Ästheten im Schmuuuutz
Den Geschmack der Menschen wesentlich dirigieren, geht immer noch von Paris aus“, ließ ihn ein Malerfreund wissen. Die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts war auch im folgenden noch das Zentrum des Kunsthandels. Nach dem Weltkrieg Numero eins war sie für Deutsche aber kein komfortables Pflaster. Es herrschte dort eine antiteutonische Stimmung. Trotzdem bricht der Berliner Zeichner und scharfstiftige Karikaturist 1924 mit seiner Frau in die Seine-Metropole auf.
Dort trifft das Ehepaar in einem berühmten Studio über dem MontmartreBoulevard Clichy auf eine illustre Schar künstlerischer Einwanderer. Darunter ein Flame, der sich mit Holzschnitten einen Namen gemacht hat und schon einige Zeit in Paris lebt. Der scheint mit dem Deutschen ästhetisch auf einer Wellenlänge zu liegen. Später wird der Berliner seinen belgischen Freund einmal so charakterisieren: Der unterscheide sich von den Pariser Künstlern hauptsächlich dadurch, „dass er keine Guitarren malt“. Berühmt hat ihn vielmehr die Darstellung von verlorenen Menschen in der modernen Zivilisation gemacht.
Der Künstler, darin sind sich die beiden einig, darf den sozialen Problemen gegenüber nicht gleichgültig sein. Während die Pariser Bohemiens sich vorwiegend mit Farben und Formen beschäftigen, bestätigen sich die sozialkritischen Zeichner in der Meinung, dass es wichtiger wäre, was man ausdrückt, als die Art und Weise, wie es geschieht. Ihr Fazit: Die Pariser Künstler sind alle „antiquierte Ästheten, konservativ zum Kotzen“, während sie selbst sich von ästhetischen Moden fernhielten.
Bei Gelegenheit bezeichnet sich der Deutsche selbst einmal als „Schlachtenmaler“, weshalb ihm die Meister vom Montparnasse skeptisch gegenüberstehen. Sie sind geneigt anzunehmen, dass seine provokanten Zeichnungen, etwa von Kriegskrüppeln und Bürgern mit rosigen Fleischwürsten, nur vorgetäuscht seien, weil der Maler im Leben durchaus wert auf eine bürgerliche Ordentlichkeit lege. So beschreibt er das besagte Studio einmal als Drecksloch, in dem „eine für uns Pedanten nicht fassbare Unordnung nebst Schmuuuutz“herrsche. Ende des Jahres schafft es der Belgier dann, für seinen deutschen Freund eine Einzelausstellung in seiner Galerie einzufädeln.