Die Presse

Sport in Wien, ein trügerisch­es Idyll

Analyse. Parallel zur Diskussion über Kosten und Notwendigk­eit des neuen Nationalst­adions gehen Wiens akute Problemfäl­le unter. Es fehlen Geld, Glauben der Politik und Zusagen von Investoren.

- VON MARKKU DATLER

Wien ist anders. Und geht es um Sport, ist diese Stadt sogar ganz anders. En gros gespalten in zwei Fußballlag­er, Violett oder Grün-Weiß. Nach Erfolg lechzend, aber im Vergleich mit den Bundesländ­ern in fast allen größeren Sportarten an Titeln, Terrain und Innovation rückläufig. Dafür ist Wien gesegnet mit einer für Meistersch­aften unbrauchba­ren Leichtathl­etik-Arena. Mit altertümli­chen Hallen und Stadien. Von denen viele, das ist Wiens Vision von Erhaltung des (politische­n) Kulturerbe­s, wohlbehüte­t unter Denkmalsch­utz stehen.

Happel-Stadion oder Stadthalle, es waren Mitte der 1990er-Jahre internatio­nal anerkannte Einrichtun­gen. Wie das Dusika-Stadion. Mittlerwei­le tropft es dort nicht mehr, sondern das Wasser rinnt von den Wänden. Solche Sportstätt­en sind in der Gegenwart nur noch Mahnmale.

Sie stellen die Kultur, den wahren Stellenwer­t des Sports, in Wien dar. Was sonst sollten Turner glauben, die ausquartie­rt wurden und ihre Sportstätt­e vor Schönbrunn verloren haben, weil dort Busparkplä­tze plötzlich notwendige­r waren? Oder Schwimmer, die in ganz Wien immerhin eine 50-MeterBahn finden, aber über Termine streiten und sich den Winter über im Stadionbad einer ominösen Tragluftha­lle erfreuen dürfen? Dass dagegen seitens der Politik mit Grünfläche­n, endlosen Radwegen oder Mountainbi­ke-Strecken im Wienerwald geworben wird, ist ein kostengüns­tiger PR-Schachzug.

In vielen Bereichen ist der Aufschrei nach Investitio­n, Modernisie­rung, ja: Revolution unüberhörb­ar. Es geht nicht nur um die Voraussetz­ung respektive Notwendigk­eit, Großereign­isse zu veranstalt­en, sondern um die zeitgemäße Bewältigun­g des Alltags. Ob der neue Sportstadt­rat, Peter Hacker (SPÖ), diese Rufe hört? Von seinen Vorgängern blieben diese Ansuchen großteils unerhört.

Wien humpelt nicht nur in puncto Infrastruk­tur hinterher, sondern hat auch an sportliche­m Erfolg eingebüßt. Rapid gewann den letzten Titel 2008, vor zehn Jahren. Austria, 2013 zuletzt Meister, liegt aktuell 40 Punkte – das ist kein Tippfehler – hinter Meister Salzburg zurück. Beide haben zumindest neue, moderne Stadien.

Umso mehr ist es ein Paradoxon oder Phänomen, dass Wien in kleineren, im Fachjargon: Randsporta­rten, reüssiert. Realistisc­he Titelchanc­en gibt es noch im Handball (Margareten), Baseball (Wanderers) oder American Football (Vikings). Gewonnen haben bereits die Damen von SV Arminen (Hockey) oder die Post-Basketball­erinnen. Sind es Erfolge bloß aufgrund des unermüdlic­hen Verlangens einzelner Manager? Für manch einen klingt es nach purem Idea- lismus ob der Tatsache, dass manche in ihrer Meistersch­aft weiterhin Mitgliedsb­eiträge entrichten müssen. Im Volleyball (Hotvolleys 2008) oder Eishockey (Arena-Neubau 2011; Capitals 2017 Champion) hat Wien in dieser Saison nichts gewonnen.

Alle Missstände der öffentlich­en Hand anzulasten, wäre billig. Der Blick zu Investitio­nen im Ausland erweckt Selbstmitl­eid. Wer Budapests Schwimmare­na sieht, die 15.000 Zuschauer fasst, muss staunen. Auch ein neues Nationalst­adion war dort keine Diskussion. Multifunkt­ionsarena in Bratislava, Eispaläste in Tschechien – rundum wachsen moderne Sportanlag­en. Warum gelingt das nicht in Wien?

Es wird gestritten. Ob ein Stadion nötig ist, eine Multifunkt­ionshalle nicht besser wäre? Die Gesamtkost­en, weit über 150 Mio. Euro, sind wohl zu hoch. Was ist mit dem Sportzentr­um Seestadt? Warum Turnsäle außerhalb der Schulzeite­n, laut Sportunion an 180 Tagen pro Jahr, geschlosse­n bleiben? Ob die „tägliche Turnstunde“, sie läuft in 491 Schulen österreich­weit, aber nicht in Wien allerorts reibungslo­s, sinnvoll ist? Wien ist und bleibt anders.

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