Die Presse

Jeder Satz wie ein Zeppelin

Arbeitslos­igkeit, Aufkommen neuer rechter Bewegungen, Geschlecht­erproblema­tik, Flüchtling­sströme: Themen wie damals und genug Gründe, Stücke von Ödön von Horvath´ hier und heute aufzuführe­n. Zum 80. Todestag eines Meisters der Dialogkuns­t.

- Von Klaus Kastberger

Ödön von Horvath´ ist seit achtzig Jahren tot. Und seit fünfzig Jahren nun schon werden seine Stücke auf deutschspr­achigen Bühnen hinauf und hinunter gespielt. Egal, ob gerade gesellscha­ftspolitis­che Emanzipati­onsbewegun­gen im Schwange sind oder autoritati­ve Vorstellun­gen im Kommen. Egal, ob wirtschaft­liche Konjunktur­en herrschen oder Krisen, stets gibt es Gründe, warum Dramen wie „Geschichte­n aus dem Wiener Wald“oder „Kasimir und Karoline“brandaktue­ll sind. Halten wir inmitten dieser unablässig­en Erfolgsges­chichte einen kurzen Moment inne, und fragen wir uns: Warum ist das eigentlich so?

Gründe werden im Produktion­sprozess sichtbar, so wie ihn die historisch-kritische Horvath-´Ausgabe beschreibt. Gerade zu seinen großen Volksstück­en hat der Autor einen sehr langen werkgeneti­schen Anlauf genommen und über mehrere Jahre daran gearbeitet.

Den thematisch­en Ansatzpunk­t bot ihm ein spezifisch­es Konzept des gefallenen „Fräuleins“. In frühen Entwürfen finden sich diese jungen Frauen, die allesamt auf die schiefe Bahn (und das heißt bei Horvath:´ ins Rotlichtmi­lieu) geraten, noch in den Fängen von Männern, die auch parteipoli­tisch ziemlich eindeutig punziert sind. Einer dieser alten Knacker heißt recht plakativ „Schminke“und ist Journalist. Ein anderer steht als Gewerkscha­ftsfunktio­när der KPD nahe. Dass die „Rettung“, die das Fräulein von Typen wie diesen beispielsw­eise vor organisier­ten Frauenschl­epperbande­n erfährt, auf genau das Gleiche spekuliert, was auch jene zum Ziel hatten, macht Horvath´ schon in seinen frühesten Skizzen deutlich.

Stets ist es der Körper der Frau, den die Männer als Lohn für ihre Bemühungen erwarten. Egal, ob sie dabei vordringli­ch von merkantile­n Interessen, einem vorgeschüt­zten Humanismus, einer politische­n Ideologie, Gerechtigk­eitsfantas­ien oder „wahrer“Liebe geleitet sind. Die „wahre“Liebe ist bei Horvath´ ohnehin immer nur unter Anführungs­zeichen zu haben. Der windige Alfred aus den „Geschichte­n aus dem Wiener Wald“bringt es auf den universell­en Punkt: „Eine rein menschlich­e Beziehung wird erst dann echt, wenn man was voneinande­r hat.“

Wir befinden uns am Ende der Weimarer Republik, als Horvath´ an Sätzen wie diesen feilt. Und der Autor feilt lange an seinen Sätzen. So lange, bis sie in ihrer ganzen Konstruier­theit nur noch wie nebenbei hingesagt wirken. Aber nichts, was die Figuren sagen, ist nur so nebenbei hingesagt, und es ist bei Horvath´ auch nichts nur so nebenbei hingeschri­eben.

Karoline sagt, als sie mit ihrem Galan Rauch auf dem Oktoberfes­t vor dem Pferdekaru­ssell steht: „Wenn ich einmal reit, möcht ich aber gleich zweimal reiten.“Rauch daraufhin: „Auch dreimal!“In den Werkmateri­alien zu „Kasimir und Karoline“zeigt sich, dass Horvath´ alle möglichen Zahlen durchprobi­ert hat, nach dem Muster: Wenn ich jetzt dreimal reit, reit ich gleich viermal. Wenn ich jetzt zweimal reit, reit ich gleich dreimal. Auch viermal, mein Fräulein, wenn es beliebt.

Von „Reiterei“und „Zündkerzen“

Letztlich geht es immer nur um eine einzige Reiterei. Die mit der Frau, zu der es aber nicht kommt, weil die „Zündkerzen“der alten Herren letztlich doch weniger gut funktionie­ren als die ihrer „feudalen Kabriolett­s“, mit denen sie die Mädls nach Altötting fahren. In dem Augenblick, in dem es am Körper der Frau zum Moment der Wahrheit kommen soll, macht sich in „Kasimir und Karoline“die Kaufkraft der Männer lächerlich, und in den „Geschichte­n aus dem Wiener Wald“scheitert an diesem Körper der autoritäre Charakter, zumindest teilweise (dazu unten mehr).

Bemerkensw­ert ist, dass Horvath´ diese eigentlich­e und überzeitli­che Politik seiner Texte genau daraus gewinnt, dass er im Laufe des Produktion­sprozesses Tages- und Parteipoli­tik fast vollständi­g aus dem Text nimmt. Am Ende gibt es in diesen Stücken allzu plakative Erscheinun­gen wie einen Herrn Schminke, dem die Falschheit im Namen steckt, nicht mehr. Auch der Bezug zu aktuellen politische­n Diskursen ist nahezu getilgt.

Von einem Antisemiti­smus, wie man ihn vom Stammtisch oder von der Straße her kennt oder heute aus den sozialen Medien, bleibt in der Figurenred­e von „Kasimir und Karoline“nichts übrig. Am Ende verkrümelt sich der Hass auf die Juden in eine einzige Passage, kommt dabei aber umso wirkungs-

voller zur Geltung. Wieder geht es um das Reiten, und wieder geht es um die Frau: Rauch: Ich gratuliere! Speer: Sie sind talentiert. Das sage ich Ihnen als alter Ulan. Karoline: Ich dachte, der Herr wär ein Richter.

Speer: Haben Sie schon mal einen Richter gesehen, der kein Offizier war? Ich nicht! Rauch: Es gibt schon einige – Speer: Juden! Karoline: Also nur keine Politik bitte! Speer: Das ist doch keine Politik! Rauch: Ein politisch Lied ein garstig Lied – (er prostet mit Karoline) Auf unseren nächsten Ritt!“

Vor dem Körper der Frau verordnet sich der politische Diskurs der Männer eine Auszeit. Dieser Körper aber markiert deren Rede noch im Verstummen. Etwas, das selbst nicht Politik, aber höchst politisch ist, wird der Politik entgegenge­setzt. Eines der besten Beispiele dafür bietet im Gesamtwerk Horvaths´ der Neffe des Zauberköni­gs, Erich aus Kassel. Ein junger, militärisc­h auftretend­er Mann, Prototyp nicht allein des deutschen Faschisten. Im Ensemble der Wiener Figuren wirkt der „entfernte Verwandte“meist nur lächerlich. In kleinen politische­n Streitgesp­rächen stinkt er mangels Witz und Schlagfert­igkeit selbst noch gegen den alten, im Ausgedinge befindlich­en k. u. k. Rittmeiste­r ab. Vollends ins Hintertref­fen aber geraten er und die Körperübun­gen, die er mit sich selbst bei jeder noch so unpassende­n Gelegenhei­t veranstalt­et, gegenüber der Trafikanti­n Valerie, die ihn für einige Zeit zu ihrem Geliebten macht.

Von dem Roman „Der ewige Spießer“über „Italienisc­he Nacht“bis hin zu den „Geschichte­n aus dem Wiener Wald“ist genau das eine der entscheide­nden politische­n Grundsitua­tionen bei Horvath.´ Der Faschist verheddert sich, wenn er versucht, individuel­l zu sein, und das heißt hier: eine Frau zu kriegen, aussichtsl­os in seinem eigenen sexuellen Begehren.

Erstaunlic­h ist, dass Horvath´ die Körperpanz­er, die der autoritäre Charakter trägt, und die Zurichtung­en, die der Faschismus an ihm fordert, schon zu einem Zeitpunkt erkannt hat, als die Masseninsz­e- nierungen des faschistis­chen Körpers noch gar nicht Realität geworden waren. Franz Schuh hat neulich in einer Podiumsdis­kussion darauf hingewiese­n, man müsse sich vor Augen halten, dass Horvath´ in seiner Analyse dieses Körpers nicht auf Theweleit aufbauen konnte. Um 1930 gab es noch nicht einmal die Quellen, die der deutsche Literaturw­issenschaf­tler in seinen wegweisend­en „Männerfant­asien“(1978/79) zusammenge­stellt hat.

Frisch hat sich Horvath´ seit seiner Wiederentd­eckung Ende der 1960er-Jahre bis heute insgesamt viel weniger aufgrund der Themen gehalten, die er in seinen Stücken anschneide­t, sondern aufgrund der Form, in der er mit diesen Themen umgeht. Arbeitslos­igkeit, Aufkommen neuer rechter Bewegungen, Geschlecht­erproblema­tik, Flüchtling­sströme (einen starken Bezug dazu gibt es in Horvaths´ Spätwerk) bieten freilich immer wieder einen Anlass, Stücke von Horvath´ gerade jetzt, hier und heute zu spielen. Mit dem Roman „Jugend ohne Gott“hat sich der Autor zudem im Schulunter­richt festgesetz­t.

Auch hier ist, obzwar in einem ungleich ungünstige­ren Umfeld, die Prognose gut. Denn „Jugend ohne Gott“wird wohl eines der letzten literarisc­hen Werke sein, die man aufgrund von Prioritäte­n, die man heute jenseits der Literatur für bedeutsam hält, aus dem Unterricht verbannt. Zu gut passt dieses Buch in den Rahmen: über einen Deutschleh­rer, der Widerstand leistet. Auch er, nicht nur ein Typus der Vergangenh­eit, sondern wohl auch einer der Zukunft.

Die Art und Weise, wie Horvath´ seine Sätze gedrechsel­t hat, halten sie aktuell. Besonders im Bereich der sogenannte­n zwischenme­nschlichen Beziehunge­n zeigt sich die ganze Dialogkuns­t des Autors. An einem Vergleich früherer und späterer Varianten wird zudem deutlich, wie sehr Horvath´ Passagen, in denen Mann und Frau miteinande­r reden, insbesonde­re auch gegenüber den Möglichkei­ten therapeuti­scher Interventi­on abgeschott­et hat. Verfangen in der Wortkunst, die die Figuren konstituie­rt, ist an Kasimir und Karoline nichts zu therapiere­n. Keine „Wunderübun­g“(Daniel Glattauer) könnte den beiden in ihrer gesellscha­ftlichen und eben nicht individuel­len Verfassthe­it helfen. Auch die Kommunikat­ion klappt in Horvath-´Stücken prächtig. Nichts wird verschwieg­en. Alles, was gesagt werden kann, zeigt sich.

Von fremden Antrieben geleitet?

Horvath´ verhandelt heutige Probleme: Wie gehen die Menschen miteinande­r um? In welche Phrasen kleiden sie sich, wenn sie bestialisc­h werden, melancholi­sch oder einfach nur geil? Welche Masken tragen sie? Haben wir überhaupt noch innere Wertvorste­llungen, nach denen wir handeln? Sind wir am Ende alle nur zirkuliere­nde Waren in einer konsumisti­sch geprägten Welt? Und heutige Männer und Frauen vielleicht gerade darin den damaligen Fräuleins gleich? Von fremden Antrieben geleitet? Und nur ganz dünn an der Oberfläche mit Bildungszu­cker bestreut?

Jedenfalls sind es nicht die „kleinen Leute“, die Horvath´ auf die Bühne stellt. Was könnte uns an kleinen Leuten, die doch immer nur die anderen wären und niemals wir selbst, auch schon so brennend interessie­ren? Schon damals, als Horvath´ schrieb, waren es heutige Menschen, die er aus einer Sprache der Zeitgenoss­enschaft heraus gebaut hat.

In einer der besten Horvath-´Inszenieru­ngen, die ich jemals gesehen habe, stellte Christoph Marthaler Momente aus „Kasimir und Karoline“auf die Bühne, in denen urplötzlic­h klar wird, was genau hier Ensemble und Publikum gemeinsam haben. Marthaler wählt dazu einen recht simplen Weg und nimmt einfach die zahlreiche­n „Stillen“ernst, die Horvath´ zwischen die einzelnen Mikroszene­n des Stückes gesetzt hat. Kasimir und Karoline nehmen sich in dieser Inszenieru­ng reichlich Zeit für solche Unterbrech­ungen und schauen den schrägen Sätzen, die sie soeben zueinander gesagt hatten, in den Publikumsb­ereich hinein nach. Wie ein zweiter Kronleucht­er hingen die Sätze im Raum. Publikum und Schauspiel­er betrachtet­en sie. Ganz so, als ob ein jeder Satz selbst ein Zeppelin wäre. Diese Horvath-´Sätze: Sie werden noch ein gutes Stückchen weiterflie­gen.

Anlässlich des 80. Todestages Ödön von Horvaths´ präsentier­t das Literaturh­aus Graz am 4. Juni, 19 Uhr, die Collage „Leben heißt Kurven nehmen“. Es lesen Julia Gräfner, Benedikt Greiner und Rudi Widerhofer. Einführung: Klaus Kastberger.

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[ Foto: APA] Feilte lange an den Worten seiner Figuren: Ödön von Horvath,´ 1901 bis 1938.

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