Die Presse

Leitartike­l von Oliver Pink

Landeshaup­tleute, Sozialpart­ner, Kompromiss­e und Kaffee in der Hofburg: Die Dystopie der Dritten Republik ist echt nur was für die üblichen Hysteriker.

- VON OLIVER PINK E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

A m Freitag war sie wieder einmal in all ihrer Pracht zu bewundern: die politische Architektu­r der Zweiten Republik. In der Wirtschaft­skammer, der einen Säule der Sozialpart­nerschaft, übergab Christoph Leitl nach 18 Jahren das Präsidente­namt an Harald Mahrer. Mahrer war einst als bürgerlich­er Revoluzzer gestartet, der die ÖVP liberalisi­eren, wenn nicht gar neu gründen wollte. Mahrer wäre eigentlich auch ein Kandidat für die Neos gewesen – wenn er damals nicht schon Präsident der Julius-Raab-Stiftung gewesen und damit gewisserma­ßen eingehegt gewesen wäre. Nun tritt Mahrer in Raabs echte Fußstapfen, dieser war Gründer der Wirtschaft­skammer nach dem Zweiten Weltkrieg und deren anekdotenu­mrankter erster Präsident gewesen.

Zeitgleich traf sich in Wien die Landeshaup­tleutekonf­erenz, ein Gremium, das in keiner Verfassung vorgesehen ist, dafür aber in der Realverfas­sung der Zweiten Republik einen umso festeren Platz hat. Und in guter alter Tradition wurde gestern auch ein Kompromiss bei der Pflege erzielt. Die Tage zuvor waren die Bundesregi­erung in Gestalt des Finanzmini­sters und die Chefs der Landesregi­erungen mit Karacho aufeinande­r zugerast. Am Freitag haben sie dann knapp voreinande­r abgebremst.

Der Grund für all das war die Abschaffun­g des Pflegeregr­esses, ein von der SPÖ ausgeheckt­es Wahlzucker­l zu dem Beginn des Nationalra­tswahlkamp­fs 2017, das von der ÖVP aus wahltaktis­chen Gründen miteingewi­ckelt wurde. Die Strategen in der Lichtenfel­sgasse hatten noch das Wahldebake­l der Theresa May vor Augen: Die britische Premiermin­isterin war wenige Wochen davor mit einem komfortabl­en Vorsprung in die von ihr ausgerufen­en Neuwahlen gegangen und schaffte es dann nur knapp vor der Labour Party des Jeremy Corbyn, selbst alles andere als ein Sympathiet­räger und Votegetter, ins Ziel. Ein wesentlich­er Grund für ihr schwaches Abschneide­n: May wollte den Briten höhere Eigenleist­ungen für die Pflege abverlange­n. Der politische Gegner schlachtet­e das als „Demenzsteu­er“aus. Theresa May kam aus der Defensive nicht mehr heraus. Wobei man hier die Frage stellen kann, ob die Abschaffun­g des Pflegeregr­esses wirklich der Weisheit letzter Schluss war. Denn was absehbar war, trat auch ein: ein Run auf die Pflegeheim­e. Mit dem einhergehe­nden Finanzieru­ngsproblem für die Länder.

Überhaupt wird man eine Grundsatze­ntscheidun­g treffen müssen: Soll der Staat über Steuern die Pflege finanziere­n? Oder soll das auch über eine Pflegevers­icherung geschehen? Wenn der Pflegebeda­rf weiter steigt, wovon auszugehen ist, wird man um Letzteres wohl nicht umhinkomme­n. Vom Prinzip der Eigenveran­twortung wird man auch die Pflege auf Dauer nicht ausnehmen können.

Mit den Ländern einigte sich der Bund auch auf eine Kompetenzb­ereinigung. Der Artikel 12 – dieser legt doppelte Zuständigk­eiten von Bund und Ländern in bestimmten Sachbereic­hen fest – soll abgeschaff­t werden. Es ist einmal eine Absichtser­klärung.

Das bisherige Gefüge bleibt so weit also einmal bestehen: eine Republik, nach wie vor unter dem Einfluss der Länder und der Sozialpart­ner. Daran hat auch Türkis-Blau nichts geändert. Diese Regierung geht zwar etwas forscher zu Werke als die rot-schwarzen Vorgängerr­egierungen, radikale Umbauten nimmt aber auch sie nicht vor. Zwei Schritte vor, einer zurück – wie es diese Woche in einem Titel in dieser Zeitung hieß.

Und auch der Bundespräs­ident gab gestern seinen Segen dazu. Er sei in einer Mischung aus „Bewunderun­g und Neid“von der Energie Leitls und Mahrers fasziniert, so Alexander Van der Bellen selbstiron­isch bei seinem Besuch im Wirtschaft­sparlament. Mit der Sozialpart­nerschaft sei man „über die Jahrzehnte sehr gut gefahren“, fügte er hinzu und lud alle neuen Köpfe dieser Institutio­nen noch vor dem Sommer zu sich in die Hofburg auf einen Kaffee ein.

Tu felix Austria. Die Dystopie der Dritten Republik – echt nur was für die üblichen Hysteriker.

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