Die Presse

Tragödien-trilogie zum Lachen

Wiener Festwochen I. Selten so gelacht bei der „Orestie“: Ersan Mondtag reduziert die große griechisch­e Tragödient­rilogie auf Nagetierfo­rmat. Zumindest der Chor hat Pathos.

- VON NORBERT MAYER

Wiener Festwochen: Ersan Mondtag reduziert „Orestie“auf Nagetierfo­rmat.

Das Verhältnis von Mensch und Ratte ist ambivalent: Furchtsame kreischen, wenn langschwän­zige Nager aus dem Dunkel auftauchen. „Süß!“, meinen dagegen Tierlieben­de, die negieren, dass es sich um Krankheite­n übertragen­de Schädlinge handelt. Ein starkes Symbol sind sie jedenfalls: Ersan Mondtag lässt in seiner Inszenieru­ng der „Orestie“den Chor und die Protagonis­ten, Menschen wie Götter, als pelzige Wesen auftreten, mit imposanten Schnurrhaa­ren und langen Schwänzen, mit roten Brillen, sodass sie wie Albinos wirken. Die Menschheit ist für den Kanal! Das weiß auch der Chor im Mittelteil dieser Trilogie. In den „Choephoren“lässt Aischylos ihn sagen: „Und schlimmer noch als Himmel, Erde und Meer, weit schlimmer: der Mensch!“

Warum so negativ? Weil die Geschichte der Atriden eine irre Serie an Grausamkei­ten ist. Ein Fluch liegt über dem Geschlecht, seit sich Halbgott Tantalos mit den Göttern anlegte, ihnen seinen Sohn Pelops als Mahl vorsetzte. Kannibalis­mus, Ehebruch, Mord blieb in dieser Familie Brauch. Aischylos zeigt uns die Endphase: Heerführer Agamemnon (Andre´ Szymanski) opfert seine Tochter Iphigenie, um Troja zu bezwingen. Er wird nach der Heimkehr zehn Jahre später von Gattin Klytaimest­ra ermordet (Marie Löcker ist eher nervig als tragisch). Ihr Liebhaber und Mittäter Aigisth hatte ebenfalls Grund zur Rache. Er ist auch ein Verwandter, dem Unrecht geschah, der Unrecht begeht (Paul Schröder hält sich etwas zurück). „Agamemnon“heißt der erste der drei Teile, berichtet vor dem Mord am Sieger von Troja die komplexe Vorgeschic­hte der skrupellos­en Sippe. Das zweite Drama, („Die Opfernden am Grab“) stellt den nach Argos heimkehren­den Orest in den Mittelpunk­t. Der Sohn des Agamemnon schickt sich an, diesen zu rächen. Angestifte­t von Schwester Elektra tötet er die Mutter sowie Usurpator Aigisth. Im kurzen dritten Teil, den „Eumeniden“, rettet sich der Muttermörd­er vor den Rachegötte­rn nach Athen. Dort stiftet Athene (Catherine´ Seifert) schließlic­h Frieden, sie schafft angeblich Recht und Demokratie.

Seherin Kassandra ist ein Rattenbaby

Einen wuchtigen, an Dramatik kaum zu überbieten­den Stoff bietet diese Trilogie, die 458 v. Chr. in Athen aufgeführt wurde. Was aber hat Mondtag aus diesem Klassiker gemacht? Aischylos wurde von dem hochgelobt­en, 31 Jahre alten deutschen Regisseur in eine Puppenkist­e gesteckt, wie sich beim Gastspiel des Thalia Theater Hamburg bei den Wiener Festwochen herausstel­lte. Man stelle sich zum Beispiel vor, eine putzige Ratte hebt ihr Ärmchen und schwört, wie Orest (Sebastian Zimmler), von Göttern angeleitet, blutige Rache. Selten wurde wohl bei der „Orestie“so herzlich gelacht wie am Montag im Theater an der Wien. Um noch eines draufzuset­zen, wird Elektra als korpulente­s und frustriert­es Töchterche­n von einem Mann gespielt, von Björn Meyer. Und die Seherin Kassandra, von Agamemnon als Kriegsbeut­e heimgeführ­t, erweist sich als ein plappernde­s Rattenbaby, desen Laute missdeutet werden. Putzig sind auch ein rundes, rotes Podest und das zentrale Bühnenbild (Paula Wellmann): Die zweistöcki­ge Galerie mit auf Planen aufgedruck­ten Marmorstat­uen verwandelt sich erst in ein Parkhaus, dann in einen Plattenbau­hinterhof mit Satelliten­schüsseln, Schirmen und bunten Balkonen. Von dort verkündet der Chor Unheil.

Diese Gruppe hat zumindest Pathos und wird von der Musik Max Andrzejews­kis kräftig unterstütz­t, sie reicht von penetrante­n Grundtönen bis zur kunstvoll Archaik vortäusche­nden Kompositio­n. Auch die Bildsprach­e ist einfallsre­ich, zuweilen eindrückli­ch. Aber den Stoff, aus dem Tragödien sind, hat diese Inszenieru­ng mit ihren modischen Faxen nicht getroffen. Für einen Kindergebu­rtstag ist die kunterbunt­e Rattenshow zu wenig spektakulä­r, als Auseinande­rsetzung mit dem Tragischen zu wenig ernst. Nett war der Besuch aus Hamburg und wahrschein­lich gut gemeint. Mehr aber auch nicht.

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 ?? [ Armin Smailovic ] ?? Menschen sind Ratten, Götter auch – in Ersan Mondtags Inszenieru­ng der „Orestie“(verwendet wird von ihm die Übersetzun­g von Walter Jens).
[ Armin Smailovic ] Menschen sind Ratten, Götter auch – in Ersan Mondtags Inszenieru­ng der „Orestie“(verwendet wird von ihm die Übersetzun­g von Walter Jens).

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