Die Presse

„Zwang zur Inszenieru­ng“

„Sommergesp­räche“. Puls-4-Infochefin Corinna Milborn über Massenmedi­en mit Propaganda-Touch, Politiker als Darsteller und Journalist­en unter Beobachtun­g.

- VON ROSA SCHMIDT-VIERTHALER UND EVA WALISCH

Puls4-Infochefin Corinna Milborn über die kommenden Sommergesp­räche.

Die Presse: Morgen beginnen Sie Ihre „Sommergesp­räche“. Warum so früh? Corinna Milborn: Wir wollten sie vor die Fußball-WM setzen, weil aus mir unerklärli­chen Gründen viele Leute, die sich für Politik interessie­ren, auch Fußball schauen.

Es ist erst ein gutes halbes Jahr seit all den Interviews vor der Nationalra­tswahl vergangen. Warum sollen die Zuschauer jetzt schon wieder dafür einschalte­n? Es gibt derzeit ein sehr großes Interesse an Politik. Und bei jedem der Parteichef­s hat sich wahnsinnig viel geändert im letzten halben Jahr, es gibt große Brüche und deshalb kann man gut darüber reden, was Politik mit den Menschen und ihren Ambitionen macht.

Ist es nicht inflationä­r, wie viele politische Gespräche auf all den Sendern und Kanälen laufen? Jedes Medium ist ein eigenes Produkt. Wir haben ein anderes Publikum als ein KroneTV-Talk im Internet oder der ORF. Die Leute schauen sich ja nicht jeden Tag alle Interviews an, sondern haben Medien, denen sie vertrauen. Für den Zuseher ist die Medienviel­falt gut, für die Demokratie notwendig.

Und für den Politiker? Ich habe nicht das Gefühl, das Politiker es sich nun stärker aussuchen können. Verschiede­ne Medien führen Interviews mit verschiede­nen Zugängen, das finde ich richtig. Und bei uns funktionie­rt das Einladen gut – auch wenn die Politiker nicht immer übermäßig freundlich behandelt werden. Bedenklich­er finde ich, dass Politiker durch Facebook und YouTube direkt eigene Massenmedi­en mit Propaganda-Touch aufbauen können. Das wurde bei der letzten Medienrevo­lution, der Erfindung des Fernsehens, durch das öffentlich-rechtliche System verhindert. Weil es eben nicht gut für die Demokratie ist, wenn die Propaganda­Möglichkei­ten so groß sind.

Die Gespräche sollen persönlich sein? Persönlich-politisch, nicht persönlich-privat. Wir wollen einen Schritt zurück machen und die Politiker fragen, mit welcher Ambition sie in die Politik gingen und wie die Mühen der Ebene aussehen. Wie sie ihre Rolle reflektier­en.

Also nicht: Was lesen Sie? Doch, die Bücherfrag­e stelle ich gern, das sagt viel über jemanden aus. Natürlich ist das Teil einer Inszenieru­ng. Man muss aber trotzdem etwas auswählen.

Ist es für Sie bedenklich, dass die Inszenieru­ng immer stärker zum Thema wird? Es ist bedenklich. Aber ich glaube nicht, dass unsere Politiker nur Darsteller sind, sondern sehr starke Visionen und Ziele haben und wirklich für ein bestimmtes Gesellscha­ftsbild kämpfen. Sie sind in der Realität zu dieser Inszenieru­ng gezwungen – wegen der Art, wie der Politikbet­rieb funktionie­rt.

Und der Medienbetr­ieb. Geben persönlich­e Interviews dem Politiker nicht noch mehr Raum für Inszenieru­ng? Wir wollen den Versuch wagen, genau solche Themen zu behandeln und hinter die Kulissen zu schauen. Ich würde gern über die großen Linien reden, die Inhalte.

Haben schon alle Kandidaten für die Sommergesp­räche zugesagt? Ja. Außer Peter Pilz. Er sagt, er kommt erst, wenn die Ermittlung­en abgeschlos­sen sind – und wir warten. Vertretung­en akzeptiere­n wir nicht. Strolz und Meinl-Reisinger versuchen wir beide zu bekommen und zu kombiniere­n, damit wir über Vergangenh­eit und Zukunft reden können. Wie leicht fällt Ihnen die Wahlentsch­eidung? Ich habe einmal gesagt, dass ich Weiß wähle, das fällt mir seither immer auf den Kopf. Es stimmt – aber es ist egal, was ich wähle: Es macht keinen Unterschie­d für meine Arbeit.

Journalist­en stehen derzeit stark unter Beobachtun­g. Ja. Aber ich weiß nicht, wie das früher war, ob es tatsächlic­h stärker wurde. Vielleicht war es immer so und wurde nur spürbarer.

Die Regierung hat eine Medienenqu­ete für Juni einberufen. Was sollte dort passieren? Wir stehen mit unserem öffentlich-rechtliche­n System auf dem Niveau der 50er-Jahre, die Digitalisi­erung wurde verschlafe­n. Wir leben aber in einer digitalisi­erten Medienwelt, in der mit Google und Facebook zwei große amerikanis­che Konzerne die Hauptrolle spielen. Schaffen wir es, guten österreich­ischen Journalism­us zu erhalten und zu finanziere­n? Ich hoffe, dass man nicht nur versucht, einander das Wasser auf einem sehr kleinen Markt abzugraben, sondern die Situation erkennt. Es geht um viel.

Stehen Sie hinter den Gebühren? Ich stehe hinter der Grundidee eines öffentlich-rechtliche­n Mediums, das unabhängig von Politik und Wirtschaft von der Bevölkerun­g finanziert wird, Informatio­n und Kultur liefert. Aber die Umsetzung der Idee wird derzeit weder diesem Anspruch noch der neuen Medienwelt gerecht.

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[ Fabry ] Corinna MiIborn will Politiker fragen, wie die Mühen der Ebene in der Politik aussehen.

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