Sport in Wien, ein trügerisches Idyll
Analyse. Parallel zur Diskussion über Kosten und Notwendigkeit des neuen Nationalstadions gehen Wiens akute Problemfälle unter. Es fehlen Geld, Glauben der Politik und Zusagen von Investoren.
Wien ist anders. Und geht es um Sport, ist diese Stadt sogar ganz anders. En gros gespalten in zwei Fußballlager, Violett oder Grün-Weiß. Nach Erfolg lechzend, aber im Vergleich mit den Bundesländern in fast allen größeren Sportarten an Titeln, Terrain und Innovation rückläufig. Dafür ist Wien gesegnet mit einer für Meisterschaften unbrauchbaren Leichtathletik-Arena. Mit altertümlichen Hallen und Stadien. Von denen viele, das ist Wiens Vision von Erhaltung des (politischen) Kulturerbes, wohlbehütet unter Denkmalschutz stehen.
Happel-Stadion oder Stadthalle, es waren Mitte der 1990er-Jahre international anerkannte Einrichtungen. Wie das Dusika-Stadion. Mittlerweile tropft es dort nicht mehr, sondern das Wasser rinnt von den Wänden. Solche Sportstätten sind in der Gegenwart nur noch Mahnmale.
Sie stellen die Kultur, den wahren Stellenwert des Sports, in Wien dar. Was sonst sollten Turner glauben, die ausquartiert wurden und ihre Sportstätte vor Schönbrunn verloren haben, weil dort Busparkplätze plötzlich notwendiger waren? Oder Schwimmer, die in ganz Wien immerhin eine 50-MeterBahn finden, aber über Termine streiten und sich den Winter über im Stadionbad einer ominösen Traglufthalle erfreuen dürfen? Dass dagegen seitens der Politik mit Grünflächen, endlosen Radwegen oder Mountainbike-Strecken im Wienerwald geworben wird, ist ein kostengünstiger PR-Schachzug.
In vielen Bereichen ist der Aufschrei nach Investition, Modernisierung, ja: Revolution unüberhörbar. Es geht nicht nur um die Voraussetzung respektive Notwendigkeit, Großereignisse zu veranstalten, sondern um die zeitgemäße Bewältigung des Alltags. Ob der neue Sportstadtrat, Peter Hacker (SPÖ), diese Rufe hört? Von seinen Vorgängern blieben diese Ansuchen großteils unerhört.
Wien humpelt nicht nur in puncto Infrastruktur hinterher, sondern hat auch an sportlichem Erfolg eingebüßt. Rapid gewann den letzten Titel 2008, vor zehn Jahren. Austria, 2013 zuletzt Meister, liegt aktuell 40 Punkte – das ist kein Tippfehler – hinter Meister Salzburg zurück. Beide haben zumindest neue, moderne Stadien.
Umso mehr ist es ein Paradoxon oder Phänomen, dass Wien in kleineren, im Fachjargon: Randsportarten, reüssiert. Realistische Titelchancen gibt es noch im Handball (Margareten), Baseball (Wanderers) oder American Football (Vikings). Gewonnen haben bereits die Damen von SV Arminen (Hockey) oder die Post-Basketballerinnen. Sind es Erfolge bloß aufgrund des unermüdlichen Verlangens einzelner Manager? Für manch einen klingt es nach purem Idea- lismus ob der Tatsache, dass manche in ihrer Meisterschaft weiterhin Mitgliedsbeiträge entrichten müssen. Im Volleyball (Hotvolleys 2008) oder Eishockey (Arena-Neubau 2011; Capitals 2017 Champion) hat Wien in dieser Saison nichts gewonnen.
Alle Missstände der öffentlichen Hand anzulasten, wäre billig. Der Blick zu Investitionen im Ausland erweckt Selbstmitleid. Wer Budapests Schwimmarena sieht, die 15.000 Zuschauer fasst, muss staunen. Auch ein neues Nationalstadion war dort keine Diskussion. Multifunktionsarena in Bratislava, Eispaläste in Tschechien – rundum wachsen moderne Sportanlagen. Warum gelingt das nicht in Wien?
Es wird gestritten. Ob ein Stadion nötig ist, eine Multifunktionshalle nicht besser wäre? Die Gesamtkosten, weit über 150 Mio. Euro, sind wohl zu hoch. Was ist mit dem Sportzentrum Seestadt? Warum Turnsäle außerhalb der Schulzeiten, laut Sportunion an 180 Tagen pro Jahr, geschlossen bleiben? Ob die „tägliche Turnstunde“, sie läuft in 491 Schulen österreichweit, aber nicht in Wien allerorts reibungslos, sinnvoll ist? Wien ist und bleibt anders.