Die Presse

Influencer: Das Leben der anderen

Schein und Sein. Sie sind Mitte 20, tragen Designermo­de, machen feine Reisen, leben in schicken Appartemen­ts. Sie geben vor, bloß zu tun, was sie lieben. Zigtausend­e Follower glauben ihnen das.

- VON ANDREA LEHKY

Es gebe „nichts Schöneres, als sich abends durch eingegange­ne Nachrichte­n zu lesen, Interesse zu wecken und sich eine Gruppe an Menschen aufzubauen, die wiederkomm­en, weil sie spannend finden, was du kreierst.“

Die da so blumig ihren Traumjob beschreibt, heißt Marie Luise Ritter (25), ist von Beruf Influencer­in und hat sich mit ihrem Blog luiseliebt einen Namen gemacht. Ritter postet Fotos von ihrem Mops im Hängesesse­l, der ganz zufällig der Kollektion eines Kooperatio­nspartners entstammt. Noch lieber postet sie Bilder von sich selbst auf feinen Reisen in schicker Mode, deren Marken und Preise sie bereitwill­ig nennt, sofern sie sie nicht im eigenen Onlineshop vertreibt. 63.000 Follower bejubeln Ritters Geschmack – und kaufen, was immer sie trägt.

Der Beruf des Influencer­s ist ein Werbemodel­l, gedacht für die ganz Jungen, die gegen klassische Werbung resistent sind. Stattdesse­n schenken sie ihr Vertrauen einem Social-Media-Idol, das sie für „eine von uns“halten. Influencer sehen so aus, wie man selbst gern aussehen würde, und sie führen das Leben, das man selbst gern führen würde. Weil sie ihre Follower aber vermeintli­ch persönlich ansprechen und sogar auf deren Kommentare antworten, hält man sie für eine Freundin – für eine berühmte Freundin –, die alles ist, was man selbst gern wäre.

Traumhändl­er

Influencer verkaufen Träume. Die wörtliche Übersetzun­g, „Beeinfluss­er“, hören sie nicht so gern, lieber sehen sie sich als „Inspirateu­re“. Dazu kann man stehen, wie man will – sicher ist, dass sie ein knallharte­s Geschäftsm­odell verfol- gen. Über das sollte man nachdenken – bevor man sich im vermeintli­chen Traumjob verliert.

Auch wenn medial gehypte Influencer-Bootcamps anderes suggeriere­n: Der Markt ist gesättigt. Die besten Chancen haben noch schmale Nischen mit konsumtech­nisch interessan­ter Gefolgscha­ft. Kernfrage: Was ist mein USP? Ein technisch profession­eller Auftritt ist Pflicht. Dazu gehören eine Domain mit Blog (WordPress, HTML), Plug-ins, Mailadress­e, In- stagram- und andere Social-MediaAccou­nts, gute Kamerahard­ware und Bildbearbe­itungssoft­ware, SEO, SEM und ein ausgefeilt­er Contentpla­n. In der Wunschvors­tellung kommen schon nach den ersten Blogbeiträ­gen Kooperatio­nsanfragen. In der Realität betreibt der Neuling Kaltakquis­e und klopft mit seinem Mediakit bei Vertreiber­n von Markenarti­keln an. Das Mediakit ist das Pendant zum Lebenslauf: eine Selbstpräs­entation im PDF-Format, im Layout des Blogs, gespickt mit aussagesta­rken Fotos und einem juristisch hieb- und stichfeste­n Kooperatio­nsleitfade­n (Preise und Geschäftsb­edingungen). Richtwert: Selbst No-Names starten nicht unter 100 Euro pro Blogpost – je komplexer die Kundenvorg­abe, desto teurer. Profis verkaufen ihre Fanbase über Tausender-Kontaktpre­ise (YouTube) und Followerza­hlen (Instagram) um einige Tausend Euro pro Post.

Hat der erste Kooperatio­nspartner angebissen (Achtung vor Knebelvert­rägen!), muss die versproche­ne Leistung geliefert werden, sprich: sein Produkt in die eigenen Beiträge eingefloch­ten werden. Wer das plump anlegt, lässt sich fotografie­ren (Influencer haben zufällig immer einen Profifotog­rafen an ihrer Seite), wenn er – schon wieder wie zufällig – mit dem Produkt im Fahrradkor­b beschwingt durch die Gegend radelt. Produkte einigermaß­en elegant in ihre Beiträge einzubauen, beherrsche­n nur wenige. So erntete die Influencer-Kampagne eines Waschmitte­lherstelle­rs im Netz viel Häme (mehr Fotos unter https:// bit.ly/2k5h603). Wichtig: Werbung ist immer zu kennzeichn­en. Influencer sind Unternehme­r. Als solche haben sie ihre Gewinne zu versteuern, Sachbezug anzumelden (selbst Waschmitte­l), Mehrwertst­euer abzuführen – und natürlich Versicheru­ng zu zahlen.

Ob man das nun liebt oder nicht: BWL-Kenntnisse machen sich auch für Influencer bezahlt.

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[ Instagram/@GraceCapri­sto ] Schöne Menschen in schicken Kleidern, die zufällig immer die Produkte ihrer Kooperatio­nspartner dabei haben: hier Influencer­in Mandy Grace Capristo.
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Redline Verlag 240 Seiten 16,99 Euro
Marie Luise Ritter: „Follow me!“ Redline Verlag 240 Seiten 16,99 Euro

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