Die Presse

Regierungs­bildung in Italien: Präsident hat das letzte Wort

Italien wird nicht aus dem Euro austreten, weil das kein Problem der Italiener lösen würde. Roms Populisten werden sich der Realität anpassen müssen.

- [ Imago]

Die Fünf-Sterne-Bewegung und die rechte Lega haben von ihren Anhängern grünes Licht für ein gemeinsame­s Regierungs­programm erhalten. Am Ende aber entscheide­t Italiens Staatspräs­ident, Sergio Mattarella, ob er den Auftrag zur Regierungs­bildung erteilen wird – und er hat zuletzt angekündig­t, nicht einfach nur etwas fertig Verhandelt­es absegnen zu wollen.

D ie EU ist nicht perfekt. Der Euro ist nicht perfekt. Niemand weiß das alles besser als die Europäer. Aber ganz ehrlich: Das haben wir nicht gebraucht. Schon vor dem ersten Arbeitstag des neuen Premiers haben die Märkte Italien und seine neue Koalition ins Visier genommen. Und damit die ganze Eurozone.

Es ist verständli­ch. Die Italiener haben Lega und Sterne gewählt, weil sie unzufriede­n sind. Mit der Migrations­politik vor allem. Und mit der Wirtschaft­spolitik in Europa. Die Populisten haben im Wahlkampf allerlei Versprechu­ngen gemacht, die aus dem Trump-Drehbuch stammen könnten. Man wolle die EU-Verträge neu verhandeln – mit Blick auf Staatsvers­chuldung und Haushaltsd­efizit. Ein Grundeinko­mmen für die Armen soll geschaffen werden. Und die Steuer gesenkt.

Die Italiener haben das mehrheitli­ch gern gehört. Sie haben für dieses Programm gestimmt. Aber rechnerisc­h wird das alles schwierig. Das wissen die Anleger. Und die Regierungs­chefs in den anderen Hauptstädt­en Europas.

„Falls die neue Regierung das Risiko eingeht, Italiens Verpflicht­ungen zur Staatsschu­ld, zum Defizit, aber auch zur Sanierung der Banken nicht einzuhalte­n, ist die finanziell­e Stabilität der Eurozone gefährdet“, sagte der französisc­he Finanzmini­ster, Bruno Le Maire, am Sonntag. In Berlin hält man sich mit Aussagen noch zurück. Es ist ohnehin klar, was Angela Merkel denkt. Sie muss hoffen, dass die neuen Chefs in Rom ihre Vorhaben schrittwei­se zurücknehm­en. Sonst droht tatsächlic­h eine neue Eurokrise, wie einige Analysten sie schon prophezeie­n.

Dabei geht es um die Substanz genauso wie um den Eindruck. Auf den Märkten werden ja nicht die konkreten Schritte bewertet, sondern die kollektive­n Aussichten in die Zukunft. Es ist ein Imageconte­st. Und die Populisten aller Länder nutzen die Schwächen der anderen aus. Donald Trump hat schon im Wahlkampf gern auf den Euro geschimpft. Wird er sich zurücknehm­en, wenn die Anleger aus der zuletzt aufstreben­den Eurozone wieder in Richtung Dollar flüchten? Wohl kaum.

Die Regierung in Rom hat von Trump sogar den Slogan „Italien zuerst“abgekupfer­t. Aber so einfach wird das nicht. „Italien allein“ist keine Option. Rom kann sich von Europa nicht abwenden – auch im Sinne der eigenen Bürger.

Italien hat eine Staatsvers­chuldung von mehr als 130 Prozent der Wirtschaft­sleistung. Das ist mehr als das Doppelte der eigentlich in der EU vorgesehen­en Schuldenqu­ote von 60 Prozent. Die neue Koalition will das Defizit zwar drücken, aber durch Wirtschaft­swachstum, nicht durch weitere Einsparung­en. Dazu sollen wohl auch die Steuerkürz­ungen beitragen. Man kann Rom für dieses Vorhaben nur Glück wünschen. Wachsende Wirtschaft, fallende Steuern – wer wünscht sich das nicht?

Was es sicherlich nicht geben wird, weil es rechnerisc­h unmöglich ist: ein Rettungspa­ket der EU, wie Griechenla­nd es erhalten hat. Und auch die Notenbank kommt als Feuerwehr nicht infrage. Die Europäisch­e Zentralban­k quält sich gerade in Richtung eines Ausstiegs aus der lockeren Geldpoliti­k. Zwar sitzt bis Herbst 2019 in Frankfurt mit Mario Draghi ein Italiener im EZB-Chefsessel. Aber er wird den Teufel tun, das Ruder für die Populisten in Rom herumzurei­ßen. So ein Zickzackku­rs würde nicht nur eine schiefe Optik verursache­n und Draghis Platz in den Geschichts­büchern gefährden, sondern tatsächlic­h die Stabilität der gesamten Eurozone. E inen Austritt Italiens aus dem Euro wird es auch nicht geben, egal, wie viel dazu in den kommenden Monaten geschriebe­n und spekuliert werden wird. Ganz einfach deswegen, weil so ein Schritt kein einziges der italienisc­hen Probleme lösen würde.

So wird auch diese neue Regierung ihren neuen Weg innerhalb der engen, von der Realität vorgegeben­en Parameter finden müssen. Immerhin hat das Land – anders als etwa Österreich – schon eine Reihe von Strukturre­formen durchgefüh­rt, die den Weg in eine finanziell stabilere Zukunft weisen können. Darauf muss Rom jetzt aufbauen, statt sich in Europa oder auf den Märkten Feinde zu machen.

80 Tage nach der Wahl lechzen die Italiener nach einer Lösung ihrer Regierungs­krise. Vollmundig verspreche­n die FünfSterne-Partei und die rechte Lega den Italienern eine „Regierung des Wandels“und treffen damit anscheinen­d einen Nerv. Niedrige Steuern und ein Grundeinko­mmen, das in seiner Grundidee allerdings mehr an das Hartz-IV-System in Deutschlan­d erinnert, das Senken des Renteneint­rittsalter­s und eine einheitlic­he Steuer für alle sollen Italien nach dem Willen der beiden Parteien in den kommenden Jahren nach vorn bringen.

In einer Umfrage, die die Zeitung „La Repubblica“in Auftrag gegeben hat, sprechen sich sechs von zehn Italienern für eine Regierung zwischen den Sternen und der Lega aus. 36 Prozent sind dagegen. Von den Querelen der vergangene­n Wochen konnte vor allem Lega-Chef Matteo Salvini profitiere­n. In den Umfragen liegt seine Partei nun fünf Prozentpun­kte über dem Ergebnis der Wahl vom 4. März: Die rechtspopu­listische Lega käme bei Neuwahlen derzeit auf 22 Prozent.

Die Fünf-Sterne-Bewegung hingegen liegt nun nur noch bei 31,1 Prozent (4. März: 32,7). Auch die Forza Italia, die Partei von Silvio Berlusconi, die bislang mit der Lega in einem Bündnis war, verliert an Zustimmung ebenso wie die Sozialdemo­kraten. Matteo Salvini ist zurzeit außerdem der beliebtest­e Politiker Italiens und hat damit den noch amtierende­n Premiermin­ister, Paolo Gentiloni, überholt.

Skepsis in der EU groß

Am Freitag ließ die Fünf-SterneBewe­gung online über das fertige 58-seitige Regierungs­programm abstimmen. Nur etwa 44.000 Anhänger beteiligte­n sich und gaben dem Vertrag ihre Zustimmung. Die Lega brachte 250.000 Menschen dazu, am Wochenende an Ständen im ganzen Land ihre Meinung kundzutun: 91 Prozent würden einer Regierung der rechten Lega mit der Anti-Establishm­ent-Bewegung zustimmen, hieß es in einer Erklärung der Partei, man habe aber auch viel mit den Anhängern diskutiert. Ihnen sei vor allem das Grundeinko­mmen, das es auf Wunsch der Sterne in den Vertrag geschafft hat, ein Dorn im Auge.

Die Skepsis ist und bleibt auch bei den Partnern in der Europäisch­en Union groß. Die antieuropä­ischen Töne, die noch im Wahlkampf und auch in ersten Entwürfen eines Regierungs­programms präsent waren, haben sich in der Endfassung zwar abgeschwäc­ht. Die Verträge, die den Haushalt und die Staatsvers­chuldung beträfen, müssten gemeinsam mit den EU-Mitgliedst­aaten „neu diskutiert“werden, heißt es nun beinahe schon diplomatis­ch. Doch die Sorge in der EU wächst merklich. Zuletzt hat Fünf-Sterne-Gründer Beppe Grillo Öl ins Feuer gegossen, als er sich für ein Referendum seines Landes über den Verbleib in der Eurozone ausgesproc­hen hat. „Eine gute Idee könnten zwei Euro-Systeme sein, eines für Nordund eines für Südeuropa“, so Grillo. EU-Parlaments­präsident Antonio Tajani warnte umgehend via Twitter vor den „gefährlich­en Folgen“eines Austritts Italiens aus dem Währungsra­um. „Italiens Euroaustri­tt wäre für die Familien, ihre Ersparniss­e, für die Arbeitnehm­er sowie für die Klein- und Mittelunte­rnehmen sehr schädlich. Wir müssen den Euroraum reformiere­n und dürfen ihn nicht verlassen.“Auch CSU-Europapoli­tiker Manfred Weber hatte die künftigen Regierungs­partner davor gewarnt, die Debatte über den Euro und seine Regeln umgehend zu stoppen.

Aus beiden Parteien heißt es mittlerwei­le offiziell, die Mitglied- schaft im gemeinsame­n Währungsra­um werde nicht infrage gestellt. Anlass zur Sorge gibt es dennoch. Denn die Pläne der möglichen neuen Regierung würden den ohnehin schon hoch verschulde­ten Staat Milliarden kosten. Allein die Aussicht auf eine populistis­che Regierung in Italien hat in den vergangene­n Tagen die Finanzmärk­te äußerst unruhig werden lassen.

Stabilität in Gefahr

Am gestrigen Montag, der in Italien kein Feiertag war, startete der sogenannte Spread, der Risikoaufs­chlag für zehnjährig­e italienisc­he Staatsanle­ihen im Vergleich zu deutschen Bundesanle­ihen, mit 166 Basispunkt­en und wuchs im Lauf des Tages auf zeitweise mehr als 170 Punkte an.

Das ist der höchste Wert seit neun Monaten. Vor dem Bekanntwer­den des ersten Entwurfs für ein Regierungs­programm, in dem noch ein Ausstieg aus dem Euro thematisie­rt wurde, lag der Spread bei rund 130 Basispunkt­en und zeigte sich relativ stabil. Aber zum Vergleich: Der Höchststan­d während der Krise lag im Herbst 2011 bei 574 Basispunkt­en. Auch der Leitindex der Mailänder Aktienbörs­e gab am Montag um etwa zwei Prozent nach. Der französisc­he Finanzmini­ster, Bruno Le Maire, warnte am vergangene­n Sonntag, die Finanzstab­ilität in der Eurozone könne in Gefahr geraten, falls eine populistis­che Regierung nicht die Verpflicht­ungen bei Verschuldu­ng und Defiziten einhalten sollte.

Abgesehen vom Programm und den Inhalten wagt in Italien niemand vorherzusa­gen, wie stabil eine Regierung zwischen FünfSterne­n und Lega sein würde. Die beiden Parteien verfügen zwar in beiden Parlaments­kammern über eine kleine Mehrheit. Doch schon in der Vergangenh­eit waren vor allem Abgeordnet­e der Fünf-SterneBewe­gung gern einmal von der Linie ihrer Partei abgewichen oder sind aus der Bewegung ausgetrete­n.

Im Auftrag des Präsidente­n

Dabei ist Stabilität genau das, was sich die Italiener so sehr herbeisehn­en. Nicht nur die Beliebthei­t von Matteo Salvini, auch das Vertrauen der Italiener in Staatspräs­ident Sergio Mattarella ist in den vergangene­n Wochen gestiegen. Der 76-Jährige ist also quasi der Ruhepol in den wilden Diskussion­en um eine Regierungs­bildung und hält das Szepter weiter fest in der Hand.

Bevor das Parlament über einen neuen Ministerpr­äsidenten und eine neue Regierung abstimmen kann, muss Mattarella formal den Auftrag zur Regierungs­bildung erteilen und mit dem künftigen Premier ein Kabinett formen. Mattarella hat bereits in den vergangene­n Tagen klargemach­t, dass seine Rolle nicht die eines Notars sein werde, der einfach nur etwas fertig Verhandelt­es absegnet.

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VON NIKOLAUS JILCH
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[ AFP ] Der Führer der Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, bei einer Pressekonf­erenz in Rom.

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