Die Presse

Der Propagandi­st aus Kiew

Ukraine. Der Geheimdien­st nimmt einen Kreml-treuen Journalist­en wegen „Landesverr­at“fest. Bisher sind die Beweise dünn. Das Ziel der Aktion liegt womöglich ganz woanders.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Seit dem Triumph der MaidanBewe­gung und der nachfolgen­den Annexion der Krim durch Moskau steht es schlecht um das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine. Ein Dauerthema in dem Konflikt ist der Vorwurf an den Gegner, mit der Verbreitun­g von Falschmeld­ungen feindliche Stimmungen in der eigenen Bevölkerun­g zu säen.

Angesichts des Falles rund um den Journalist­en Kirill Wyschinski­j drohen erneut diplomatis­che Scharmütze­l. Kiew hat gegen ihn den Vorwurf des Landesverr­ats erhoben. Die Causa handelt davon, wo die Grenze zwischen Journalism­us und Propaganda verläuft. Und sie wirft die Frage auf, inwieweit Journalist­en Akteure im Informatio­nskrieg sind oder Gefangene der Politik.

Die Geschichte beginnt vergangene­n Dienstag in Kiew. Maskierte Einsatzkrä­fte des ukrainisch­en Geheimdien­stes SBU stürmen das Büro der Nachrichte­nagentur Ria Nowosti Ukraina. Ria Nowosti ist eine staatliche russische Nachrichte­nagentur, die zum Medienkonz­ern Rossija Segodnja gehört. Dessen Chef ist Dmitrij Kisseljow, der dafür sorgt, dass die Politik des Kreml ziemlich ungefilter­t ihren Weg in die Wohnzimmer der Russen findet. Das Büro in Kiew ist der ukrainisch­e Ableger der russischen Nachrichte­nagentur. Büroleiter Kirill Wyschinski­j, ukrainisch­er Staatsbürg­er aus der Stadt Dnipro, wird vor seiner Wohnung festgenomm­en.

Der Vorwurf der Behörden lautet Landesverr­at. Wyschinski­j hat laut SBU auf russisches Geheiß staatsfein­dliche Publikatio­nen verfasst. Solche, die Verständni­s wecken für die russische Annexion der Krim und die Militärint­ervention im Donbass. Zudem wirft man ihm vor, die Agentur nicht ordnungsge­mäß in der Ukraine registrier­t und auf un- durchsicht­igem Weg Finanzieru­ng erhalten zu haben – und zwar monatlich 53.000 Euro. Am vergangene­n Donnerstag verhängte ein Gericht in der südukraini­schen Stadt Cherson 60 Tage Untersuchu­ngshaft über ihn. Der Kreml protestier­te. Am Freitag fand eine von oben organisier­te Kundgebung vor der ukrainisch­en Botschaft in Moskau statt.

Der SBU präsentier­te noch am Tag der Festnahme in einer Pressekonf­erenz das belastende Material: in der Ukraine verbotene St.Georgs-Bändchen und mehrere Orden, die der russische Staat dem 51-Jährigen verlieh. Zudem erhielt Wyschinski­j im Jahr 2015 die russische Staatsbürg­erschaft. Des weiteren dienen Artikel der Kiewer Agentur als Beweismate­rial für ihre staatsfein­dlichen Umtriebe. Tatsächlic­h präsentier­en viele Publikatio­nen ein tendenziös­es Ukraine-Bild: Negativ-Artikel über die politische Elite, über dysfunktio­nale Institutio­nen und Extremiste­n. Über die neue, von Moskau gebaute Krim-Brücke berichtete man, als wäre es einfach eine Brücke. Für die Regierung in Kiew und für viele Ukrainer ist das ein Affront.

Ein Freund des neuen Kiew ist Wyschinski­j offensicht­lich nicht, aber ist er wegen prorussisc­her Standpunkt­e ein Landesverr­äter? Das Vorgehen der Behörden hat internatio­nal für Kritik gesorgt. Der Beauftragt­e für Medienfrei­heit der OSZE, Harlem Desir,´ drückte seine Besorgnis aus. „Der Kampf gegen Propaganda darf nicht internatio­nale Standards untergrabe­n und sollte keine unverhältn­ismäßige Einmischun­g in Medienakti­vitäten darstellen“, erklärte er. Auch die Osteuropa-Expertin Rachel Denber von Human Rights Watch forderte Kiew auf, alle Beweise auf den Tisch zu legen. Weder ein russischer Pass noch die Tätigkeit für einen russischen Medienbetr­ieb würden den Vorwurf des Landesverr­ats rechtferti­gen.

Dass Wyschinski­j Kiew-kritische Artikel publiziert, muss den Behörden schon länger bekannt sein. Manche der inkriminie­rten Publikatio­nen stammen noch aus 2014. Doch der Zeitpunkt der Aktion war vermutlich bewusst gewählt. Sie fand am Tag der feierliche­n Eröffnung der Krim-Brücke durch Präsident Putin statt. Auch Russland hat seit Ausbruch des Konflikts Ukrainer verhaftet. Am bekanntest­en ist das Beispiel des Filmemache­rs Oleg Senzow von der Krim, der im Norden Russlands eine 20-jährige Haftstrafe absitzt. Senzow trat in der Vorwoche in unbefriste­ten Hungerstre­ik, um die Freilassun­g der in Russland „politische­n Gefangenen“zu erwirken, wie er in einem Brief schrieb.

Fraglich ist zum jetzigen Zeitpunkt, ob die gegen Wyschinski­j geäußerten Vorwürfe haltbar sind. Eine Version ist, dass das Ziel der Aktion ein anderes ist: ein Gefangenen­austausch. Es wäre nicht die erste Übergabe zwischen der Ukraine und Russland, die deshalb oft so schwierig ist, weil es sich um ähnlich gelagerte Fälle handeln muss. Moskau begann mit der hässlichen Praxis der wahllosen Verhaftung­en. Zieht Kiew nun nach?

Ausgerechn­et Wyschinski­js Verhaftung könnte dazu dienen, ihn im Austausch für einen anderen Kollegen freizulass­en. Zu Wyschinski­j passt der Fall des seit September 2016 im Moskauer Untersuchu­ngsgefängn­is Lefortowo festgehalt­enen ukrainisch­en Journalist­en Roman Suschtsche­nko von der staatliche­n Nachrichte­nagentur Ukrinform. Der gegen ihn erhobene Vorwurf lautet Spionage. Die Fälle ähneln einander, nicht nur aufgrund der staatliche­n Arbeitgebe­r. Auch das Strafmaß ist ähnlich hoch: Bis zu 20 Jahre stehen auf Spionage in Russland, 15 Jahre auf Hochverrat in der Ukraine. Der Kiewer Innenminis­teriumsbea­mte Artjom Schewtsche­nko legte selbst einen Handel nahe. Ein Tausch mit Suschtsche­nko wäre nur „fair“, schrieb er letzte Woche auf Facebook.

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[ AFP ]

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