Wahltheater im Land am Abgrund
Venezuela. Am Sonntag will sich das Linksregime eine Legitimation vom Volk holen. Aber die Opposition bleibt der Wahl fern, Europa und der Großteil Amerikas werden das Resultat ignorieren.
Auf einen Bergrücken, an dem die Wolken in Fetzen vorbeitreiben, ist Venezuelas Präsident dieser Tage eingeschwebt, um seinen Bürgern die Grandezza seines Gemeinwesens vorzuführen. Nicolas´ Maduro eröffnete das Hotel Humboldt, das tatsächlich noch gar nicht fertig ist. Der Mitte der 1950er-Jahre von einem Bauhaus-Schüler entworfene 19-stöckige Zylinder nahe des Gipfels des Cerro El A´vila gehört zum Architekturerbe des jungen Landes, was aber nichts daran ändert, dass sich der Betrieb dieses Wolkenkuckucksheims nie lohnte.
Das soll sich nun ändern, denn das Humboldt werde, versprach der Präsident, „das erste SiebenSterne-Hotel unseres Landes“. Ein Pfeiler eines neuen Venezuelas, das nicht mehr nur vom Öl, sondern auch vom Tourismus lebt. Wie viel die Renovierung gekostet hat, erwähnt der Präsident nicht. Ebenso wenig erklärt er, wer die Supersuiten beziehen soll. Dabei haben schon 13 Fluggesellschaften ihre Verbindungen nach Venezuela gekappt, weil der Staat bei ihnen mit Milliarden Dollar in der Kreide steht. Zudem gilt Caracas als gefährlichste Stadt Südamerikas.
Warum eine Regierung keine Devisen freigibt, um etwa Blutdrucksenker zu importieren, aber einen neuen Bösendorfer-Konzertflügel in den Wolken aufstellen lässt, fragen sich vielleicht Ausländer. Die Menschen unten auf der Erde haben andere Sorgen. Zum Beispiel das Wasser, das nur noch stundenweise und gelb aus der Leitung kommt. Den Strom, der in den ersten drei Monaten landesweit 2300-mal ausfiel. Die Kliniken, in denen die Familien der Kranken Essen, Matratzen und Arzneien selbst organisieren müssen – in einem Land, wo schon 80 Prozent aller Medikamentenarten fehlen. 2016 nahm jeder Venezolaner im Schnitt acht Kilogramm ab. 2017 waren es 11,7 kg, besagte kürzlich eine Studie der drei wichtigsten Universitäten des Landes. „Madu- ro-Diät“nennen es jene, die noch Kraft für Sarkasmus haben.
Dabei hat die Aushungerung einen politischen Zweck. Denn das Leid ihrer Kinder bringt viele Familien dazu, genau jene Politiker zu unterstützen, die die Misere verursacht haben. Seit 2016 verteilen Militärs die sogenannten Clap, Überlebenspakete mit Reis, Mehl, Nudeln und Öl. Zwölf Millionen Bürger ließen sich eine Chipkarte ausstellen, um diese Notrationen zu bekommen. Am Sonntag werden sie sie im Wahllokal präsentieren müssen. So kann die Regierung sicherstellen, dass dieser Urnengang nicht wieder so endet wie jener zum Parlament 2015: Da holte die bürgerliche Opposition eine Zweidrittelmehrheit.
Maduro verspricht sich mit dieser Wahl Legitimität, um seinen Rettungsplan fürs Land durchzuziehen. Der vorgebliche Sozialist will ein Regenwaldgebiet am Ori- noco, größer als Österreich, internationalen Minenkonzernen zur Ausbeutung andienen. Diese verlangen Rechtssicherheit. So etwas soll die Wahl am Sonntag bieten, an der die wichtigsten Oppositionspolitiker nicht teilnehmen dürfen, weil sie verhaftet oder ausgeschlossen wurden. Die „breite Front“aus über 20 Oppositionsparteien boykottiert also die Wahl.
Gegenkandidaten gibt es dennoch: vier Männer, alle mit Verbindungen zu den Chavistas. Darum rufen NGOs und die Kirche dazu auf, nicht zur Wahl zu gehen. Die Präsidentin der Wahlbehörde warnte diese Woche aber ausdrücklich, Aufrufe zur Enthaltung würden strafrechtlich verfolgt.
Die meisten amerikanischen Staaten wollen die „Farce“nicht anerkennen, ebenso wenig die EU. Maduro antwortete im Wahlkampf: „Was die EU und die USA wollen, kümmert mich einen Dreck!“Kolumbiens Präsident, Juan Manuel Santos, gab zuletzt Erkenntnisse seines Geheimdienstes bekannt: Venezuelas unter fragwürdigen Umständen gewählte Verfassungsgebende Versammlung werde nach der Wahl ein neues Grundgesetz präsentieren, das sich am Vorbild Kubas orientiere. Das Wahltheater am Sonntag könnte also die letzte „freie“Wahl in der bolivarischen Republik sein.
Ob das Maduro hilft? Die Inflation heuer soll 13.000 Prozent betragen, schätzt der internationale Währungsfonds. Die Prognose für 2019 ist ähnlich. Akkumuliert werden diese Zahlen zur Apokalypse: 1.800.000 Prozent Teuerung in zwei Jahren hat noch kein Land der Welt durchgestanden. Spaniens Ex-Premier Felipe Gonzalez´ rief darum Venezuelas Opposition zu: „Habt Geduld, das Ende ist nah!“