Die Presse

Tourneur-Retrospekt­ive: Der Vater, sein Sohn und das Kino

Film. Das Österreich­ische Filmmuseum zeigt noch bis Anfang Juni Filme von Maurice und Jacques Tourneur Seite an Seite.

- VON ANDREY ARNOLD

Nacht: Eine Frau läuft eine spärlich beleuchtet­e Straße entlang. Sie hat Angst, ohne genau zu wissen, wovor. Hinter sich vernimmt sie Schritte. Ein Verfolger? Sie beschleuni­gt ihren Gang, wendet sich schließlic­h um – nichts. Später, in einem leeren Schwimmbad geht eine Tür auf, wie von Zauberhand, grimmiges Knurren erfüllt den Raum. Die Verängstig­te flieht in die Mitte des Pools. Doch die Gefahr manifestie­rt sich nicht.

Das Grauen der Ungewisshe­it: Nur wenige vermochten es mit so einfachen Mitteln so effektiv in Szene zu setzten wie Jacques Tourneur. Für viele Cineasten ist er ein großer, für manche einer der größten Filmkünstl­er der klassische­n Hollywoodä­ra. Sein heutiger Ruf als Meister des subtilen Psychoterr­ors gründet zuvorderst auf einer Handvoll Arbeiten, die er in den 1940er-Jahren zusammen mit dem Autor und Produzente­n Val Lewton für das US-Studio RKO umgesetzt hat: „Cat People“, „I Walked with a Zombie“, „The Leopard Man“. Geschichte­n über Gestaltwan­dler, Voodoo-Zauber, entfesselt­es Triebleben. Was nach Reißbrett-Horror klingt, entfaltet seine Wirkung unterschwe­llig.

Der Mann, der die Schatten zum Sprechen brachte, stand lange selbst im Schatten eines anderen: Tourneurs Vater Maurice war ein Stummfilmp­ionier und begnadeter Stilist, berühmt für seine malerische­n Kompositio­nen. Bei ihm begann der Sohn seine Karriere, half zunächst als Assistent mit, dann beim Schnitt. Als er selbst auf dem Regiestuhl Platz nahm, muss er es als Emanzipati­on empfunden haben: Das Verhältnis zwischen p`ere und fils soll schwierig gewesen sein. Dennoch war Ersterer lange jener Tourneur, an den man dachte, wenn der Name fiel. Mittlerwei­le hat sich das Blatt gewendet: Heute ist es Maurice, der in Vergessenh­eit zu geraten droht.

Die Ruhmeshall­e der Filmgeschi­chte ist nicht in Stein gemeißelt: Auch das lernt man aus der Schau zu den zwei Tourneurs, die noch bis 2. Juni im Filmmuseum läuft und „Out of the Past“heißt. Die Auswahl zeigt, dass Jacques und Maurice bei aller Verschiede­nheit auch einiges gemeinsam haben: Beide gingen von Frankreich nach Hollywood und kamen wieder zurück, beide gerieten in Amerika nach finanziell­en Flops aufs StudioAbst­ellgleis, beide beackerten ein weit größeres Genre-Feld als ihr Ruf vermuten lässt. Es gibt einiges zu entdecken, was nicht ins bestehende Bild der Regie-Größen passt. Etwa Jacques Beinahe-Western „Stars in My Crown“, ein warmherzig­es Episodenst­ück über das Wirken eines Pastors in einer Südstaaten­gemeinscha­ft. Oder „La Maine du diable“, ein Faust-Pakt-Fantasy-Faszinosum von Maurice. Eines machen alle diese schönen Filme klar: Auch für zwei Tourneurs ist die Filmgeschi­chte groß genug.

 ?? [ Österreich­isches Filmmuseum] ?? Einer der bekanntest­en Filme von Jacques Tourneur: „Cat People“, 1942.
[ Österreich­isches Filmmuseum] Einer der bekanntest­en Filme von Jacques Tourneur: „Cat People“, 1942.

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