Die Presse

Die armen jungen Leute von heute

- VON OLIVER GRIMM E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

Mein

schwedisch­er Freund R. und ich standen an diesem Pfingstwoc­henende in der limburgisc­hen Gegend herum, während unsere Kinder Ziegen, Gänse und Pferde bejubelten, und da sagte R. einen Satz, den ich hier zur Debatte stellen würde: „Das ganze Problem der heutigen Jugendkult­ur besteht darin, dass die Jugendlich­en keine Bands mehr gründen.“Wir hatten uns, zwischen Ferienbung­alows und Streichelz­ooweiden wandelnd, ein bisschen in Rage geredet angesichts des Umstands, dass Beyonce´ als emanzipato­risches Vorbild für junge Frauen hochhyster­isiert wird. „Ich verstehe diesen Hype um Beyonce´ nicht“, sprach R., der popkulture­ll aus seiner Zeit in England und Berlin einiges mitgenomme­n hatte. „Man sagt, sie sei die neue Aretha Franklin. Lachhaft!“Er habe gewisserma­ßen ein Schlüssele­rlebnis gehabt, als ihn eine jüngere Arbeitskol­legin auf seine Frage, welche Bands man heute so höre, verständni­slos angeschaut habe. Bands? Die jungen Leute von heute hören DJs.

Vielleicht war meine schwarze Sicht auf die gegenwärti­ge Popkultur dadurch gefärbt, dass unsere Nachbarn in der niederländ­ischen Ferienkolo­nie, ein Trupp Deutscher in ihren Zwanzigern, schon mittags begannen, das Beerpong-Spiel mit dröhnend lauten Ballermann-Hervorbrin­gungen von Mickie Krause, den Atzen und anderen Schallverb­rechern zu untermalen. Vielleicht ist es der einsetzend­e Altersstar­rsinn. Aber ich bin froh, in einer Zeit Teenager gewesen zu sein, als man auf MTV noch interessan­te, oft schräge Musik kennenlern­en konnte, man sich noch Stück für Stück durch ein Album durchhören musste, statt sich von Spotifys algorithmi­scher Formel eine formlose Klangsauce servieren zu lassen, und Erscheinun­gen wie die Kardashian­s undenkbar waren, weil man zumindest irgendetwa­s können musste, um ins Fernsehen zu kommen. Die jungen Leute von heute, sie tun mir leid. Früher war vieles nicht besser. Das Jungsein möglicherw­eise schon.

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