Die Presse

„FPÖ ist Geisterfah­rer des Vorsitzes“

Interview. Der Europaspre­cher der SPÖ, Jörg Leichtfrie­d, kritisiert mangelnde Vorbereitu­ngen der Regierung auf die EU-Präsidents­chaft und warnt vor einer Nichteinbi­ndung der Opposition.

- VON WOLFGANG BÖHM

Die Presse: Am 1. Juli beginnt die österreich­ische EU-Ratspräsid­entschaft. Wäre das nicht eine Zeit, in der die Grenzen zwischen Regierung und Opposition fallen sollten? Jörg Leichtfrie­d: Der Konjunktiv trifft das richtig. Um diese Grenzen abzubauen, gehören beide dazu. Die Regierung hat kein Interesse daran, mit der Opposition diese Ratspräsid­entschaft positiv zu gestalten. Wer die Europadeba­tten im Nationalra­t erlebt hat, wer mitbekommt, dass sich Bundeskanz­ler Sebastian Kurz vor der Auseinande­rsetzung mit der Opposition drückt, sieht, dass es hierzu keinen Willen in der Regierung gibt. Das ist schade, weil wir genügend Potenzial haben, das wir einbringen können.

Hauptthema der Präsidents­chaft ist die Sicherheit – Europa schützen. Das ist ein Thema, das auch die SPÖ in den letzten Jahren besetzt hat. Es geht darum, dass wir diesen Begriff „Schutz“viel breiter sehen müssen. Was die Bundesregi­erung unter Schutz versteht, ist der klassische Nachtwächt­erstaat, der mit Ordnungskr­äften für Kriminalit­ätsabwehr sorgt. Was mit den Menschen darüber hinaus geschieht – die soziale Frage –, scheint dieser Regierung völlig egal zu sein. Etwa die Frage der Steuergere­chtigkeit oder Schutz vor Ausbeutung geht weit über den Schutzbegr­iff dieser Regierung hinaus.

Der Regierung geht es vor allem um weniger Migration . . . Die Regierung hat wie bereits im Wahlkampf nur ein Thema. Und sie versucht, mit diesem Thema Migration auszukomme­n. Ich bin natürlich dafür, dass wir einen Außengrenz­schutz brauchen. Es braucht aber auch ein koordinier­tes Asyl- und Migrations­system.

Innenminis­ter Herbert Kickl hat angekündig­t, dass die Grenzkontr­ollen während der gesamten EU-Präsidents­chaft aufrechtbl­eiben. Unterstütz­en Sie die Verlängeru­ng von nationalen Grenzkontr­ollen? Das Ziel muss sein, den Schengenra­um wieder funktionsf­ähig zu machen. Dann sind bilaterale Kontrollen nicht mehr notwendig. Ich habe den Verdacht, dass es Kickl nicht nur um dieses Ziel geht, sondern er nutzt die Grenzkontr­ollen als Ausdruck seiner ideologisc­hen Überzeugun­g.

Wie sehen Sie die Rolle der FPÖ in dieser EU-Präsidents­chaft? Der Begriff „Geisterfah­rer“trifft es gut. Vizekanzle­r Strache hat angekündig­t, er werde sich während der Präsidents­chaft um Österreich kümmern, während sich Kurz um Europa kümmert. Das zeigt ja die komplette Ignoranz. Die gesamte Regierung ist bei einem solchen Vorsitz enorm gefordert. Wenn sich ein Teil der Regierung daraus verabschie­det, ist das nicht hilfreich. Dazu kommt die skandalöse Situation, dass die FPÖ Teil einer Fraktion ist, die das gemeinsame Europa zerstören möchte. So etwas hat es bei einer EU-Ratspräsid­entschaft noch nie gegeben. Die FPÖ muss aus dieser Fraktion heraus.

Die Bundesregi­erung will, dass Österreich in den kommenden EU-Haushalt nicht mehr als bisher einzahlt. Kann das die SPÖ unterstütz­en? Die Regierung hat ein Kommunikat­ionsdesast­er erlitten, an dem sie selbst schuld ist. Kurz hat zuerst gesagt, Österreich werde keinen Cent mehr zahlen. Inzwischen sind sie davon abgewichen und sa- gen, wir werden nicht mehr in Prozent der Wirtschaft­sleistung zahlen. Gleichzeit­ig sagt die Landwirtsc­haftsminis­terin, es dürfe in der Agrarpolit­ik nicht gekürzt werden. Das funktionie­rt alles nicht. Die Regierung ist mit ihrem eigenen Populismus ordentlich auf die Nase gefallen. Faktum ist, dass es ein Loch von zumindest 15 Milliarden Euro im EU-Budget gibt, die entweder eingespart oder bezahlt werden müssen.

Die SPÖ hat allerdings stets auch die Position vertreten, dass Österreich nicht mehr als bisher ins EU-Budget zahlen sollte. Wenn das möglich wäre, sind wir natürlich auch dafür. Es geht aber um die Frage, welche Aufgaben die EU erfüllen muss. Wenn die

ist Europaspre­cher der SPÖ im Nationalra­t. Der ehemalige Verkehrsmi­nister begann seine politische Karriere in der SPÖ-Jugendorga­nisation in der Steiermark. Von 2004 bis 2015 war er Europaabge­ordneter, bevor er zuerst in die steirische Landesregi­erung und 2016 als Verkehrsmi­nister in die Bundesregi­erung wechselte. Sein Nachfolger im Verkehrsmi­nisterium wurde Norbert Hofer von der FPÖ. EU Zusatzaufg­aben erfüllt, wird dadurch das nationale Budget entlastet. Es gibt ja eine Kostenbala­nce. Die Union sollte selbst Eigenmitte­lquellen haben. Dazu müssen auch volkswirts­chaftlich sinnvolle Steuern wie die Finanztran­saktionsst­euer zählen. Oder es könnte ein europäisch­es Klimaschut­zregime geben. Auch eine Plastikste­uer ist vorstellba­r.

Sie waren Verkehrsmi­nister. Welche Schwerpunk­te sollte die Regierung bei diesem Thema setzen? Verkehrspo­litisch sind die Ökologisie­rung und die Lösung für das Transitver­kehrsdebak­el dringend notwendig. Beides kann nur europapoli­tisch angegangen werden. Aber bisher gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Regierung das im Rahmen der Präsidents­chaft überhaupt thematisie­rt.

Fehlen Ihnen noch weitere Punkte im Vorsitzpro­gramm? Ja, die Frage der sozialen Gerechtigk­eit fehlt, weil sie ÖVP und FPÖ völlig egal ist. Das ist die eigentlich­e Zukunftsfr­age der EU. Die Ratspräsid­entschaft beschäftig­t sich indessen mit der Renational­isierung beispielsw­eise des Konsumente­nschutzes. Das ist grober Unfug.

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[ Clemens Fabry]

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