Tourneur-Retrospektive: Der Vater, sein Sohn und das Kino
Film. Das Österreichische Filmmuseum zeigt noch bis Anfang Juni Filme von Maurice und Jacques Tourneur Seite an Seite.
Nacht: Eine Frau läuft eine spärlich beleuchtete Straße entlang. Sie hat Angst, ohne genau zu wissen, wovor. Hinter sich vernimmt sie Schritte. Ein Verfolger? Sie beschleunigt ihren Gang, wendet sich schließlich um – nichts. Später, in einem leeren Schwimmbad geht eine Tür auf, wie von Zauberhand, grimmiges Knurren erfüllt den Raum. Die Verängstigte flieht in die Mitte des Pools. Doch die Gefahr manifestiert sich nicht.
Das Grauen der Ungewissheit: Nur wenige vermochten es mit so einfachen Mitteln so effektiv in Szene zu setzten wie Jacques Tourneur. Für viele Cineasten ist er ein großer, für manche einer der größten Filmkünstler der klassischen Hollywoodära. Sein heutiger Ruf als Meister des subtilen Psychoterrors gründet zuvorderst auf einer Handvoll Arbeiten, die er in den 1940er-Jahren zusammen mit dem Autor und Produzenten Val Lewton für das US-Studio RKO umgesetzt hat: „Cat People“, „I Walked with a Zombie“, „The Leopard Man“. Geschichten über Gestaltwandler, Voodoo-Zauber, entfesseltes Triebleben. Was nach Reißbrett-Horror klingt, entfaltet seine Wirkung unterschwellig.
Der Mann, der die Schatten zum Sprechen brachte, stand lange selbst im Schatten eines anderen: Tourneurs Vater Maurice war ein Stummfilmpionier und begnadeter Stilist, berühmt für seine malerischen Kompositionen. Bei ihm begann der Sohn seine Karriere, half zunächst als Assistent mit, dann beim Schnitt. Als er selbst auf dem Regiestuhl Platz nahm, muss er es als Emanzipation empfunden haben: Das Verhältnis zwischen p`ere und fils soll schwierig gewesen sein. Dennoch war Ersterer lange jener Tourneur, an den man dachte, wenn der Name fiel. Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet: Heute ist es Maurice, der in Vergessenheit zu geraten droht.
Die Ruhmeshalle der Filmgeschichte ist nicht in Stein gemeißelt: Auch das lernt man aus der Schau zu den zwei Tourneurs, die noch bis 2. Juni im Filmmuseum läuft und „Out of the Past“heißt. Die Auswahl zeigt, dass Jacques und Maurice bei aller Verschiedenheit auch einiges gemeinsam haben: Beide gingen von Frankreich nach Hollywood und kamen wieder zurück, beide gerieten in Amerika nach finanziellen Flops aufs StudioAbstellgleis, beide beackerten ein weit größeres Genre-Feld als ihr Ruf vermuten lässt. Es gibt einiges zu entdecken, was nicht ins bestehende Bild der Regie-Größen passt. Etwa Jacques Beinahe-Western „Stars in My Crown“, ein warmherziges Episodenstück über das Wirken eines Pastors in einer Südstaatengemeinschaft. Oder „La Maine du diable“, ein Faust-Pakt-Fantasy-Faszinosum von Maurice. Eines machen alle diese schönen Filme klar: Auch für zwei Tourneurs ist die Filmgeschichte groß genug.