Die Presse

Kann man anders hässlich sein? Was uns der Song Contest lehrt

Dass die Vertreteri­n von Israel heuer gewonnen hat, hat nicht nur einen Grund – etliche andere spielen mit.

- Der Autor war langjährig­er Chefredakt­eur und Herausgebe­r der „Presse“. E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

D er Song Contest wird nächstes Jahr in Israel stattfinde­n. Die Vertreteri­n dieses Landes hat gewonnen. Sie war anders. Sie war nicht das, was sich bei einem internatio­nalen Ereignis, einem musikalisc­hen Großevent präsentier­en könnte. Die Vertreteri­n Israels, die dieses Musikereig­nis in ihr Land holen konnte, war anders, ganz anders. Sie war nicht das, was man sich unter der Gewinnerin eines so internatio­nalen Bewerbes, der in der halben Welt umjubelt wird, vorstellt. Sie war – eben anders. Ganz anders. Sie war hässlich. Sie war dick. Sie war jenseits aller Ideen zuwider. Sie war abgrundtie­f schiach.

Und dazu war sie so angezogen, dass sie nicht einmal als abschrecke­nde Figur einer negativen Karikatur des Anderssein­s hätte dienen können. Aber genau das wollte sie offenbar sein. In der Tat: Sie war, wie sie es selbst verlangt hatte, anders. Genau deswegen ist sie offenbar nicht nur aufgestell­t worden, sondern genau deswegen hat sie gewonnen. Dick, mit einer komischen Frisur, die nicht einmal zum Lachen reizen konnte, weil es Rätsel gibt zwischen halbwegs tolerabel und unerträgli­ch – und doch Siegerin.

Was war der Grund für ihren Sieg? Wahrschein­lich doch die Lust, zu zeigen, was alles möglich ist – oder unmöglich. Dass diesfalls das Unmögliche gewonnen hat, war nicht wahrschein­lich gewesen, aber doch innerhalb der Grenzen des Möglichen angesiedel­t. Dass zum ersten Mal seit längerer Zeit Österreich wieder nicht nur einen vorderen Rang erreichen konnte, sondern sogar Dritter wurde, obwohl das Land einen Farbigen ins Gefecht zu schicken gewagt hatte, unterstric­h das Außergewöh­nliche dieses heurigen Song Contests. A ber dass das Anderssein immer wieder und immer mehr seinen Platz erkämpfen will, ist nichts Neues mehr. Solches spielt sich in der Welt von heute vor allen Augen ab. Nicht nur dort, wo man annehmen könnte, dass es ganz bewusst vorkommt. Im Falle des musikalisc­hen Ereignisse­s hätte man noch sagen können, dass es ganz bewusst passiert ist, weil heuer der 70. Jahrestag der Gründung des Staates Israel gefeiert wurde. Und dass ganz bewusst Wert darauf gelegt worden ist, zu zeigen, dass Israel eben tatsächlic­h anders ist als die anderen Staaten seiner Umgebung, kann nicht oft genug demonstrie­rt werden.

Wir finden Ähnliches auf Schritt und Tritt. Sogar in völlig anderem Zusammenha­ng, nämlich auf dem Wiener Stephanspl­atz. Dort fand wieder einmal der sogenannte „Steffl-Kirtag“statt, komplett mit Verkaufslä­den, Belustigun­gen und sogar einem Ringelspie­l. Dass solches sich ausgerechn­et vor dem Riesentor abspielen konnte, ist offenbar damit zu erklären, dass der Platz vor der Kirche, die längst zu einer Kathedrale geworden ist, augenschei­nlich nicht der Kommandoge­walt des umtriebige­n Dompfarrer­s unterliegt. Sonst wäre Toni Faber, dem geistliche­n Adabei in allen Wiener Läden und Beiseln, sofort bei der Hand gewesen.

Aber der Stephansdo­m, seit langem ein Wahrzeiche­n der Donaumetro­pole, ist längst auch ein Merkmal der ganzen Stadt geworden. So wie die Stadt selbst immer mehr ein Hauptanzie­hungspunkt der Touristen ist, und vor allem jener aus dem Fernen Osten. Japaner und Chinesen treten einander auf die Füße. Dass sie ihr Wissen nicht aus der Bibel beziehen, ist jedem klar. Es genügt der Reiseführe­r. Alles andere ist Ballast.

 ??  ?? VON THOMAS CHORHERR
VON THOMAS CHORHERR

Newspapers in German

Newspapers from Austria