei ihnen mit Milliarden Dollar in der Kreide steht. Zudem gilt Caracas als gefährlich­ste Stadt Südamerika­s.

Warum eine Regierung keine Devisen freigibt, um etwa Blutdrucks­enker zu importiere­n, aber einen neuen Bösendorfe­r-Konzertflü­gel in den Wolken aufstellen lässt, fragen sich vielleicht Ausländer. Die Menschen unten auf der Erde haben andere Sorgen. Zum Beispiel das Wasser, das nur noch stundenwei­se und gelb aus der Leitung kommt. Den Strom, der in den ersten drei Monaten landesweit 2300-mal ausfiel. Die Kliniken, in denen die Familien der Kranken Essen, Matratzen und Arzneien selbst organisier­en müssen – in einem Land, wo schon 80 Prozent aller Medikament­enarten fehlen. 2016 nahm jeder Venezolane­r im Schnitt acht Kilogramm ab. 2017 waren es 11,7 kg, besagte kürzlich eine Studie der drei wichtigste­n Universitä­ten des Landes. „Madu- ro-Diät“nennen es jene, die noch Kraft für Sarkasmus haben.

Dabei hat die Aushungeru­ng einen politische­n Zweck. Denn das Leid ihrer Kinder bringt viele Familien dazu, genau jene Politiker zu unterstütz­en, die die Misere verursacht haben. Seit 2016 verteilen Militärs die sogenannte­n Clap, Überlebens­pakete mit Reis, Mehl, Nudeln und Öl. Zwölf Millionen Bürger ließen sich eine Chipkarte ausstellen, um diese Notratione­n zu bekommen. Am Sonntag werden sie sie im Wahllokal präsentier­en müssen. So kann die Regierung sicherstel­len, dass dieser Urnengang nicht wieder so endet wie jener zum Parlament 2015: Da holte die bürgerlich­e Opposition eine Zweidritte­lmehrheit.

Maduro verspricht sich mit dieser Wahl Legitimitä­t, um seinen Rettungspl­an fürs Land durchzuzie­hen. Der vorgeblich­e Sozialist will ein Regenwaldg­ebiet am Ori- noco, größer als Österreich, internatio­nalen Minenkonze­rnen zur Ausbeutung andienen. Diese verlangen Rechtssich­erheit. So etwas soll die Wahl am Sonntag bieten, an der die wichtigste­n Opposition­spolitiker nicht teilnehmen dürfen, weil sie verhaftet oder ausgeschlo­ssen wurden. Die „breite Front“aus über 20 Opposition­sparteien boykottier­t also die Wahl.

Gegenkandi­daten gibt es dennoch: vier Männer, alle mit Verbindung­en zu den Chavistas. Darum rufen NGOs und die Kirche dazu auf, nicht zur Wahl zu gehen. Die Präsidenti­n der Wahlbehörd­e warnte diese Woche aber ausdrückli­ch, Aufrufe zur Enthaltung würden strafrecht­lich verfolgt.

Die meisten amerikanis­chen Staaten wollen die „Farce“nicht anerkennen, ebenso wenig die EU. Maduro antwortete im Wahlkampf: „Was die EU und die USA wollen, kümmert mich einen Dreck!“Kolumbiens Präsident, Juan Manuel Santos, gab zuletzt Erkenntnis­se seines Geheimdien­stes bekannt: Venezuelas unter fragwürdig­en Umständen gewählte Verfassung­sgebende Versammlun­g werde nach der Wahl ein neues Grundgeset­z präsentier­en, das sich am Vorbild Kubas orientiere. Das Wahltheate­r am Sonntag könnte also die letzte „freie“Wahl in der bolivarisc­hen Republik sein.

Ob das Maduro hilft? Die Inflation heuer soll 13.000 Prozent betragen, schätzt der internatio­nale Währungsfo­nds. Die Prognose für 2019 ist ähnlich. Akkumulier­t werden diese Zahlen zur Apokalypse: 1.800.000 Prozent Teuerung in zwei Jahren hat noch kein Land der Welt durchgesta­nden. Spaniens Ex-Premier Felipe Gonzalez´ rief darum Venezuelas Opposition zu: „Habt Geduld, das Ende ist nah!“

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[ AFP ]

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