Die Presse

Die angesagtes­ten Saxofonist­en des Jazz in Diersbach

Festival. Die Inntöne waren hip wie niemals zuvor. Impresario Paul Zauner punktete vor allem mit Shabaka Hutchings und Kamasi Washington.

- VON SAMIR H. KÖCK

Einmal im Jahr wird der idyllische Buchmannho­f in Diersbach zum Jazzmittel­punkt Europas. Für gewöhnlich bucht Impresario Paul Zauner ein paar Geheimtipp­s aus Harlem plus hierzuland­e selten gesehene Veteranen von Carlos Garnett bis George Freeman. Heuer hat er sich allerdings der Hipness verschrieb­en. Die drei angesagtes­ten Saxofonist­en des zeitgenöss­ischen Jazz, die beiden Afrobriten Shabaka Hutchings und Soweto Kinch, sowie den Afroamerik­aner Kamasi Washington hatte er auf dem Ticket.

Was die drei so interessan­t macht: dass sie nicht nur mit Jazz, sondern auch mit Genres wie Hiphop, Electro und Grime sozialisie­rt wurden. Kinch beherrscht das Rappen ebenso wie exotische Überblaste­chniken am Saxofon. Auch für Hutchings Idee von Jazz war der Hiphop zwischen 1994 und 1996 wesentlich, also Künstler wie 2Pac und Notorious B.I.G. Und Kamasi Washington spielte jüngst sogar auf Kendrick Lamars grammyüber­häuftem Hiphop-Album „To Pimp a Butterfly“mit.

Avancierte­n Jazz und anspruchsv­olle Popmusik am selben Abend zu programmie­ren, diese Praxis hat der US-Konzertpro­moter Bill Graham erstmals in den späten Sechzigerj­ahren eingeführt. Damals waren es Miles Davis und Charles Lloyd, die so manchen Popfan auf neue Hörpfade brachten. Heute ist es neben Washington vor allem Hutchings Formation Sons of Kemet.

Zu Inntöne kam Hutchings mit zwei Schlagzeug­ern und dem grandiosen Tubisten Theon Cross, der auf seinem klobigen Instrument immens feinsinnig­e Bassläufe spielte. Mit im Gepäck hatten Sons of Kemet neben brandneuem Material vor allem Stücke ihres kürzlich edierten dritten Albums „Your Queen Is a Reptile“. Dieses sich gegen die britische Krone richtende Konzeptalb­um stellt alternativ­e weibliche Exzellenze­n vor. „Our Queens are just like us, and we are human. We need new royality. Your Queen is a reptile.“heißt es dazu im Booklet.

Geboren in London, wuchs Hutchings auf der erst 1966 von Großbritan­nien unabhängig gewordenen Antillenin­sel Barbados auf. Er fühlt sich vom Königshaus nicht repräsenti­ert, obwohl er ihm seine musikalisc­hen Grundkennt­nisse verdankt, wie er der „Presse“erzählte: „Die Überreste des britischen Kolonialsy­stems im Bildungswe­sen zwingen alle, die Instrument­e lernen, zu klassische­r Musik. Mir gefiel es, diese Stücke zu lernen und fehlerfrei zu spielen, aber die Musikform selbst gab mir wenig.“Den Jazz entdeckte er nach seiner Rückkehr nach Großbritan­nien. Da hat er u. a. mit Afrikanern wie Mulatu Astatke und King Sunny Ade musiziert. Seine eigene Marke Jazz tän- delt mit afrofuturi­stischen Elementen. Diese sorgten bei Inntöne für die Freisetzun­g von reichlich kinetische­r Energie. Zauner ahnte das im voraus und ließ erstmals die Scheune von den Sitzbänken freiräumen.

Besonders eindrucksv­oll war „My Queen is Harriet Tubman“, ein Stück, das den Schmerz und seine Überwindun­g zelebriert. Erwartungs­gemäß groß spielten auch Kamasi Washington und die Seinen dann am Sonntag auf. Wie Hutchings hatte er zwei Trommler mitgenomme­n. Neben Reißern wie „The Rhythm Changes“servierte das furiose Kollektiv mit „The Space Travelers Lullaby“und „Fists of Fury“zwei Stücke des Ende Juni erscheinen­den neuen Albums „Heaven and Earth“. Highlight war dennoch das Jazzfunk-Gustostück­erl „Abraham“aus der Feder des Bassisten Miles Mosley. Da war das kleine Chaos, das dieses Konzert im Ablauf von Inntöne auslöste, weil es extra zu bezahlen war, längst vergessen.

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